Juna Herold
Mondgruß
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Schweiß. Der mir in feinen Bahnen den Rücken herunterläuft, obwohl ich mich nur auf der Stelle bewege. Mich würde gerade brennend interessieren, warum ich locker die Treppen bis in den dritten Stock hinauf spurten kann, aber schon bei einer so einfachen Yoga-Übung wie dem Mondgruß ins Schwitzen komme, dass ich schier davonfließe.
„Fühlt eure Energie, spannt eure Oberschenkel an, Nase und Stirn berühren die Knie, ihr müsst die Spannung spüren. Ja, so ist es richtig, ihr dürft zwischen den Schultern nicht durchhängen.“
Luc, der nicht nur den Kurs leitet, sondern auch Inhaber der Yoga-Schule ist, wandert durch die Reihen der Teilnehmerinnen und korrigiert hier und da Positionen. Seine schmeichelnde Stimme versucht, noch tiefer in mein Bewusstsein einzudringen, schafft es aber nicht, weil ich mich gerade zum tausendsten Mal frage, warum ich mir das hier überhaupt antue. Ein kurzer Blick nach links beantwortet mir diese Frage.
Vera zuliebe. Meine beste Freundin folgt den Erläuterungen des Trainers mit einer Hingabe, als ginge es hier nicht um Yoga, sondern um das Geheimnis der ewigen Jugend, nach dem sie schon so lange vergeblich sucht. Als ob sie sich darüber mit ihren knapp fünfunddreißig Jahren und dieser traumhaften Figur Sorgen machen müsste! Silbe für Silbe saugt Vera die Worte unseres Kursleiters in sich auf und je tiefer er ihr in den Ausschnitt guckt, desto zufriedener sieht sie aus.
Ich dagegen werde von hinten wieder aussehen wie ein übergroßes Streifenhörnchen, und das Einzige, was nachher bei mir alles aufgesaugt hat, wird mein T-Shirt gewesen sein.
„Spürt die Harmonie in eurem Körper, mit euch selbst und eurer Umgebung. Ihr dürft loslassen, ihr müsst nichts entscheiden. Legt eure Konzentration in den Bauch, den Sitz der Sonnenenergie.“
Vera macht bestimmt schon alles richtig, trotzdem bleibt Luc bei ihr wieder einmal länger als notwendig stehen und fährt mit seiner Hand ihren schmalen Rücken hinunter.
„Ja, so ist es gut, ich spüre die Energie“, flüstert er Vera ins Ohr.
Ein Glück, dass wir hier in der letzten Reihe stehen, geht es mir durch den Kopf, denn dieses intime Getuschel muss wirklich niemand mitbekommen. Ich verdrehe genervt die Augen und tue so, als hätte ich nichts gesehen. Gleich wird er Schluss machen, ich weiß es.
„So, meine Damen, ich glaube, das war genug für heute, die Stunde ist um“, sagt er und mir hätte eigentlich gerade nur noch gefehlt, dass er dabei nicht in die Hände klatscht wie die alten Sportlehrerinnen in der Schule.
An sich kann ich ihn ja gut verstehen, denn an mir und meinem Mondgruß hätte ich heute an seiner Stelle auch nichts mehr korrigiert. Stattdessen habe ich gerade auch nur noch einen Wunsch: schnell raus aus diesen engen, feuchten Klamotten!
Ich lege meine Matte auf den Stapel zurück und rolle mein Handtuch zusammen. Auf dem Gang höre ich schon, dass sich die anderen Frauen nicht mehr in der Umkleide, sondern schon ratschend im Duschraum befinden und das nicht ohne Grund, denn hier lohnt es sich tatsächlich schnell zu sein. Irgendetwas stimmt mit der Warmwasserversorgung nicht, denn für die Nachzügler in der zweiten Duschrunde ist das Wasser jedes Mal zu kalt.
Wie immer waren Vera und ich zu langsam.
„Yeah“, macht sie und hält sich die leere Wasserflasche vor die Nase.
„Das kannst du laut sagen“, bestätige ich, lasse mich neben sie auf die Bank fallen und trinke auch einen großen Schluck. Selbst nach dem ist bei mir aber immer noch die Hälfte in der Flasche, obwohl ich viel mehr in mich hineinfüllen müsste als meine beste Freundin. Die schafft es tatsächlich, auch am Ende einer solchen Stunde noch auszusehen wie frisch aus dem Ei gepellt.
„Ich habe echt langsam das Gefühl“, sage ich und wische mir über die Stirn, „dass das hier nicht so ganz das Richtige für mich ist.“
„Was? Wenn man schwitzt wie ein Schwein, ist es doch genau richtig“, entgegnet Vera.
„Frau Hoffmann“, sage ich mit gespielter Empörung, „ich danke Ihnen für das Schwein! Bis gerade eben dachte ich noch, dass ich aussehe wie ein Streifenhörnchen.“
„Dreh dich mal um, Frau Weiss!“, befiehlt mir Vera und ich tue wie geheißen.
Sie wiegt den Kopf. „Meine liebe Fi, du siehst eher aus wie ein geflecktes Streifenhörnchen.“
Ich sehe sie strafend an. Sie weiß genau, dass ich auf Fi allergisch reagiere, weil mich das an die schöne Fiona aus Vier Hochzeiten und ein Todesfall erinnert, und für diesen Vergleich bin ich erstens zu rotblond und zweitens viel zu pummelig. Außerdem heiße ich Sophia und nicht Fiona.
Vera zuckt mit den Schultern und macht ihr Schmollgesicht. „Du wolltest hören, wie du von hinten aussiehst. Ich war nur ehrlich.“
„Ach, ich meinte doch meinen Spitznamen“, beschwichtige ich schnell, damit sie nicht gleich wieder beleidigt sein muss, und krame in der Tasche nach meinem Duschbad, das sich wie immer versteckt hat.
„Oh, sorry, Fi rutscht mir immer noch so raus. Ich werde an mir arbeiten, liebe Sophia.“
„Na, geht doch!“ Ich halte triumphierend mein Duschbad hoch. „Aber sag mal ernsthaft, das gibt’s doch echt nicht, dass man sich für total fit hält und dann bei ein paar lockeren Entspannungsübungen so versagt!“
„Entspannungsübungen nennst du das hier? Lass dir das mal von Luc genauer erklären! Die innere Energie auf die Mitte zu konzentrieren kostet unglaublich viel Kraft und da schwitzt man eben als Anfänger. Aber ich merke schon, dass es jedes Mal einfacher wird. Überhaupt wird die Kondition ganz generell besser.“