Centratur I. Horst Neisser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Horst Neisser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741883101
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von sechs mal sechs Fuß ab und stapelten sie zu einem Haufen. Sorgfältig glätteten sie den erdigen Boden und zogen mit Messern ein Gitternetz ins Erdreich. Darauf legten sie aus kleinen Steinen zwei überlappende Dreiecke, so dass eine Figur mit sechs Ecken entstand. Würdevoll stellten sie sich um das Sechseck, jeder an einer Spitze, und fassten sich bei den Händen. Dann fielen sie gemeinsam auf die Knie und senkten die Köpfe. Ihre Stimmen vereinigten sich zu einem monotonen Singsang, bis die Gruppe von einem matten Lichtglanz umgeben war. Der Schein schwebte nur wenige Sekunden über ihnen und verschwand dann wieder. Jetzt erhoben sie sich und beseitigten mit großer Sorgfalt auch diese Spuren. Selbst die Soden legten sie wieder an ihren Platz.

      Gemessenen Schritts begab sich ein jeder zu seinem Pferd und kleidete sich um. Sie schälten sich aus ihren bequemen Reisekleidern. Die weiten Überhänge wurden abgestreift, die Hosen aus gefärbtem Wildleder ausgezogen, sorgfältig zusammengelegt und in den Satteltaschen verstaut. Einige hatten kecke Mützen mit langen Federn getragen, die sie nun vorsichtig abnahmen und an den unteren Ästen von Bäumen hingen, damit den Hauben während ihrer Abwesenheit nichts geschehe.

      Die Rüstungen, die sie nun anlegten, hatten jeweils eine andere Farbe und waren speziell für ihren Träger angefertigt worden. Sie waren schwarz, rot oder glänzten hell poliert. Allein das Anbringen der Magie, die auf jeder lag, hatte mehrere Jahre gedauert. Der Wert der einzelnen Rüstungen war größer als der von Königreichen.

      Zum Schluss legten sie ihre Waffen an. Auch sie waren bei jedem der Helden verschieden. Es gab kurze und lange Schwerter und solche, die man nur mit zwei Händen führen konnte. Sie schnallten sich Streitäxte um und schulterten Bogen und Köcher mit Pfeilen. Manche trugen Armbrüste, andere Lanzen und einer hatte sich zwölf Messer um den Oberkörper geschnallt, die er trefflich zu werfen verstand. Alle Waffen, selbst die Streitäxte, hatten berühmte Namen.

      Als sie gerüstet waren, machten sie sich auf den Weg. Sie wussten genau Bescheid über die Gegend. Man hatte ihnen rechtzeitig Karten zur Verfügung gestellt. Schon vor Jahren war alles auf das genaueste ausgekundschaftet worden. Die Agenten hatten damit die besten Späher beauftragt, die in der Welt aufzutreiben gewesen waren. Deshalb konnten sich die Kämpfer den Posten vorsichtig nähern und auch tödliche Fallgruben umgehen.

      Die sechs bewegten sich trotz der schweren Rüstungen behände und lautlos. Sie verschreckten nicht einmal das Wild, das ihren Weg kreuzte. Selbst wenn man nur vier Fuß von ihnen entfernt gewesen wäre, so hätte man sie nicht wahrgenommen. Vor der ersten Wache schwärmten sie aus. Es war ein alter Mann in abgewetzter grüner Kleidung, der sich anscheinend auf Pilzsuche befand. Aber sie ließen sich von seiner Tarnung nicht täuschen. Drei von ihnen kreisten ihn ein und stachen gemeinsam zu. Lautlos sank der Alte zu Boden. Der Anfang war gemacht. Als nächstes überfielen sie eine alte Frau die Beeren pflückte und töteten sie. Sie hatten kein Mitleid, denn sie wussten, dass die Wachen gut getarnt waren und selbst gnadenlos jeden Angreifer umbrachten.

      Sie hatten schon die halbe Höhe des Berges erreicht und waren noch immer auf keinen Widerstand gestoßen. Dieser Umstand gab ihnen zu denken. Zwei sicherten nach hinten und zwei liefen als Späher voraus. Plötzlich wurde der linke Späher tot aufgefunden. Er lag in seiner schwarzen Rüstung hinter einem Busch. Nur seine Beine ragten hervor. Sein Hals war von einer scharfen Lanzenspitze durchbohrt. Die Überlebenden kümmerten sich nicht weiter um ihn. Aber sie waren froh, denn sie wussten nun, dass sie auf dem rechten Weg waren.

      Auf einer Lichtung traten ihnen zwölf Gewappnete entgegen und es kam zum ersten Kampf. Es gab ein wütendes Hauen und Stechen. Als die zwölf endlich im Gras lagen, waren die sechs auf vier zusammengeschmolzen. Kurz nachdem sie weitergegangen waren, löste sich eine mächtige Steinlawine am Berg und stürzte zu Tal. Die Kämpfer rannten um ihr Leben, aber einer musste sterben.

      Die letzten drei stiegen noch langsamer und noch vorsichtiger in einer Linie weiter. Sie wurden noch in viele Kämpfe verwickelt, die sie alle siegreich bestanden. Endlich erreichten sie den Gipfel. Dort trat ihnen eine hohe Gestalt in einem langen weißen Gewand entgegen. Sie hatte die Arme erhoben und die Handflächen ihnen zugewandt.

      „Was wollt ihr?" rief der alte Mann mit lauter Stimme. „Warum stört ihr den Frieden dieses Berges?"

      Keiner antwortete ihm. Der Mann mit den Messern traf den Alten in der Brust. Dieser brach stöhnend zusammen und ein Blutschwall quoll aus seinem Mund. Sie stiegen über ihn, nach allen Seiten witternd und sichernd. Vor ihnen musste das Tor sein. Es war nicht zu sehen. Kein Spalt zeichnete sich im Fels ab. Niemand, der nicht eingeweiht war, hätte hier den Zugang zum Herzen des Berges vermutet.

      Sie verloren mit der Suche keine Zeit und versuchten auch nicht, den magischen Schlüssel zu entdecken. Stattdessen packten sie die Zauberutensilien aus, die sie mitgebracht hatten, und bauten sie sorgsam auf. Dann zogen sie sich zurück. Mit einem mächtigen Blitz vernichtete der Zauber die Spitze des Berges und gab den Gang, der in die Tiefe führte, frei. Ohne zu zögern traten sie ein und stiegen über die verkrümmten Gestalten, die im Inneren des Berges durch den Zauber getötet worden waren.

      Immer tiefer folgten sie dem Gang ins Dunkel des Berges. Sie hatten Fackeln entzündet und schritten mit der gebotenen Vorsicht aus. Zwei Fallen auf dem Weg konnten sie rechtzeitig entdecken, die dritte kostete einem von ihnen das Leben. Nun waren es nur noch zwei Kämpfer, die sich immer tiefer in das Gestein wagten. Sie trafen auf keinen Widerstand mehr und erreichten nach Stunden die Halle.

      Diese war so groß, dass man weder ihre Seiten noch ihre Decke in dem fahlen Licht der Fackeln sehen konnte. Die Luft roch modrig, war aber völlig trocken. Staub lag auf dem steinernen, unebenen Boden. Es war völlig still. Es schien, als schlucke die Dunkelheit jedes Geräusch. Stunden um Stunden wanderten sie durch die unheimliche Schwärze. Ihr Vorrat an Fackeln neigte sich dem Ende zu. Waren sie verbraucht, würden sie nie mehr den Weg aus der Dunkelheit herausfinden. Aber sie kümmerten sich nicht um diese Gefahr. Sie hatten einen Auftrag und würden nicht ruhen, bis er erfüllt war.

      Das riesige Kriegerheer, dem sie dann begegneten, verharrte in der Dunkelheit reglos und stumm wie aus Stein. Gewappnete Krieger saßen auf ihren Pferden, Wolfsreiter standen auf dem Sprung, Kobolde und andere Geschöpfe aus dunklen Tiefen, bewaffnet mit allem, womit man töten konnte, standen in Reih und Glied. Die beiden Kämpfer schritten mitten durch das Heer. Sie kannten keine Furcht, aber sie betrachteten die ungeheure Macht, die hier versammelt war, mit Staunen.

      In der Mitte der Höhle tat sich ein großer Kreis auf. Hier stand ein steinerner Tisch, und an ihm saß ein Mann. Er musste schon viele tausend Jahre dort sitzen, denn sein langer Bart überwucherte und verdeckte die Steinplatte. Seine Hände lagen starr unter den Haaren. Die Fingernägel waren meterlang.

      Die beiden Männer gingen langsam um den Alten herum und betrachteten ihn von allen Seiten. Die Agenten hatten ihnen genaue Anweisungen gegeben, wie sie mit ihm zu verfahren hätten. Nun war der Augenblick gekommen, den Auftrag zu vollenden. Ohne weiter zu überlegen, holten sie Scheren aus ihren Taschen und schnitten ihm die Nägel. Anschließend verschränkten sie ihm die Hände, so als wolle er beten. Dann scherten sie ihm den Bart. Die langen Strähnen fielen achtlos auf den Boden und sammelten sich zu einem grauen Teppich. Endlich holten sie aus ihrem Gepäck eine kleine Schale aus purem Gold. Da hinein gossen sie von der Flüssigkeit, die ihnen ihre Auftraggeber in einer Feldflasche mitgegeben hatten. Damit wuschen sie die Gestalt am Tisch. Zuletzt wickelten sie aus einem samtenen Tuch einen Edelstein. Sie legten den roten Kristall in die Hände des Mannes und achteten sorgfältig darauf, den Stein nicht zu berühren. Plötzlich begann der Kristall zu glühen. Er strahlte so große Wärme aus, dass die beiden Helden in ihrer Rüstung zu schwitzen begannen.

      Dies war der Augenblick, da der Greis am Tisch die Augen aufschlug. Verwirrt sah er sich in der Dunkelheit um. Dann entdeckte er seine Retter und fragte mit heiserer Stimme: „Wer seid ihr?"

      „Man hat uns geschickt, Euch zu erlösen."

      „Warum kommt ihr so spät?"

      „Man hat uns nicht früher beauftragt."

      Da erhob sich der Mann am Tisch und sprach: „Kommt her, damit ich euch danken kann."

      Als sie auf ihn zu traten, sagte er: „Kniet nieder!"