City Vampire. Beth St. John. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Beth St. John
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847660279
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Sie mochte ihren Chef und die meisten Gäste. Sie bekam Urlaub, wenn sie ihn brauchte und hatte ihr festes Gehalt an jedem Monatsende auf dem Bankkonto. Sie hatte alles, was nötig war, um glücklich zu sein.

      Als die Uhr fünfmal schlug, nahm sie ihre Schürze ab und hängte sie ordentlich weg. Sie schnappte sich ihre Handtasche und steckte den Kopf in die Küche. „Henri? Ich bin dann weg, okay?“

      Henri lugte hinter einem riesigen Topf hervor und nickte ihr zu. „In Ordnung. Grüß Mathis von mir.“

      „Natürlich.“ Sie ließ die Küchentür hinter sich zu schwingen, nickte Pierre noch einmal zu und verließ das Café.

      Langsam schlenderte sie durch die Straßen des frühabendlichen Paris. Sie wollte noch einen kleinen Abstecher zum Markt machen und ein paar Kleinigkeiten einkaufen. Sicherlich würde Mathis schon auf sie warten. Sie freute sich auf ihn, denn ihr jüngerer Bruder und sie standen sich sehr nah. Elaine war mehr eine Mutter für ihn denn eine Schwester, hatte sie ihn doch die letzten Jahre ganz alleine großgezogen. Jetzt war er sechzehn und schon fast ein junger Mann mit einer Menge Flausen im Kopf. Trotzdem wirkte er verantwortungsbewusster und loyaler als viele seiner Altersgenossen.

      Der Marché les Enfants Rouges lag versteckt in einer ruhigen Ecke des Marais Arrondissements. Der älteste überdachte Lebensmittelmarkt von Paris wurde bereits 1629 gegründet und nach einem Hospiz für Waisen benannt, das für seine roten Uniformen bekannt war. Heute konnte man hier nicht nur frische Lebensmittel kaufen, sondern auch internationale Köstlichkeiten genießen. Es gab japanisches Sushi, scharfe afrikanische Gerichte und frisch gebackenes arabisches Fladenbrot.

      Elaine kaufte frische Tomaten ein, Kopfsalat und einen kleinen Laib würzigen Käse. Der Markt füllte sich langsam mit feierabendlichen Einkäufern und das Geplapper der Menschen, die um ihre Ware feilschten, miteinander lachten oder auch mal schimpften, hatte etwas heimeliges an sich. Elaine lächelte still vor sich hin, als sie den Markt verließ und ein Stück den Weg zurück zu ihrem Auto ging.

      Kapitel 3

      Elaine schloss die Tür zu ihrer Wohnung auf und warf den Schlüsselbund in das kleine Holzschälchen auf dem Tisch neben der Garderobe. Im Gehen streifte sie ihre Schuhe von den Füßen, nach ihrer langen Schicht im Café und den vielen Stunden auf den Beinen schmerzten ihre Fußballen. Auf Strümpfen ging sie in die Küche, stellte die Tasche mit ihren Einkäufen auf dem Küchentisch ab und ließ Wasser in den alten Teekessel laufen.

      „Mathis?“, rief sie, drehte den Herd an und stellte den vollen Teekessel auf der Platte ab. „Mathis, bist du da?“

      Verwundert runzelte Elaine die Stirn. Eigentlich sollte er zuhause sein. Die Schule war längst aus und er war nicht der Typ, der stundenlang und ohne Bescheid zu geben wegblieb. Elaine ließ den Teekessel auf dem Herd stehen und ging zurück in den Flur. Hatte er ihr vielleicht eine Nachricht hinterlassen, die sie übersehen hatte? Doch nein, da war nichts. Auch nicht im Wohnzimmer. Alles war ordentlich aufgeräumt, so wie sie es am Morgen verlassen hatte – aber nirgendwo war eine Spur von ihrem Bruder oder ein Hinweis auf seinen Verbleib.

      „Mathis?“, rief sie wieder und ging hinüber zu seinem Zimmer. Die Tür war angelehnt, das Zimmer leer. Sein Bett war gemacht, wenn auch nicht allzu sorgfältig, der Computer war ausgeschaltet. War er überhaupt nach der Schule schon zuhause gewesen? Es lagen keine Hefte auf seinem Schreibtisch herum wie sonst, wenn er Hausaufgaben gemacht hatte. Für gewöhnlich schaltete er seinen Computer gleich nach dem Heimkommen ein und ließ ihn auch an, wenn er noch für ein paar Stunden das Haus verließ, um Freunde zu besuchen. Elaines Herz begann zu flattern. Ihm musste etwas zugestoßen sein! Anders war sein Fortbleiben nicht zu erklären. Sie eilte zurück in den Flur und kramte in ihrer Handtasche nach ihrem Handy.

      Nervös wählte sie seine Nummer. Das Freizeichen erklang, aber niemand hob ab. Mit zitternden Fingern rief sie nacheinander jeden seiner Freunde an, von welchen sie eine Nummer besaß, doch keiner von ihnen hatte Mathis nach der Schule gesehen. Er habe sich verabschiedet und sei nach Hause gegangen, sagten sie.

      Elaine nahm den Teekessel vom Herd, noch bevor das Wasser kochte. Ihre Verzweiflung wuchs. Das Telefon noch immer in den Händen, glitt sie an der Wand entlang zu Boden und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Was sollte sie nur tun? Zur Polizei gehen? Soweit sie wusste, war es noch zu früh, um eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Sicherlich würde man sie nach Hause schicken, mit den Worten, er sei schließlich ein Teenager und habe die altersgemäßen Flausen im Kopf. Als ihr Handy plötzlich zu klingeln begann, zuckte sie erschrocken zusammen. Sie warf einen schnellen Blick auf das Display. Mathis! Hastig nahm sie das Gespräch entgegen.

      „Mathis!“, rief sie mit hoher Stimme. „Mein Gott, wo steckst du denn?“

      „Hier ist nicht Mathis“, erklang eine fremde Männerstimme. Elaine erschrak.

      „Wer sind Sie? Wo ist mein Bruder?“, fragte sie hastig.

      „Es geht ihm gut“, antwortete der Fremde. „Mein Name ist Jerome Roussaux. Mathis ist mein Gast.“

      „Ihr – Gast?“, fragte Elaine verwirrt. Was sollte das? War das ein böser Scherz? „Ich will mit Mathis sprechen. Sofort.“

      „Wir wollen doch nichts überstürzen, meine Liebe“, sagte der Fremde am anderen Ende der Leitung. „Ich schlage vor, wir treffen uns und unterhalten uns in aller Ruhe.“

      „Was wollen Sie von uns?“, fragte Elaine verzweifelt.

      „Das erkläre ich Ihnen, wenn wir uns sehen. Nehmen Sie die Rue de Charterly Richtung Norden. Biegen Sie dann links ab. Nach ungefähr zwei Kilometern gelangen Sie in ein ehemaliges Industriegebiet. Es ist das dritte Gebäude auf der rechten Seite. Sagen wir, in einer Stunde. Und kommen Sie allein. Wenn Sie die Polizei verständigen, ist Mathis tot. Wenn Sie mit irgendjemandem darüber reden, ist er ebenfalls tot. Haben Sie mich verstanden?“

      Elaine lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter. „Verstanden“, hauchte sie, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.

      „Gut“, sagte der Mann. Ein Knacken erklang in der Leitung und Elaine wusste, dass er aufgelegt hatte. Ihr Kopf schwirrte. Mathis und sie besaßen gerade genug zum Leben – was konnte dieser Mann von ihnen wollen? Einen kurzen Moment lang war sie versucht, entgegen seiner Anweisung die Polizei anzurufen, besann sich dann aber eines Besseren. Sie wollte Mathis’ Leben um keinen Preis gefährden. Ihr blieb nichts weiter übrig, als zu der genannten Adresse zu fahren und zu hören, was er ihr zu sagen hatte – oder was er von ihr wollte.

      Kapitel 4

      Elaine folgte der Wegbeschreibung, die der Mann ihr gegeben hatte. Die Gegend war abgelegen und das ehemalige Industriegebiet offensichtlich schon sehr lange verlassen; die Straßen waren marode, die Gebäude verwittert. Die Fassaden bröckelten und sie fand kaum ein Fenster, das noch nicht eingeschlagen war. Das Wetter verschlechterte sich zusehends, während sie sich ihrem Ziel näherte. Dunkle Wolken zogen am Himmel über ihr auf und verliehen den verwahrlosten Bauten etwas sehr Bedrohliches.

      Elaine schauderte.

      Sie fand das Gebäude, das der Fremde gemeint haben musste. Still und einsam lag es zu ihrer Rechten, eine zerrissene Plane diente als Ersatz für die Eingangstür und flatterte wild im erstarkenden Wind. Sie parkte ihren Wagen, dann schlug sie den Kragen ihrer Jacke hoch und stieg aus. Das herannahende Gewitter trieb altes Laub und Staub vor sich her und Elaine konnte schon die ersten feinen Tropfen auf ihrem Gesicht spüren. Langsam ging sie auf den Eingang zu. Die im Wind tanzende Plane machte klatschende Geräusche, als sie von einer starken Böe erfasst wurde. Elaine schob sie beiseite und trat vorsichtig ein. Der Boden war vom Schutt und Dreck der Jahre übersät und sie musste Acht geben, wo sie hin trat.

      „Hallo?“, rief sie und bemühte sich, ihre Stimme fest klingen zu lassen. „Ist da jemand?“

      Doch sie erhielt keine Antwort. Verunsichert ging sie tiefer in das alte Gebäude hinein. War sie tatsächlich am richtigen Ort? Was,