Rosa Ananitschev
Andersrum
Novelle
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Die Geschichte erzählt von einem Mädchen … Es ist jung, sehr jung, und unerfahren, vermag in einer besonderen Glühbirne noch etwas zu entdecken, was uns Erwachsenen verborgen bleibt.
Ein Märchen, eine fantasievolle Kindergeschichte? Weit gefehlt, denn hinter den so spielerischen Zeilen verbergen sich Dinge, die zu oft unausgesprochen bleiben, die beinah ein Tabu sind.
Mit Hilfe einer dunklen Gestalt, die anderen fremdartig, mysteriös und vielleicht sogar furchterregend erscheint, versucht das Kind, Geschehenes zu verarbeiten und seinem Leben wieder Freude und Zuversicht einzuhauchen.
Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten, denn jede Leserin, jeder Leser sollte die Welt der kleinen Lisa für sich entdecken und den Gedanken freien Raum lassen, welches Schicksal sich hinter der Geschichte verbirgt, ob es sich ‚nur‘ um ein ‚Märchen‘ handelt oder doch ein wahrer Kern darin steckt, wie die Autorin es in ihrem Nachwort auch andeutet.
Eine berührende und zu Herzen gehende Erzählung.
Renate Zawrel
Das Licht
Die folgende Geschichte spielt sich in einem kleinen Dorf ab, das in einem weiten Land zwischen vielen Birkenwäldern liegt.
Die Menschen in der Siedlung arbeiten hart und müssen viel Leid und Ungerechtigkeiten ertragen.
Auch die kleine Lisa kämpft sich tapfer durch das Leben. Sie hat ihr ganz persönliches, schweres Päckchen zu tragen.
Wir schreiben das Jahr 1958.
Wie so oft wird Lisa mitten in der Nacht wach. Sie hat etwas geträumt, kann sich allerdings nicht mehr erinnern, was es war. Sie weiß nur – es war schlimm; der Albtraum nahm ihr Herz in den eisernen Griff und jetzt, wieder befreit, schlägt es schnell und hämmernd in ihrer Brust.
Lisa hat im Schlaf geweint und spürt noch die Nässe im Gesicht. Ein Schluchzen entfährt ihr, als sie tief ein- und ausatmet. Ihr Herz beginnt sich allmählich zu beruhigen.
Da hört sie eine Stimme, die nicht von außen zu kommen scheint, sondern direkt in ihrem Kopf sitzt: „Hallo, Lisa!“
Das Mädchen hält den Atem an und lauscht angestrengt in sich hinein. Aber sie hört nur das gewohnte leise Schnaufen und Schnarchen ihrer Geschwister. Dann dreht sie sich auf den Rücken.
Es ist nicht ganz düster im Zimmer. Der Mondschein von draußen hinterlässt einen hellen Streifen auf dem Holzfußboden und erfasst auch die dunkle Gestalt, die auf dem Rand des Bettes sitzt.
„Hab keine Angst“, sagt erneut die Stimme in Lisas Kopf. Ohne es begründen zu können, weiß das Mädchen sofort, dass sie zu dieser Erscheinung gehört.
Das Kind hat gar keine Angst – der Fremde ist zwar vollständig in Schwarz gehüllt, aber überhaupt nicht furchterregend.
„Wer bist du? Was machst du hier?“, flüstert Lisa erstaunt.
„Ich bin gekommen, um dir deinen größten Wunsch zu erfüllen“, antwortet die wohlklingende Stimme. „Du hast doch einen?“
Lisa setzt sich langsam auf und schaut die Gestalt an. Dann schüttelt sie den Kopf und raunt: „Das kannst du nicht. Das kann nicht mal der liebe Gott.“
Ein plötzlicher Verdacht kommt in ihr auf und sie fragt vorsichtig: „Du bist doch nicht Gott?“
Sie hätte schwören können, dass der Fremde schmunzelt, obwohl sie sein Gesicht nicht sieht.
Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. „Nein, der bin ich nicht. Betest du denn oft zu Gott?“
„Mama sagt, ich muss jeden Abend vor dem Schlafengehen beten, dann wird der liebe Gott mich gern haben und über mich wachen.“ Ein tiefer Seufzer entringt sich dem Mädchen. „Aber das will ich gar nicht. Dass er über mich wacht, meine ich. Ich bitte ihn nur …“ Lisa verstummt.
„Worum ersuchst du Gott? Erzähl mir doch mal von deinem Wunsch“, bittet die einfühlsame Stimme.
Erneutes tiefes Luftholen, das aus tiefster Seele kommt. Lisas Stimme wird immer leiser und ist kaum hörbar. „Das ist ein ganz ernster Wunsch.“ Sie sucht eine Weile nach dem passenden Wort. „Ein ganz anderer Wunsch, weil … weil es kein Ding ist.“ Plötzlich stehen Tränen in ihren Augen. „Ich wünsche mir, froh zu sein“, flüstert sie, und ein unterdrücktes Weinen lässt ihre Schultern zucken.
Der Fremde streichelt dem Mädchen beruhigend über die weichen Locken. „Weine nicht, Kleines. Das kriegen wir hin. Versprochen.“
Lisa hebt den Kopf, in ihren Augen glänzen Tränen. Ungläubig blickt sie in das schwarze Gesicht. „Das kannst du? Echt? Dann bist du ja noch allmächtiger als Gott!“ Das Wort „Allmächtig“ hat sie von den Erwachsenen oft gehört und weiß, was es bedeutet.
Wieder spürt Lisa auf seltsame Weise das Lächeln des Fremden, als er antwortet: „Allmächtiger vielleicht nicht, aber ich kann Einiges. Am besten, wir fangen gleich an, an deinem Wunsch zu arbeiten. Komm, wir gehen nach draußen.“
Die dunkle Gestalt erhebt sich vom Bett des Kindes. Selbst das Licht des Mondes vermag ihr kein Gesicht zu geben.
„Jetzt? Im Dunkeln?“, argwöhnt Lisa, rutscht aber schon bereitwillig aus dem Bett.
Der Fremde nimmt sie an die Hand. „Wo sind denn deine Schuhe?“, will er wissen.
„Die sind im Schrank. Ich laufe im Sommer immer barfuß“, erklärt das Kind.
„Dann muss ich dich aber auf den Arm nehmen, draußen ist es jetzt ganz schön feucht.“ Er hebt Lisa hoch und sie erstarrt, von plötzlicher Scheu erfasst. Behutsam drückt der Fremde das Kind an sich. „Ich tue dir nichts. Vertrau mir.“
Lisa schmiegt sich vorsichtig an seine Brust. Das tut gut und sie fühlt sich auf einmal sehr wohl und sicher.
Ohne ein Geräusch zu verursachen, huschen der Mann und das Mädchen aus dem Haus. Niemand hört oder bemerkt etwas.
Im Garten bleibt der Fremde stehen und schaut zum Himmel empor. Auch Lisa hebt den Kopf.
„Siehst du da oben die vielen Sterne?“, fragt die