Das war für die Buben ein Spaß. Sie luden den Alten auf einen halbgefüllten Mistkarren.
Der Auerbrugger weinte vor Freude:
»Na! Jetz tun sie mi gar noch mit dem Wagn heimführn! Vergelts enk Gott, Leut! Ist dös heut a Tag!«
An hundert Leute liefen johlend neben dem Karren her. Um ihn herum lachte und tobte die Bubenschar; sie bewarfen ihn mit Schmutz, bespritzten ihn mit Wasser. Der blinde Alte aber saß wie ein König des Lebens auf dem Dünger:
»In Lust, in Lust leb ich!
In Lust, in Lust schweb ich!«
Vor dem Armenhaus luden sie ihn ab. Warfen einfach den Karren um. Der Blinde fiel in einen Straßentümpel, der noch seit dem letzten Regen stand. Denn um die Armenspitäler herum scheint wenig Sonne.
»Oha!« meinten besorgt die Buben, während um den Alten der Kot aufspritzte. »Jetz wärst bei ein Haar in die Lackn gfallen!«
Und wieder ein Gebrülle und Gelächter, daß alles Vieh in den umliegenden Ställen unruhig wurde.
Der Alte hockte mit übergeschlagenen Beinen in der Lacke und ließ seine toten Augensterne glückselig im Kreise wandern: »Leutln! I sag’s enk! Ist dös heut ein Tag! Alls kreuzlebendig, und ich mittelt drin!«
»Guet schaust aus, Auerbrugger!« schrie die Oberin erbost vom Fenster herunter. Im nächsten Augenblick stand sie schon mit rotem Kopf vor der Türe:
»Guet hast dich greinigt!«
»Schwester Oberin! Heut han i einmal was vom Himml gspürt! So fein ist’s noch nie gwesen!«
Er fiel der Oberin freudetoll um den Hals. Die gab ihm ein höchst irdisches Kopfstück und schob ihn durch das baufällige Tor.
Der dunkle, rattenkahle Hausflur schluckte gierig Auerbruggers Seligkeit.
Hartklirrend flog die Tür des Armenhauses ins Schloß.
DER ROSENWIRT
Sooft ich die mächtige, patriarchalische Gestalt des bäuerlichen Rosenwirtes in den hausleinenen Hemdärmeln in der Stube auftauchen sehe, überkommt mich jedesmal ein Wohlgefühl, als zöge plötzlich frischer Erd- und Waldgeruch durch die rauchige, schlechtgelüftete Wirtsstube. Wie er von Tisch zu Tisch schreitet und jedem Gast sein kräftig rauhes »Gott zum Grueß« zuruft! In seinem Weinschank gibt es keine Kellnerin. Der Rosenwirt dünkt sich nit zu gut, seine Gäste selbst zu bedienen. Manch einer hat ihm schon gesagt:
»Schön von Euch, daß Ihr die Gäste selbst bedient!«
Da schaut er dann jedesmal mit so rührend hilflos verwunderten Augen den Sprecher an, als könnte er es gar nicht fassen, daß irgendwo in der Welt Wirte leben sollten, die ihre Gäste nicht selbst betreuen.
Der Rosenwirt holt für jeden Gast den Wein frisch vom Keller. Er scheut den Weg nicht, und sei es auch nur wegen eines einzigen lumpigen Seidels für einen einzigen lausigen Gast.
Soeben bringt er mein Viertel. Seht nur, wie bärenhaft er ausschreitet, mein alter Patriarch! Wie die mächtige Hand das Fläschchen umspannt. Es verschwindet ganz in seiner kraftvollen Faust. Und er stellt es mir jetzt etwa nicht kühl und fremd auf den Tisch, o nein! Er hält es fest umklammert und gießt mir eigenhändig das Trinkglas voll. Es sieht aus, als ob der Wein aus seiner Faust herausränne.
Und noch nicht genug damit. Er hebt jetzt das volle Glas, sieht mich mit treuherzigen Augen an und ruft sein rauhes, bergfrisches »Gsegn’s Gott!« Er läßt mich leben und trinkt mir zu. Er hat keinen schlechten Zug.
Das sollte mir nur ein anderer Wirt probieren! Aber beim urwüchsigen Rosenwirt entzückt mich dieser alte Brauch. Diese kleine, naive Gewalttätigkeit läßt ihm gar so gut.
»Gsegn’s Gott«, rufe auch ich, ganz unwillkürlich angesteckt von seiner herzerquickenden Natürlichkeit. »Gsegn es Gott, Sie alter Recke!« Und ich greife nach seiner starken, biederen Hand, um sie einmal recht ordentlich zu drücken.
Da kommt der alte, geizige Kappesbauer mit einem fremden, bäuerisch schüchternen Mädel in die Stube; wahrscheinlich eine Verwandte, die ihn besuchte und die er nun schandenhalber doch auch einmal ausführen muß. Die Stube hat einen kleinen Verschlag, eine Art Loge. Just da hinein muß er sich setzen, der alte, verschrumpfte Geizteufel. Wahrscheinlich vergönnt er mir nicht den Anblick seiner jungen Nichte.
»Also, Kappes, was mögts Ihr leben?«
Der Bauer schaut verdrießlich um sich.
»Lebn, ja«, murmelt er mit einem giftigen Seitenblick auf seinen Besuch. »Da wären halt die Wirt dabei, beim Lebn!«
»Vielleicht ein Kälbernes?« hilft der Rosenwirt nach.
Der Bauer wendet sich mit mürrischer Gebärde an das Mädel:
»Magst du ein Kälbernes, i mag keins!«
Sie hätte schon eines gemögt, aber da er keines wollte, durfte sie schandenhalber auch keines mögen.
»Oder vielleicht ein Gebackenes«, schlug der Wirt weiter vor.
Der Kappes fragte mit drohender Miene seinen Besuch:
»Magst du ein Gebackenes?« Und setzte wieder energisch bei: »I mag keins!«
Unter solchen Umständen getraute sich das schüchterne Mädel auch keines zu mögen. Um alle weiteren Fragen abzuschneiden, bestellte der Kappes kühn und verwegen einen halben Liter Wein. Das hungrige Mädel wollte nun wenigstens ein Stück Brot nehmen. Aber sowie sie in das Brotkörbchen langte, war auch schon der Kappes mit einer wohlmeinenden, väterlichen Warnung zur Hand :
»Pst, Moidele! Laß stehn! Das ghört nit uns!«
Inzwischen kam der patriarchalische Wirt mit dem Wein. Er hielt, wie gewöhnlich, die Flasche in seiner mächtigen Faust und wollte eben, nach altem Brauch, rasch das Glas vollschenken. Aber da kam er beim Kappes schön an.
»Halt aus! Einschenken tue i mir selber«, schrie er und entwand dem verdutzten Wirte blitzschnell die Flasche. Seine geizigen Augen suchten sofort nach dem Eichstrich am Flaschenhals. Und siehe da, es fehlte gut ein halbes Trinkglas voll.
»Wart, du Lump!« zeterte wütend der Kappes. »Deine Schwüng kenn i! Gleich gehst und machst mir voll!«
Oh, du gemeiner, schäbiger, geiziger Kappes! Wie hast du mir mit einem einzigen Griff deiner klauenartigen Finger meine Biedergestalt in den grobleinenen Hemdärmeln zugerichtet.
O starke, biedere, kraftvolle Faust des patriarchalischen Rosenwirtes, wie viele schlecht eingeschenkte Viertel hast du wohl schon, getreu altem Brauchtum, umschlossen gehalten. Rosenwirt, in den hausleinenen Hemdärmeln, lebe wohl!
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