Die Banalen und die Bösen. Jannis Oberdieck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jannis Oberdieck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742722669
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habe ich mir ihren Lebenslauf angesehen: Abgebrochenes Studium der Volkswirtschaft (Versuch, in Vaters Fußstapfen zu treten), nach elf Jahren Studium (keine Nebenjobs, alles von Papa finanziert) schließlich Abschluss in Medizin (Großvaters Fußstapfen), mit Ach und Krach bestanden. Dann Ausbildung zur Fachärztin abgebrochen, kann sich also nicht mit eigener Arztpraxis selbständig machen, also zurück an die Uni und Promotion. Danach drei Jahre Mutterschaft mit der Reihe nach drei Kindern, zog deshalb zurück zum Vater und dessen Kindermädchen. Armer Ehemann! Vater nennt sie immer noch »Röschen«, vielleicht wegen ihrer Stacheln, sie ihn »Papa«. Neue Versuche, als angestellte Ärztin Fuß zu fassen, scheiterten radikal, deshalb weitere Kinder. Bis hierhin ewige Tochter, Studentin und Mutter nebenher, gescheitert im Arbeitsleben, dafür wissenschaftliches Interesse immerhin.

      Letzteres jedoch wohl auch eher Wunschdenken (oder Flucht vor allgegenwärtiger Familie), letztes Jahr wurde ihre Doktorarbeit als Plagiat entlarvt. Ein Gutachter: »eindeutiges Plagiat«, ein anderer sogar: »grobes Schlampen«, an der Uni München wird ihre Promotion Studierenden inzwischen als Negativbeispiel dafür präsentiert, wie Doktorarbeiten auf keinen Fall auszusehen haben (Das glauben Sie mir nicht? Schlagen Sie es nach!). Die Hochschule Hannover jedoch erkennt den Doktortitel nicht ab, da nur ein »mittelschwerer« Fall von Plagiat vorliege. Trotz erfundener Quellen und etlicher durch copy & paste aus anderen Werken zusammengeschusterter Seiten sei »kein durch Täuschungsabsicht geleitetes Fehlverhalten« gegeben. Halt das übliche Problem: Lässt man Leute erst Karriere machen, wird es für alle peinlich, Titel wieder abzuerkennen. Ob die beste Lösung aber wirklich darin besteht, Leute für zu dumm zum Schummeln zu erklären?

      Schließlich brachte wiederum der Vater, früherer Ministerpräsident, die Backhus in einem Landesfachausschuss unter und hievte sie letztlich auf Landtagswahllisten. Erst Schwierigkeiten, üble Gerüchte über den Sieg in einer Kampfabstimmung dank Wahlfälschung. Dann kometenhafter Aufstieg, jedoch immer begleitet vom bösen Verdacht, als eine der bislang ganz wenigen Frauen dieser Partei unverdient nach oben gekommen zu sein, Frauenquote und so weiter. Hartes Brot, würde bei mir wohl ebenfalls eine gewisse Unnahbarkeit nach sich ziehen. Den ganzen Weg über immer flankiert von einem bestimmten BILD-Redakteur, der sie zum Herzschmerz-Adel der deutschen Volksseele erhob (»Trotz ihres Erfolges ist auch sie manchmal einsam«) und vielleicht deshalb später zu ihrem Pressesprecher wurde. Mit Eintritt in die große Politik natürlich alles nicht mehr nachvollziehbar, Intransparenz ohne Ende. Als Verkehrsministerin zumindest gingen ihr offenbar 1,6 Milliarden Euro »verloren«, immer wieder undurchsichtige Lobby-Kungeleien. Insgesamt aber eigentlich ganz sympathisch in ihrer Lebensuntauglichkeit unter harter Schale.

      Problem aber natürlich der Charakter: Behauptet in Interviews immer noch, nicht als Ärztin selbständig geworden zu sein »wegen der Kinder« (über die sie in anderen Interviews spricht, als wären es Kapitalinvestitionen, »gewinnbringende Zukunft«), lässt sich gerne als »promovierte Gynäkologin« bezeichnen. Ei der Daus, da hat´s aber jemand nötig: diesen ganzen Kram mit eigenen Füßen und Aus-dem-Schatten-des-Vaters-Heraustreten. Oder dessen Ansprüchen gerecht zu werden, je nachdem. Spielt gerne die Karte Frau-in-männlicher-Politikwelt aus und erklärt sich zum Opfer patriarchalischer Intrigen. Fordert eine Emanzipation der Männer, zwei Bücher dazu geschrieben (dem Vater gewidmet?). Auf peinliche Fragen wird grundsätzlich nicht geantwortet weil »diskriminierend«. Erklärt andererseits geringeres Einkommen von Frauen als »biologisch bedingt« - immer so, wie´s passt. Besonders schön ein Interview: Gleichberechtigung sei erreicht, »wenn durchschnittliche Frauen in Führungspositionen sind«, zumindest rudimentäre Selbsterkenntnis also vorhanden.

      Kennt man so einen Hintergrund, versteht man Vieles besser. Für mich persönlich kam dabei erstmal heraus, dass die Backhus kein geregeltes Arbeitsleben gewohnt ist, Erwartungen an kollegiale Einstellung also schon im Vorfeld gedämpft. Ist auch tatsächlich so: Sitzt von morgens bis abends hier mit einer andauernden Fokussiertheit, die ich mir nur als Ausdruck innerer Wut erklären kann. Verlangt sich 120% ab (und allen anderen auch), zerbricht regelmäßig daran und meldet sich anschließend eine Woche krank. Will sich und der Restwelt beweisen, dass sie das hier kann, und zwar am besten besser als die Besten. »Tough«, finden viele, »beratungsresistent« die anderen, allgemein aber ist unser Ministerium Kummer gewöhnt. In einer Verwaltungsbehörde sind die gewählten Volksvertreter schließlich immer die größte Schwachstelle, sozusagen der Hemmschuh effizienter Bürokratie. Die neue Chefin immerhin lässt uns bislang in Ruhe arbeiten, statt mit einer Umstrukturierung nach der nächsten anzukommen und zentrale Positionen fachfremd zu besetzen. Himmel, sie hat ja sogar mich wieder aus der Abstellkammer geholt und in Betrieb genommen! Manchmal jedoch, in ganz kurzen Momenten, wenn das Hamsterrad zum Stehen kommt, sieht sie müde und recht traurig aus. Ist es das? Lag das auch soeben in ihrem Blick, als sie kurz zu mir aufsah?

      Montagvormittag immerhin. Vielleicht hat der Ehrgeiz ihr auch am Wochenende kein Privatleben gelassen. Ja, das Gesicht wirkt eindeutig abgespannt, verkniffener als letzte Woche. Die Halogenlampen spiegeln sich stärker als sonst auf ihrer Haut, Schminke heute wohl mit dem Spachtel aufgetragen als zusätzlichen Rüstungsschutz. Wirkt sie deshalb so leblos? Aber nein, Adern zeichnen sich trotzdem noch violett ab, unkaschiert muss es wie eine akute Blutvergiftung aussehen. Was also hat sie bloß? Liegen ihre Augen vielleicht tiefer als sonst?

      Endlich ist die Backhus fertig, schaut wieder auf und schaltet um zu diesem beunruhigenden Grienen, das man von Wahlplakaten und Werbespots für keimfreies Wohnen kennt, strahlend weiße Zähne wie aneinandergereihte Grabsteine. »Ah, Müller, da sind Sie ja. Setzen Sie sich doch.« Natürlich, als hättest du mich vorher nicht bemerkt. Bis dahin also: die Ministerin privat, unbeobachtet, offizielle Version, immerhin nur knapp über fünf Minuten heute. Jetzt endlich Platz genommen in einem der weichen Besprechungsstühle, Auftakt zum Hauptfilm. Wie weit sich ihr Zahnfleisch inzwischen durch aggressive Weißmacher bereits zurückgezogen hat, ein Viertel ihres Grienens schon Rosa! Oder liegt es daran, dass sie die Zähne so bleckt?

      »Vielleicht interessiert es Sie, dass die Kanzlei Münkler & Koch unseren Gesetzesvorschlag für die neue Energiegewinnungssteuer geprüft hat. Ich habe hier jetzt das Gutachten. Bedauerlicher Weise sind sie zu dem Schluss gekommen, dass der Vorschlag so ziemlich allen EU-Gesetzen zur Förderung regenerativer Energien widerspricht«, seufzt sie müde. »Also werden wir das wohl nicht durchkriegen.« Werfe über Kopf einen Blick auf das Siegel der Anwaltskanzlei, siehe da: tatsächlich Münkler & Koch, die Interessensvertretung der Großen der Atomindustrie. Als ich letztes Mal eine Rechnung von denen für ähnliche Expertise sah, war ich mir sicher, dass jemand das Komma falsch gesetzt haben musste. Warum zeigt sie es mir? Mich mit der Nase darauf stoßen, dass sie solche Informationen lieber von Externen einholt statt aus unserer Abteilung? Soll sie doch: Mal sehen, wie lange ihr Budget das noch hergibt.

      »Wir werden die privaten Haushalte also zukünftig nicht mit einer Abgabe für Windräder belasten können?«, frage ich mit geheucheltem Interesse und setze nach: »Reduzieren wir dann die Freibeträge für Unternehmen?« Durch solche kleinen Vorstöße lässt sich wunderbar austesten, wie weit die neue Chefin schon in ihr Amt hineingewachsen ist. Immerhin gab es in letzter Zeit verstärkte Proteste, da die Energiewende über die Stromsteuer verbrauchs- statt einkommensabhängig finanziert wird und damit vor allem an Geringverdienern hängenbleibt. Zwar ist inzwischen längst nicht mehr klar, in welche Richtung diese „Wende“ letztlich führen wird: Der Anteil regenerativer Energien (ohne Strom aus Biomasse) stagniert schon lange bei unter 20%, jedes Jahr jedoch braucht diese Wende dennoch mehr Geld. Backhus´ Vorgänger z.B. hat in seinem letzten Amtsjahr final beschlossen, dass durch sie auch die Entsorgung der Atommüll-Altlasten finanziert werden müsse, sozusagen eine nachträgliche Steuer auf früher verbrauchten Atomstrom. Das brachte ihm die Beförderung zum Minister für Wirtschaft und Technologie ein, während sich nun andererseits Meldungen über Hartz-IV-Empfänger häufen, die ihren Strom nicht zu zahlen vermögen.

      Die Backhus starrt mich einen Moment entgeistert an, heute ist sie wohl nicht so recht auf Posten. Kurz gestatte ich mir, diesen entsetzten Blick zu genießen, noch einmal ein wenig jung und idealistisch gefühlt, grinse dann breit: Hey, hier in der Behörde machen wir solche Scherze, ab und zu zumindest. Keine Panik, sowas gehört zum Arbeitsleben. Die Backhus aber nun sieht erst recht aus, als