Knöpfe das Kügelchen durch die Schlinge in ihrem Nacken. Atme das weizengelbe T-Shirt. Das goldene Haar. Streiche mit der Hand über die Kette, die wie ein friedliches Tier auf ihrer Haut ruht. Rose dreht sich um: „Avez-vous un miroir?“ Irgendwo ein Spiegel? Sieht sich. Kritisch. Lächelt dann. Fällt mir um den Hals: „Danke, danke, lieber Schatz!“
Dieser Halsschmuck ist ihr liebster. Passt zu Kleidern, Hosenanzügen, Blusen. Weil er zu ihr passt. Gewissermaßen ein Stück von ihr ist. So einfach ist das.
Reicher um ein schönes Stück klettern wir weiter. Mächtigen Appetit in Kopf und Bauch. Von einer erhöhten Terrasse überfällt uns kräftiger Geruch. Was gibt es da wohl? Oben alle Tische besetzt. Bis auf einen, der soeben frei wird. „Setzen wir uns schnell, bevor andere schneller sind.“
Auf fast allen Tischen Keramikschalen mit dampfendem Etwas. Die Karte sagt Cassoulet. Erzähle Rose: „Kenne es von einem Essen mit Geschäftsfreunden in Paris. Hatte es öfter nachgekocht. Deftiges, original französisches Alltagsgericht. Für ausgehungerte Familien. Weiße Bohnen. Gänsefleisch, Schweinebauch, Bratwurst, Zwiebeln, Knoblauch, Lorbeerblätter usw. Zwei, drei Mal im Backofen gewendet. Damit viele Krusten den typischen Geschmack dieses simplen Gerichtes erzeugen.“
Rose macht große Augen: „Meinst Du, das ist was für mittags?“ Ich bin heiß. Hirnrissig heiß auf Cassoulet. Bestelle. „Du musst es ja nicht aufessen“ tröste ich Rose.
Sie nimmt ein Stück Brot, knabbert daran herum als hätte sie keinen Appetit. Trinkt einen Schluck schwarzroten Weins. Sieht zum Nachbartisch mit lachenden, laut schmatzenden Leuten. Sieht mich wieder an: „Das Cassoulet muss hier wohl sehr lecker sein.“ „Oh Liebes, kannst Dich auf mich verlassen.“ In Sachen Essen vertrauen wir einander ohne Rücksicht auf schlaue Bemerkungen anderer. „Bon appétit ma chéri!“ Es dauert seine Zeit.
Das fettreiche Gericht im Bauch, ein wenig unsicher auf den Beinen, geht´s Gottseidank bergab. Geländer keines zum Festhalten. Aber Souvenirläden. Jede Menge. Zum Stehenbleiben. Haben wir sie vorhin übersehen? Bleiben stehen. Nicht um zu gucken. Sondern stehen zu bleiben. Ganz langsam durchzuatmen. Nicht gehen müssen. Ach ja.
Die Sonne heizt uns noch mehr auf als wir schon sind. Der Jaguar glüht westminsterblue. Fünfunddreissig Grad lassen auch Briten nicht kalt. Los, alle Türen auf. Gebläse an. Auf höchste Touren. Wir wollen ins Hotel. Ins Bett. Ich fahre mit dem Rest von Nüchternheit vorsichtig. Sehr vorsichtig. Entlang gescheckter Platanenstämme. Bis uns der Julierturm erblickt. „Bis hierher und nicht weiter“, scheint Julius zu sagen. Verweilen eine Viertelstunde im Schatten des Triumpfbogens nebenan. Angenehm kühl. Müdigkeit wird größer. Schatten haben das so an sich. Ach was, fahren wir ins Hotel. Schlafen. Lesen.
Vom Arzt und Apotheker Nostradamus lesen wir haarsträubende Dinge. Er soll im hohen Alter noch jahrelang auf dem zweitausend Meter hohen Mont Ventoux gesessen haben. Um von dort oben die Menschen mit Unglücksbotschaften zu traktieren. Wir begreifen, dass nur aus dieser steinreichen, von Sonne und Mistral ausgetrockneten Landschaft ein Nostradamus kommen konnte. Einer, der Klimakatastrophen in kleinem Maßstab täglich erlebte. Er brauchte sie nur ins Gigantische zu steigern. Um Wirkung zu erzeugen. Physikalische und astronomische Kenntnisse halfen ihm dabei. Hätten wir seine Warnungen in den Wind geschlagen, lebten wir damals? Die Antwort ersparen wir uns.
Geboren wurde er in St. Rémy. Rose: „Ich sah die bronzene Tafel mit seinem Portrait am Rathaus.“ Sein Geist sitzt immer noch auf dem Mont Ventoux. Und pfeift mit dem Wind. Dass es sich anhört wie eine kommende Katastrophe. „Ach, pfeif drauf.“
Nirgendwo so viele Sonnenblumenfelder gesehen wie in der südlichen Provence. Van Gogh beeindruckten sie so sehr, dass er am laufenden Band Sonnenblumenbilder malte. Als er im Irrenhaus des Klosters Saint-Paul-de-Mausol bei St. Rémy seine krankhafte Neigung zum Suizid auskurieren musste.
Da sieht man wieder, dass Kunst nichts mit Verstand zu tun hat. Für ein Bild von ihm zahlen Millionäre Millionen. Ich frage mich, wer hier den Verstand verloren hat. Rose mault: „Ich mag Van Gogh nicht sehr.“
Nächstes Ziel die Abtei Sénanque. Sehen unterwegs keine Hinweisschilder. Auf der Detailkarte schwarzer Punkt mit einem Kreuz sagt, hier ist eine Kirche. Mehr nicht. Das Zisterzienserkloster müsste drei Kugelkreuze haben. Wie Restaurants Sterne. Das Foto der Klosterkirche hat uns mächtig beeindruckt. Schlichter kann kein Bauwerk sein. Konsequente Umsetzung der Forderung Bernard von Clairvaux´, Der Welt ein Beispiel zu geben durch Anspruchslosigkeit. 1148 nach Christus.
Wir sind gespannt, ob unser Bild der Wirklichkeit entspricht. „Ich wette, es ist anders als wir denken. Fotos verschönern in der Regel. Wahrscheinich, weil die Kamera nur mit einem Auge sieht. Unsere zwei Augen müssen mehr sehen. Eigentlich. Auch die weniger schönen Seiten.“ Rose will weiter philosophieren, aber wie finden wir dahin? Kein Hinweisschild hilft.
Es sind etwa achtzehn Kilometer. Nimmt man die Karte ernst. Fahren durch Bauernland. Vorbei an Lavendelfeldern. Bis zum blauen Himmel farbenglühendes Landschaftspanorama. Zartes Lila, dunkelgrün und steinocker. Wir fahren langsam, als die Straße eine enge Kurve macht. Tauchen in den Schatten von Schirmpinien. Wie unter ein Dach. Sonne ausgebremst. Weht der Wind kühler? Wir haben die Fenster offen bis zum Anschlag.
Lavendelduft voll in der Lunge. Ein bisschen zuviel? Zweite Kurve kommt. Dann wieder Lavendellila. Die grauen Steinmauern der Abtei in Lila eingewachsen. Stein und Erde eins. Tief gegründet. Bis ins Alte Testament.
Das kleine Schild ‚Abbaye’ mit weißem Pfeil überflüssig. Vor uns der Baukörper. Hingestreckt vor dem Dunkelgrün des Pinienwaldes am Berg. An der Stelle, wo sich Langhaus und Querhaus berühren, erhebt sich das bescheidene Gebilde, das man nicht Kuppel, nicht Turm nennen kann. Aus Viereck wird Achteck, wird Rund. Selbst das kleine Glockentürmchen obenauf duckt sich. Um nicht hochmütig zu erscheinen. Der Chor knapp gerundet.
Soviel Reduktion sahen wir nur noch in Le Thoronet. Zisterziensisches Prinzip: Gott ist der Größte. Wir dürfen ihm mit Nichts Konkurrenz machen. Eine wasserklare Reinheit des Geistes anstreben. Ihn zu erkennen. Und weil Gott auch Licht ist, richten wir den Bau mit seinem Chor gen Osten. Die Messe bei Sonnenaufgang zu feiern.
Ich sah die Männer mit ihren typischen weißen Kapuzenmänteln im Altenberger Dom. Habe das Gefühl, jetzt müssten sie auch hier auftauchen. In den Chorraum treten.“ Wir gehen hinein. Nichts. Von den kleinen Chorfenstern blendet uns Helligkeit. Nacktes Licht. Keine bunten Glasgeschichten verdunkeln den Raum. Keine protzigen Altäre lenken ab. Ein schlichter Tisch wartet auf das Mahl. Wir stehen im Licht. Uns selbst ausgesetzt. Rose: „Bitte lasst uns gehen. Spüre, ein Anderer hat hier das Sagen.“ Ihre Augen blicken nicht spöttisch.
Die Zikaden vergaß ich. Pardon. Sie sirren Tag und Nacht. Manchmal finden wir es schön. Wie Musik. Es ist Provence, die wir hören. Ärgerlich wird es erst, wenn wir müde sind. Und sie uns nicht einschlafen lassen. Mit ihrer Ruhesägerei. Erst wenn wir zu tief ins Glas geschaut haben, ist Stille.
Tags darauf. Wir stellen unseren Wagen an der Durchgangstrasse von St. Rémy ab. Vor einem Geschäft. Bummeln Hand in Hand durchs Städtchen. Atmen steintrockene Luft. Gucken in das ein und andere Schaufenster. Man weiß ja nie. Vielleicht will irgendwo ein schöner Stoff mitgenommen werden? Eine Olivenholzschale mit besonders ausdrucksvoller Maserung? Ein provençalischer Kräutertopf? Bestellen im ‚Ecu’ einen Tisch für den Abend. Der schon mal sicher. Ein brüllendheißer Kaffee vertrödelt die Zeit um eine weitere halbe Stunde.
Der weiße Jaguar, unser neues Traumauto, wartet. Als wir zehn Schritte entfernt sind, sieht Rose: „Da ist uns einer rein gefahren.“ Rechter Kotflügel vorn kräftig eingedrückt. Lampe total kaputt. Hören Geschrei. Als wir am Wagen sind, stürzt eine Frau aus der Tür ihres kleinen Wäschegeschäfts: „Je l´ai