Kalter Krieg im Spiegel. Peter Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Schmidt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847658351
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vergessen, F. nach der Rolle zu fragen, die ich diesmal spielte. Wie meistens, ließ ich es einfach auf mich zukommen. Sie würden mich schon früh genug darüber aufklären, ob ich russischer Überläufer, ein noch zu bekehrender Angehöriger des tschechischen Außenministeriums oder ostdeutsches ZK-Mitglied war.

      »Regina hat … sie ist – ich meine, sie fühlt sich etwas unpässlich. Offen gestanden, sie wurde von ihrem Freund verprügelt und sieht im Augenblick nicht gerade ansprechend aus. Wir wollten es aber vermeiden, Sie zu enttäuschen. F. ist immer so ungehalten, wenn etwas dazwischenkommt, er legt es gleich als Unwilligkeit aus und bringt einen Vermerk in der Personalakte an. Natürlich habe ich von dem Tausch nichts erwähnt, weil …«

      »Lenken Sie nicht ab.«

      »Ablenken, wovon?«

      »Vom Personalkatalog.«

      Der Kellner kam an unseren Tisch, er neigte sein früh ergrautes Haupt.

      »Möchten Sie etwas essen?«, fragte ich. Sie schüttelte den Kopf. »Suppe? – Omelett? Das gehört zu Ihren Pflichten als Gesellschafterin.«

      »Dann nehme ich Civet de Iangouste«, sagte sie, »und vorher Tourain bordelais. Auch etwas Wein dazu – einen Vouvray neunzehn-zweiundfünfzig.«

      Der Kellner nickte und lächelte zufrieden. Vermutlich, weil das Teuerste war, das die Küche zu bieten hatte.

      »Also?«, erkundigte ich mich, als er gegangen war. »Wie war das mit dem Bilderbuch

      Zwei langbärtige Heinzelmännchen kamen herein und setzten sich in die Bank hinter mir, junge Kerle, vermutlich Studenten. Offenbar interessierte meine neue Liebe sich mehr für die neuen Gäste als für mich, denn sie sah mehrmals zu ihnen hinüber. Dann legte sie bedeutungsvoll den Zeigefinger vor die Lippen.

      »Sie müssten es doch selbst am besten wissen«, flüsterte sie über den Tisch gebeugt.

      »Knoblauch –?«, fragte der Kellner. Er war plötzlich vor uns aus dem Boden gewachsen. »Tourain bordelais mit Knoblauch?«

      »Ja, Knoblauch«, kicherte sie.

      Ich wartete, bis er gegangen war. »Jetzt spannen Sie mich aber auf die Folter.«

      »Sie sind nicht der, für den Sie sich ausgeben.«

      »Wer ist das schon?«

      »Wollen Sie wirklich wissen, ob wir‘s herausbekommen haben?«, fragte sie abschätzig. »Natürlich sind Sie nicht der österreichische Konsul Bredeney, der den Russen Konstruktionsunterlagen der SS20 abgeluchst hat und deswegen eine Weile im Untergrund leben muss.«

      »Sondern?«

      »Sie sind C. – der Chef

      »Ich bin also der Wolf mit der Kreidestimme, der auf F.s Geißlein scharf ist?«

      »Nun wollen Sie mich aber wirklich auf den Arm nehmen.« Ihre Hand suchte nach dem Glas, griff daneben, tastete ein wenig, ehe sie es fand; dann nippte sie eine Winzigkeit von ihrem Martini. »Die ganze Firma weiß es – ich meine: natürlich nur die Mädchen, sie tauschen ihre Erfahrungen aus. Es ist amüsant, zu hören, welche Rolle sie ihnen gerade vorspielen. – Oder hätte ich Ihnen das nicht sagen dürfen? Ich habe Ihnen das Konzept verdorben. Das war geschmacklos von mir. Jetzt sind Sie wohl eingeschnappt? – Werden Sie F. deswegen entlassen?«

      »Entlassen?«, fragte ich geistesabwesend.

      »Ja, weil wir herausbekommen haben – weil wir wissen, dass Sie C. sind, der legendäre Drahtzieher hinter allem. Ich weiß ja, dass F. alt ist und dass er manchmal Fehler macht, aber im Großen und Ganzen hat er doch immer zu Ihrer Zufriedenheit gearbeitet, oder?«

      »In welcher Abteilung sind Sie?«, fragte ich.

      »Rückholung.«

      »Und Sie und F. und der ganze übrige Laden arbeiten für mich, habe ich das richtig verstanden?«

      Sie nahm die goldene Brille ab und betrachtete mich missbilligend und so genau, als zähle sie meine Hemdenknöpfe und die Bartstoppeln an den Wangen (wegen Koflers Ausflug hatte ich versäumt, mich zu rasieren).

      »Sind Sie etwa nicht der Mann, mit dem sich Regina heute Abend …«

      »Doch, doch – schon«, beruhigte ich sie. »Nun wissen Sie also, dass ich die Firma leite und dass ich C. bin, der legendäre Drahtzieher, wie Sie sagen. Haben Sie jemals ein Papier mit meiner Unterschrift zu Gesicht bekommen?«

      »Mit dem C.? Ja.« Sie nickte.

      Plötzlich stand sie auf, um zu telefonieren – es war dringend! Angeblich, wie sich dann herausstellte, weil ihre Freundin ganz krank vor Sorge war, zu erfahren, ob ich den Tausch akzeptiert hatte, oder ob es deswegen Ärger geben würde. Sie sei schon zweimal wegen unentschuldigten Fehlens verwarnt worden, und es ginge das Gerücht um, dass ich noch strenger sei als F., »unberechenbarer«, wie sie sagte, und »launischer«.

      Als sie die Telefonkabine ansteuerte, stieß sie zweimal an – einmal überrannte sie einen Stuhl, dann streifte sie eine Tischkante. Ich nahm an, dass es ihre Brille war. Sie musste sie sich von jemandem geliehen haben, um mich abzuschrecken, und kam nicht mit den Gläsern zurecht.

      »Was soll ich nun mit Ihnen anfangen?«, fragte ich, nachdem sie sich wieder gesetzt hatte. »Im Osten wie im Westen bleiben die Bosse in diesem Geschäft meist im Hintergrund, sie scheuen die Öffentlichkeit, es ist gefährlich für sie, sich zu erkennen zu geben – ich meine die wirklichen Planer, nicht die vorgeschobenen, die der Regierung gegenüber ihre Rechenschaftsberichte ablegen.«

      »Ich kann schweigen«, beteuerte sie.

      »War es F., der durchblicken ließ, wer ich bin?«

      »Oh, nein, nein. Daran, ist er völlig unschuldig. Es war für die Mädchen leicht, sich das zusammenzureimen. Schließlich musste es auffallen, dass in ihren Abenteuern immer von demselben Mann die Rede war. Und wer sonst außer dem Chef hätte F. dazu bewegen können, seine Mädchen für eine solche Aufgabe zu opfern?«

      »Völlig einleuchtend«, bestätigte ich. »Nur eines würde mich noch interessieren. Warum schützen Sie F.? Ihre Bemerkung eben, dass er alt sei und Fehler mache …«

      »Das wissen Sie nicht? Nein, natürlich – Sie können schließlich nicht die Familienverhältnisse aller Mitarbeiter kennen. Er ist mein Vater.«

      »Ihr Vater? Richtig, dass ich nicht gleich darauf gekommen bin – ‘F.’ für Falkner, hab ich recht?«

      Nach dem Essen – sie aß langsam und sah öfter auf die Uhr dabei – war sie durch nichts zu bewegen, noch ein weiteres Glas zu trinken. »Es macht mich beschwipst«, wehrte sie ab. »Zwei Gläser werfen mich um …«

      Ich flüsterte ihr ins Ohr, das störe niemanden, nicht einmal den Martini-Fabrikanten (meine feuchten Lippen an ihre Ohrläppchen, fand sie, kitzelten so, und sie drehte den Kopf zur Seite, dass ich ihr duftendes Haar roch und ihren weißen Nacken sah). Womöglich hätten zwei spitze, überlange Eckzähne mein Problem mit einem Schlage gelöst; ihr Blut in meinem, mein morbides Inneres durch eine Radikalkur erneuert; ein völliger Austausch, danach stand mir der Sinn – und hinter allem wohl der alte Kannibalenglaube, dass mit dem Körper des anderen auch die Seelenkräfte überwechselten.

      In ihre Wohnung wollte sie mich partout nicht mitnehmen, Regina sei krank, sie brauche Ruhe (sie bewohnten gemeinsam ein Apartment; erst später stellte sich heraus, dass es insofern eine Lüge war, als sie zwar zusammenlebten, jedoch ein breiter Korridor ihre Zimmer trennte.

      So landeten wir in einem der letzten Chaplin-Filme, in dem die Loren mitwirkte. Obwohl Barbara heftige Tränen vergoss (es war ein Rühr-, aber kein Kunstwerk), unterbrach sie mich zweimal während der Vorstellung:

      »Erzählen Sie F. um Himmels willen nichts davon, dass ich für Regina eingesprungen bin!«

      »Werde mich hüten«, gab ich zur Antwort und versuchte meinen Arm um ihre Hüfte