Die vermeintlich harte Tour durch unwegsames Gelände begann äußerst moderat. Da bereits der frühe Nachmittag angebrochen war, ließen wir das Gepäck im Auto und machten uns auf einen Spaziergang durch den Wald. Von Dschungel und Schlingpflanzen war nirgendwo etwas zu sehen, stattdessen bewegten wir durch so adretten Laubwald, wie ich ihn zuletzt in der Eifel durchwandert hatte. Auch Kompass und Machete würden wir für diese Tour nicht benötigen, denn vor uns hatten schon genügend andere Touristen einen breiten Trampelpfade gut ausgetreten. Bald erreichen wir einen kleinen Wasserfall, an dem gerade eine andere Trekking Gruppe das Feld räumte, um uns Gelegenheit zum Baden zu geben. Dass erinnerte mich an das Nationalmuseum in Kairo, in dem man die wichtigsten Exponate gruppenweise auch nur dann besuchen konnte, wenn die andere Gruppe das Feld räumte. Sollte es sich im thailändischen Mischwald ähnlich verhalten?
Nach einem kurzen Planschen unterhalb des Wasserfalls, wanderten wir zu einem Meo-Dorf, in dem wir auch übernachten würden. Von den Meos hatte ich in meinem ganzen Leben noch nie etwas gehört, nun erfuhren wir von Ray, dass die Meos ebenso wie die Akha, die Yao oder Lahu zu den chinesischstämmigen Bergvölkern Nordthailands gehörten. Noch weiter im Norden bezögen diese Bergstämme ihr Einkommen unter anderem aus dem Anbau und Verkauf von Opium, was der Regierung in Bangkok keine geringen Probleme bereitete. Das Meo-Dorf, in dem wir übernachten würden, sei jedoch „clean“, so dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchten.
Unser rauschgiftfreies Meo-Dorf lag auf einem Bergplateau mit einer malerischen Aussicht auf die dicht bewachsenen Hügel der Umgebung. Plärrende Kinder in farbenfrohen Trachten empfingen uns, gottlob ohne Eimer voller Wasser. Wir hatten unsere Unterkunft noch nicht erreicht, als uns bereits Jugendliche mit Coca-Cola- und Bierdosen hinterherliefen. Wir passierten einen Souvenirstand, an dem der Tee in Plastikbechern angeboten wurde, und als Jap2 einige Kinder fotografierte, musst er anschließend einige Baht herausrücken. Wir bezogen unser Quartier in einer auf Stelzen erbauten Holzhütte, auf deren Boden Matratzen ausgelegt waren. Von einer kleinen Veranda aus konnten wir die beachtlichen Müllhalden bestaunen, die so ein kleines Dorf im Dschungel produzierte. Den Hunden des Dorfes war es recht, denn laut kläffend kämpften sie um Nahrungsreste in den Abfallhaufen. Inzwischen hatte der Wagen unser Gepäck gebracht, und Jap1 begann mit seinem Kompass unsere genaue Position zu bestimmen. Ich schlenderte zusammen von Jap2 vom Hauptplatz aus in einige der staubigen Seitengassen, doch die abweisenden Gesichter der Meo-Frauen zeigten deutlich, dass es nicht gerne gesehen wurde, wenn die Besucher des Dorfes ihr vorgegebenes Domizil verließen. In der Abenddämmerung setzte ich mich auf den kleinen Holzbalkon unserer Unterkunft, trank Tee und sah zu, wie aus dem Tal nun schon die dritte Trekking Gruppe auf unser Dorf zusteuerte. Keiner der Wanderer mühte sich mit einem Rucksack ab, aber fast alle hatten Kopfhörer in den Ohren. Dieses Meo-Dorf war ganz offenbar ein Dschungel-Hotel für Trekker, in dem jede Nacht fast mehr Besucher als Einheimische schliefen.
Am anderen Morgen, als wir die Siedlung verließen, mussten wir unsere Rucksäcke dann doch selbst tragen, denn nun endeten sogar die Feldwege. Aber auch jetzt war keine Machete erforderlich, und ich musste meine Vorstellungen vom südostasiatischen Dschungel gründlich korrigieren. Hatte ich nicht in „Apokalypse now“ Bilder von undurchdringlichen Wäldern gesehen, durch die man nur mit Kanonenbooten auf den Flüssen weiterkam? Nun aber wanderten wir durch lieblichen Mischwald, sprangen auf großen Steinen über sanft dahinplätschernde Bäche und atmeten die frische Luft des Hochwaldes.
Etwas exotisch wurde es aber dann aber doch noch, als wir nach zwei Stunden gemächlichen Dahingehens das sogenannte „Elefanten-Camp“ erreichten. Dort blickten uns fünf Dickhäuter bereits teilnahmslos und startbereit entgegen. Sie waren schon mit Holzbänken gesattelt, was auf den ersten Blick komfortabel wirkte, sich in Wahrheit aber als eine Tortur herausstellte. Denn die Holzlehnen knallten einem bei jeder der wuchtigen Bewegungen, die das Tier vollführte, in den Rücken. Und auf unseren Hochsitzen hatten wir uns der Äste und Blätter zu erwehren, da wir als Lebendfracht der Elefanten gleichsam in der ersten Etage durch die Baumkronen geschaukelt wurden. Elli, Jackie und Sue kreischten auf ihrem Elefanten, als befänden sie sich in Lebensgefahr, doch Ray auf dem Leittier an der Spitze der Elefanten-Karawane reagierte nicht und führte uns immer tiefer in unebenes Gelände. Dabei entpuppten sich die Elefanten als überraschend wendige Tiere. Ganz gleich, ob sie an schrägen Lehmböschungen entlangliefen oder Böschungen erklimmen mussten, egal, ob es durch verschlammte Flüsse oder mitten durch dichtes Gebüsch ging, flink preschten sie durch das Unterholz, ohne auf ihre zappelnde Fracht zu achten.
Schließlich erreichte die Elefantenkarawane einen knietiefen Fluss, an dessen Ufer wir vor einem sogenannten „River Rafting Camp“ ausgeladen wurden. Elli, Jackie und Sue waren völlig fertig und blickten anklagend auf ihren Dickhäuter, der zusammen mit seinen Kumpels in einem Verschlag des Camps abgestellt wurde. Jap1 hatte die Tour gut überstanden, weil er aus seinem Rucksack einen Tropenhelm herausgezogen und aufgesetzt hatte. Drei einheimische Guides schaffen unser Gepäck in eine geräumige Schlafhütte, auf dem Holzbalkon neben der Schlafhütte stand der Tee bereit. Das war´s für diesen Tag. Die Stunden vergingen entspannt und erholsam, Elli, Jackie und Susi schnatterten wieder, die Japaner schwiegen, und die beiden Holländer legten ihre Ohrhörer beiseite, um ein wenig im Fluss zu planschen. Währenddessen war unsere Crew gut beschäftigt. Ray und seine beiden Assistenten bereiteten das Abendessen vor, die drei Angestellten des Camps bauten aus Dutzenden langer Bambusstangen zwei kleine Flöße zusammen, auf denen wir morgen die letzte Etappe unserer Reise zurücklegen würden.
Der letzte Tag stand ganz im Zeichen des „River Raftings“, doch wer dabei an haarsträubende Schlauchbootfahrten wie auf dem Colorado River dachte, lag falsch. Aber das wussten wir noch nicht, als uns auf den Flößen lange Bambusstangen in die Hand gedrückt wurden. Endlich kam ein wenig Abenteuerstimmung auf, als wir mit lautem Hallo vom Ufer abstießen. Kampfbereit und breitbeinig standen wir mit unseren Bambusstangen auf den Flößen und waren bereit, uns in der Auseinandersetzung mit Stromschnellen und Klippen, Wasserfällen und Untiefen zu bewähren.
Doch diese Bewährung blieb uns erspart. Stattdessen trieben wir langsam dem sachte dahinfließenden kleinen Fluss entlang, und weil rein gar nichts geschah, legte sich die internationale Travellergemeinde nach und nach auf die Bambusplanken, zuerst die Holländer, dann die drei Mädchen und zuletzt die Japaner, und trieb sonnenbadend und entspannt der Endstation unserer gemütlichen Floßfahrt entgegen. Unsere Guides steuerten an malerischen Eingeborenendörfern vorbei, stoppten hier und dort um uns eine besonders fette Dorfsau oder ein besonders herausgeputztes Meo-Haus zu zeigen. Wir sahen die Wälder auf beiden Seiten des Flusses, hörten das Rauschen der Blätter im sanften Wind des Frühlingstages und wurden von anderen Trekker-Flotten überholt oder überholen selber welche.
Schließlich erreichten wir eine kleine Siedlung, an deren Ufer bereits Dutzende von Flößen befestigt waren. Beduselt vom stundenlangen Sonnenbaden stolperten wir an Land, wurden von freundlichen Guides begrüßt, die uns den Nachmittagstee reichten, und sahen bereits unseren Kleinbus am Straßenrand stehen.
Noch vor Anbruch der Dämmerung waren wir wieder im Rama Guesthouse von Chiang Mai. Dort trugen wir unter dem strengen Blick von Chrisi unsere Dankessprüche in das Gästebuch ein. Ich schrieb: „Dank Dir, Ray, für diese wichtige Erfahrung. Und hier mein Tipp für andere Trekker: Bloß nicht den MP3 Player und die Badehose vergessen!“
Für Buddha sind tausend Jahre wie ein Tag