Der Besucher. Norbert Johannes Prenner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Norbert Johannes Prenner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738082944
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müde davon.“ „Zugegeben, ich auch“, sagte Moll und schmunzelte, „aber es beruhigt die Nerven. Vom Wein – also, da werde ich so aufgeputscht – irgendwie, kommt mir immer vor.“ Fräulein Trixi brachte eine Halbe Bier. Moll bedankte sich und führte das Glas sogleich zum Munde. „Prost!“, sagte Sybilla Trinks, und hob gleichzeitig auch ihr Glas Rotwein. Moll wischte den Bierschaumbart über seiner Oberlippe weg und stellte das Glas ab. „Wissen sie“, begann er, Bier ist ein archaisches Getränk, das die alten Ägypter und auch schon die Mesopotamier gekannt haben, und gebraut haben. Ich habe eine gewisse Ehrfurcht davor, wenn ich an seine Eigenschaften denke, ehrlich! Es stillte den Hunger – zur Fastenzeit, in den Klöstern, also da wurde oft tagsüber nichts gegessen, jedoch erhielt jeder Mönch zwei bis drei Maß Bier zugeteilt. Flüssiges Brot, sozusagen.“ Trinks lachte. „Du lieber Himmel! Da waren die ja den ganzen Tag betrunken, was? Ohne zu essen?“ „Kann schon sein. Ich denke, dazwischen haben sie auch manchmal geruht, nicht? Naja, wie auch immer. Tatsache ist, Bier ist äußerst nahrhaft. Und wenn man nicht zu viel davon trinkt, regt es nicht nur hervorragend den Stoffwechsel an, sondern kann auch gewichtsvermindernd sein.“ „Also, davon möchte ich Ihnen abraten. Ein paar Kilo täten Ihnen wirklich nicht schaden!“, sagte sie lächelnd. Moll tat so, als hätte er nicht verstanden, beobachte aber in einem fort Rabitsch am Tisch vor ihnen.

      Es war dieser Blick, den Rabitsch zwischendurch auf ihn und Trinks zu werfen schien, der ihn fürchterlich störte, diese unverschämte Selbstsicherheit, die von ihm ausging, einfach alles! Moll fühlte sich von ihm – ausgezogen, ja, beinahe nackt, irgendwie - dachte er. Unter seinen Blicken fühlte er sich so, als ob er nichts vorzuweisen hätte. Als ob fünfzig Jahre an ihm vorübergegangen wären, in denen er das ewige Kind geblieben sein mochte, nicht der Erwachsene, der hier saß. Andererseits, was hätte dieser schon - ? Als er ihn am Nachmittag im Salon so ausgefragt hatte – ihn, Moll - er wusste kaum zu antworten – ein Verhör beinahe! Er selber das Kaninchen, paralysiert, vor der Schlange – der Schlange Rabitsch. Welchen Beruf mochte er haben? Geschäftsmann vielleicht. Möglich. So glatt, wie er war. „Ach, sagen Sie, die Frau neben Rabitsch – das ist wohl seine Gattin, nicht?“, fragte er rasch. Trinks, die ihnen den Rücken zukehrte, sah sich kurz um und antwortete: „Nein, das ist seine – Liaison!“ Sie sah Moll dabei tief in die Augen. „Was?“ „Ja. Seine Gattin ist oben, auf ihrem Zimmer. Sie pflegt nie, hier bei uns zu essen. Auch Frühstück bekommt sie hinauf serviert. Ich denke, so krank ist sie wieder auch nicht. Oder vielleicht doch? Man weiß es nicht so genau. Er benimmt sich ihr gegenüber jedenfalls unmöglich. Und seine – also, die hier, das ist Linda Maar. Aus – äh, ich weiß nicht, woher. Nach der Kur hier fährt er mit ihr nach Brioni. Jedes Jahr um die gleiche Zeit. Seit Langem schon.“

      Moll schüttelte den Kopf. „Das ist ja nicht zu glauben“, sagte er leise, „und sie? Seine Gattin? Lässt sich das gefallen? Vor allen Leuten hier, ich mein - wieso wissen Sie das eigentlich?“ „Das weiß hier jeder“, sagte sie, „aber wer sollte etwas dagegen haben?“ „Aber – seine Gattin, die .....“ „Die sagt gar nichts. Ein herzensguter Mensch ist sie, ein Engel. Viel zu schade für dieses Ekel. Wer weiß, wozu es gut ist. Ich mache mir wenig Gedanken darüber.“ Moll starrte auf Rabitsch, der sich ausgezeichnet zu unterhalten schien, sein Glas Rotwein schwenkte und aufgekratzt mit Linda Maar konversierte, dabei betrieb er mit seinen Händen eine auffallend aufwendige Gestik. Schien alles furchtbar wichtig zu sein, was er sagte, und vor allem, wie er es sagte. Schade, dass man an diesem Tisch hier nichts verstand, was er denn so Wichtiges zu erzählen hatte, dachte Moll. Sybilla Trinks stocherte lustlos in ihrem Salat, als sie Moll so nebenbei fragte: „Und? Sind Sie eigentlich solo?“ Irgendwann hatte er diese Frage ja erwartet, und insgeheim sogar gehofft, sie würde sie nie stellen. „Sagen wir so“, antwortete Moll, „ich bin nicht ganz allein. Genügt Ihnen das?“ Trinks kaute etwas länger an einem Salatblatt. „Ich habe das Gefühl, dass Sie sich ungern festlegen. Vielleicht sogar ungern binden? Hab’ ich Recht?“ „Könnte sein. Ja. Vielleicht.“

      Moll atmete tief durch. Immer, wenn sich ein Gespräch unmittelbar auf seine Person zu richten begann, spürte er diese Enge in der Brust, einen Druck, als wollte ihm jemand direkt ans Herz. Aber ich lasse es nicht zu, dachte er. Sybilla Trinks musste plötzlich lachen. „Als ich Sie vorhin mit dem jungen Mann da hereinkommen gesehen habe, dachte ich im ersten Moment, das wäre Ihr Sohn. Ja! Irgendwie sehen Sie sich ähnlich. Er ist ja schon länger hier, und ich habe ihn öfters beobachtet, wie er geht, spricht, die Hände bewegt. Aber jetzt, wo ich Sie kenne – also, diese Ähnlichkeit – verblüffend, wirklich!“ Moll schien verwirrt. Wo saß doch dieser Manon gleich? Ach ja, gleich rechts von ihnen. Merkwürdiges Profil. Sieht mir überhaupt nicht ähnlich. Vielleicht sehe ich mich zuwenig oft von der Seite, überlegte er. „Ich glaube, Sie sind ein Mensch, der gerne lange überlegt, bevor er sich entscheidet, wie? So jemand, der sich erst später zu etwas entschließt als andere, richtig?“ „Weiß nicht“, sagte er etwas abwesend, „war das ein – Kompliment?“ „Ja, wenn Sie das so sehen?“, lächelte Trinks und zeigte ihre herrlichen Zähne. Dann nippte sie ein wenig am Wein. „Wenn sie mich entschuldigen!“ Moll stand auf, und ging an Manon vorbei, den er sehr genau beobachtete, in Richtung des Salatbüffets.

      Zu dumm, denn gleich mit ihm war auch Rabitsch aufgestanden, ebenfalls dorthin. Das hätte er gerne vermieden, ärgerte sich Moll. „Na, wie ich sehe, haben Sie ja sofort Anschluss an unsere illustre Runde gefunden wie?“ Rabitsch lachte unangenehm laut, sodass Moll das Gefühl hatte, alle Blicke auf sich gerichtet spüren. Konnte denn dieser Mensch nicht etwas gedämpfter sprechen? Man war schließlich nicht auf dem Marktplatz! „Sagten Sie vorhin nicht, Sie kämen schon länger hierher? Wie kommt es, dass ich Sie noch nie hier gesehen habe?“, drängte ihn Rabitsch. Sein unverschämt lautes Organ machte Moll völlig konfus. Jetzt mussten es alle gehört haben, und er – durfte hier Rede und Antwort stehen, und dann wüssten alle, dass er – „Ja, ja. Ich glaube, schon seit - warten Sie – heuer werden es zwölf Jahre etwa. Aber ich bin meistens im August hier.“ „Aha, ja, da sind wir schon wieder weg. Brioni, Sie verstehen. Hier ist es zu kalt. Einmal regnet es, dann scheint wieder die Sonne, manchmal schneit es sogar. Wer soll das aushalten? Wir lieben die Sonne und das Meer!“

      Wer, wir? Seine Frau war damit wohl nicht gemeint, dachte Moll. Dieser aufgeblasene Kerl, mit seiner ewigen Schalkrawatte, dem englischen Sakko. Dieser Pseudobaron! Genau, jetzt hatte er endlich einen Begriff für ihn gefunden. Der Baron! Von jetzt an würde er ihn überall den Baron nennen. Das passte zu ihm, zu seiner Überheblichkeit! „Was nehmen Sie? Von den Karotten? Ist gut für die Augen, sagt mein Arzt. Sehen Sie, ich bin zweiundsiebzig und brauche die Brille doch nur zum Lesen. Alles wegen der Karotten! Ich habe immer viel Gemüse und Obst gegessen! Das hält fit. Sollten Sie auch probieren. Sie sind ja noch jung. Ihr Jungen esst immer nur so ungesunde Sachen. Viel zu viel Fleisch, sag’ ich immer! Und zu viel Alkohol! Mein Sohn, der ....“ Moll fühlte die Schweißtropfen auf seiner Oberlippe. Er hatte mit dem roten Rübensalat in die grünen Gurken hineingepatzt, worauf sich eine dünne Spur wie der sprichwörtliche rote Faden durch das Grün zog. Ärgerlich, wirklich, dabei hatte er so aufgepasst, und immer einen anderen Löffel genommen. Nur, dieser Rabitsch, der verwirrte ihn völlig. Er hatte das Gefühl, plötzlich nicht mehr selbständig denken zu können. Das erledigte alles Rabitsch für ihn. Dieser Mensch legte sein Gehirn lahm. „Ha ha ha!“, lachte Rabitsch. “Na, da haben Sie ja was angerichtet. Geh’, Fräulein Trixi!“, rief er laut, dass sich alle nach ihnen umdrehten, „wir haben hier ein kleines Problem! Vielleicht könnten Sie...“. Fräulein Trixi eilte sogleich herbei. „Gehn Sie, sind Sie so lieb, dem lieben Herrn Moll ist da ein kleines Missgeschick passiert. Vielleicht könnte man den Gurkensalat da auswechseln? Das schaut nicht so gut aus, bitte, Ja?“ Fräulein Trixi nickte artig und nahm die verunreinigte Schüssel sofort mit in die Küche.

      Moll wollte eigentlich sterben, und nur die freundlichen Blicke, die ihn von Trinks Tisch her trafen, hielten ihn davon ab, augenblicklich und für immer im Parkett zu versinken. Er holte ein Taschentuch aus seiner Hosen-tasche und tupfte damit seine feuchte Stirn. „Lassen Sie es sich schmecken!“, lachte Rabitsch und kehrte wieder an seinen Tisch zurück. Moll, mit zittrigen Händen, hob sein Salatschüsselchen hoch, um sicher zu sein, dass auch nichts tropfte und ging wie gelähmt an seinen Tisch zurück, völlig verwundert darüber, dass er nach dieser Blamage überhaupt noch selbständig