„Ich trinke diesen leckeren Kaffee, serviert von einer bezaubernden jungen Dame erst noch aus, dann können wir“, antwortete er und nippte an der Tasse. Er packte ein paar Sachen vom Schreibtisch zusammen, steckte sie in seine Ledertasche, trank nebenher seinen Kaffee in großen Zügen leer, steckte sich den Keks in den Mund und blies damit zum Aufbruch. „So, jetzt nur nicht dem Alten in die Arme laufen“, dachte er mit einem verschmitzten Gesichtsausdruck.
„Wer fährt?“, fragte Vanessa schnippisch, den Wagenschlüssel schon in der rechten Hand parat. „Glaubst du, du kannst eine Frau am Steuer verkraften?“
„Das hängt ganz von deinem Fahrstil ab. Vergiss nicht, ich für meinen Teil habe jedenfalls heute noch nicht richtig gefrühstückt“, frotzelte Leon.
Sie fuhren mit dem Fahrstuhl in die Tiefgarage bestiegen eines der zahlreichen, nahezu identischen Fahrzeuge der Verlagsflotte. „Koblenzer Tageskurier – Wir bringen es – morgens und auf den Punkt“, war auf allen Wagen auf der Außenseite zu lesen. Mit quietschenden Reifen und unruhigem Gasgeben fuhr Vanessa die steile Ausfahrt hoch, um Leon ein wenig zu beeindrucken.
„Na, na, wir sind auf der Arbeit, nicht auf der Flucht“, stieß Leon etwas überrascht aber witzig gemeint hervor und hielt sich demonstrativ mit beiden Händen am Griff über der Tür fest als wäre er Teilnehmer einer Rallye.
„Wohin fahren wir eigentlich?“, fragte sie ohne weiter auf den Fahrstil einzugehen.
„Wie wäre es mit dem Mühlental? Da gibt es heute in einem kleinen aber feinen Lokal leckeren Brunch vom Buffet, wir wären außerdem ungestört, denn dorthin verirrt sich sicher so leicht kein Tageskurierler“, antwortete er. In der Stadt oder im Weindorf kommen wir vielleicht sonst noch in Erklärungsnot.
„Klingt gut, Gerede brauchen wir im Moment sicher beide nicht. Ich bin schon froh, wenn ich erst einmal die Füße auf die Erde bekomme und ein paar gute Artikel in den Sportteil“, sagte sie mit einem kleinen Seufzer in der Stimme.
„Das wird schon. Gib dir und den anderen etwas Zeit. Der Tod deines Vorgängers steckt allen noch ziemlich in den Knochen. Weißt du, dass es eigentlich mich erwischen sollte? Hätte er nicht, wie schon so oft, von den für mich bestimmten Pralinen genascht, könnte er jetzt weiter die Leute nerven, nur mich vielleicht nicht mehr“, frotzelte er.
„Ach, das krieg ich sicher auch hin“, flirtete sie mit einem Augenzwinkern und einem schrägen Blick. „Im Vernaschen und Nerven bin ich ziemlich gut. Sorry, das klingt jetzt bestimmt pietätlos. Es tut mir natürlich sehr leid für den Kollegen.“
„Hey, Vorsicht, du legst ja ein Tempo vor, da schießt das Blut wie eine Achterbahn von oben nach unten und umgekehrt“, sagte er mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht. „Da vorne rechts ab und dann immer geradeaus. Wir sind gleich da, falls uns nicht ein entgegenkommender Lkw erwischt.“
„Die Geschichte mit meinem toten Vorgänger habe ich natürlich schon erzählt bekommen. Auf deine Version freue ich mich aber ganz besonders“, fügte Vanessa noch an, um nicht desinteressiert zu wirken.
Im Mühlental
Begrüßt wurden beide von einer herrlichen Duftmischung bestehend aus Kaffee, frischen Brötchen, einem Hauch von Croissants, Speck, Eiern, Orangen- und Fruchtsäften.
„Hm, da läuft einem ja wie immer das Wasser im Mund zusammen“, sagte Leon zur Bedienung und lächelte voller Vorfreude, während er am Buffet vorbeilief.
„Boah, nee, das ist ein wahres Kalorienfeuerwerk“, stöhnte Vanessa beim fast panischen Blick auf das Buffet.
„Ach was, hier ist doch auch frisches Obst, Müsli, Magerquark, Wasser, Kaffee schwarz, das volle Programm für Kalorienbewusste und Sportreporterinnen mit Kleidergröße 36. Und zurück läufst du, wenn du mir jetzt weiter den Appetit verdirbst“, witzelte er mit gespieltem strengem Unterton.
„Werde ich wohl müssen. Du kannst es dir ja leisten. An einem Mann stört so ein kleines Bäuchlein vielleicht nicht. Also nicht, dass du eines hättest, aber ich muss wirklich aufpassen“, sagte sie wehmütig und packte mit der rechten Hand eine Hautfalte am Bauch, als wäre dort ein Speckröllchen. „Ich nehme nur einen Kaffee, schwarz.“
„So ein Quatsch, du hast doch eine perfekte Figur. Komm, sei kein Frosch, wir sündigen heute einfach mal zur Feier des Tages und trainieren es nachher zusammen wieder runter“ schlug Leon vor.
„Ferkel!“, kam prompt die Antwort.
„Vanessa, was du wieder denkst. Ich jogge abends am Rhein entlang“, sagte er etwas empört. „Und da könnten wir doch zusammen beim Laufen den Arbeitstag ausklingen lassen, wenn du magst oder auch in meinem Fitnessstudio. Zu Einzelterminen darf man hier Gäste mitbringen.“
„Entschuldigung! Ich dachte schon … Weißt du überhaupt, wie lange du durchlaufen musst, um so ein fettiges Speck-/Eier-Frühstück wieder runter zu trainieren?“, fragte sie um abzulenken und doch wieder auf den für sie entscheidenden Punkt zurück zu kommen.
„Ehrlich gesagt, ich will es gar nicht wissen. Es reicht doch, genau so weit zu laufen, bis das Gewissen wieder beruhigt ist. So ein Frühstück beunruhigt mich ohnehin nicht. Frühstücken wie ein Kaiser, Mittagessen wie ein König und Abendessen wie ein Bettelmann sagte schon irgendein schlauer Kopf. Gibt es ein Leben vor dem Tod, frage ich da eher immer, wenn man sich wirklich alles verbieten soll?“
„Sicher eher ein ganz kurzes, bei dem Fett- und Cholesterin-Buffet hier. Und der Rettungswagen braucht bei dem zu erwartenden Herzinfarkt auch viel zu lange hier ins Mühlental“, spottete sie und verzog angewidert das Gesicht. „Diese alte Regel mit Kaiser, König und Bettelmann ist außerdem nicht mehr zeitgemäß. Wenn du dir morgens den Bauch voll haust, bist du danach hundemüde und kannst gleich wieder ins Bett gehen. Vielleicht stammt der Satz wirklich von einem Kaiser mit tausend Bediensteten und fetter Wampe unter seiner Robe“, spottete sie.
„Das ist hoffentlich jetzt alles nicht dein ernst“, kommentierte Leon den traurigen Beginn des Tages. „Du erlaubst dir einen Spaß mit mir, oder? Du wolltest doch diesen Ausflug heute in erster Linie, erinnerst du dich?“, fügte er an.
Vanessa fing an zu weinen. „Ich kann das einfach alles nicht mehr. Tut mir leid, tut mir wirklich leid. Ich weiß, ich bin echt schrecklich. Keiner kann mich längere Zeit ertragen.“ Sie legte die Hände vor ihr Gesicht. Tränen kullerten.
„Hey, so schlimm war das jetzt auch wieder nicht. Alles gut. Auf zickig steh ich ehrlich gesagt sogar ein bisschen“, versuchte Leon zu trösten und legte die Hand auf ihre Schulter. „Mein Gott, ist die kompliziert“, dachte er jedoch gleichzeitig. „Warum passiert das eigentlich immer mir? Ständig gerate ich an attraktive sympathische junge Damen, die leider bei genauerem Hinsehen völlig durchgeknallt sind.“
Vanessa sprang auf und lief nach draußen, sehr zur Überraschung von Leon. Er stand auf, zuckte in Richtung der erstaunt schauenden Bedienung mit den Schultern und trottete zwangsläufig hinterher. „Tut mir leid, ein anderes Mal vielleicht“, verabschiedete er sich ein wenig traurig von der Dame und vom leckeren Buffet. Er folgte Vanessa nach draußen. Diese lief bereits in einiger Entfernung eiligen Schrittes die enge Straße des Mühlentales hinunter. Leon nahm den Wagen. Zum Glück hatte sie den Schlüssel auf dem Tisch liegen lassen und fuhr ihr mit heruntergekurbelter Scheibe hinterher.
„Vanessa, komm beruhige dich wieder. Steig doch bitte ein!“, sagte er.
„Lass mich einfach in Ruhe!“, schluchzte sie wütend und schaute demonstrativ in eine andere Richtung als hätten sie Streit miteinander.
Leon fuhr ein paar Meter voraus, stieg aus und wartete am Wagen angelehnt bis sie aufgeholt hatte.