Otto nahm sich ein Glas und begann, es mit einem Zipfel seiner Schürze zu putzen. Dabei antwortete er betont langsam, ohne dem Mönch in die Augen zu schauen:
„Nichts dergleichen. Allerlei Gesindel kehrt hier ein. Wir nehmen die Bestellung auf, wenn man uns bedeutet, dass man zahlen kann. So ist es auch bei diesen. Steckt Euer Geld ein und gebt es den Bedürftigen.“ Ein Zischen war die Antwort. Als Otto das Glas weggestellt hatte und er zum Mönch schauen wollte, war dieser schon nach hinten in den vollen Schankraum geschlüpft. Otto sah noch kurz, dass sich die Eingangstür öffnete und dann wieder schloss. Otto hatte verstanden. Ich werde Gottfried schnell warnen müssen, dachte er, bevor er nach hinten in die Küche ging. Hier arbeitete Maria, die Küchenmagd. Sie hatte ihren Rock wegen der Hitze weit über die Knie nach oben gezogen. Mit einem Strick hatte sie den Stoff unter der Brust befestigt, was sicher ungehörig war. Otto übersah es beflissen und bat Gott in Gedanken um Abbitte für dieses ansehnliche Weib. Hochgerötet und schwitzend vor Eile schüttete Maria gerade etwas Brühe zur Hirse. Ihre beiden kleinen Kinder lagen fest geschnürt am Rücken der Mutter. Beide schienen winzig auf diesem breiten Rücken. Otto sah liebevoll, wie ein Vater, auf die Kinder. Sie nuckelten beide mit geschlossenen Augen an ihrem Daumen. Er rief nun halblaut mit belegter Stimme: „Maria!“ Sie war so in die Arbeit versunken, dass sie nicht gleich reagierte. Nun lauter: „Maria, Ihr habt jetzt frei!“ Und um vieles leiser, nachdem sie sich erschrocken umgedreht hatte: „Verlasst schnell das Haus. Es droht Gefahr! Vertraut mir. Hier habt Ihr Euren Lohn.“ Mit dem Hemdsärmel wischte er sich über die Augen. Das leichte Erschrecken Marias war schnell einem aufmerksamen Gesichtsausdruck gewichen. Maria schaute Otto liebevoll an. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie nickte langsam. „Habt Dank, Otto Graufell“, sagte sie. Dann griff sie sich den gepackten Tragesack und verschwand, wie vor langer Zeit besprochen, durch die Hintertür. Draußen öffnete sie kurz ihre Faust. Auf ihrer Hand lag ein kleines Goldstück.
Noch bevor der Hahn schrie, brannte das Gasthaus lichterloh. Gespenstisch schlugen die Flammen meterhoch. Hinter einem umgestoßenen Gläserschrank lag Otto auf dem Rücken. In seinem aufgerissenen Mund steckte seine ihm vorher abgetrennte Hand. Die ehemals leuchtenden Augen schauten in die Weite des Alls, als das Dach berstend über ihm aufriss. Auch jetzt noch schien das Gesicht wissend zu lächeln. Der Türmer stürmte beim ersten hellen Lichtschein aus der Hausmannsstube. Von der Brücke, die die beiden Hausmannstürme der Marktkirche verband, schaute er entsetzt hinunter auf das Inferno. Dann hing er sich mit ganzer Kraft in das Seil der Großen Glocke „Zur Rettung des Seelenheils“. Zwischen den gewaltigen Schlägen der Glocke hörte der Türmer nur das Knarren des dicken Hanfseiles, wenn es nach dem Ziehen aus der Höhe zurück kam. Mit einem Mal waren die Bürger der Stadt wach. Nach wenigen Augenblicken des Entsetzens begannen sie, aufgeschreckt von allen Seiten kommend, Ledereimer und Holzzuber mit Wasser zu füllen. Ein Gedanke beherrschte nun jede Seele. Wenn man das Feuer nicht eindämmen konnte, würde bald die ganze Stadt brennen. Diese Angst und bei vielen auch Mitleid mit dem Unglück der Bewohner der Gastwirtschaft, stand in den Gesichtern der Helfer. Der Türmer brach erschöpft zusammen.
Die Funken stoben aus dem offenen Dach, weit hinauf in die Nacht. Sie aber schwebte langsam nieder. Für einen winzigen Moment blieb die kleine Daunenfeder einer Taube auf Ottos Stirn liegen. Dann verglühte sie in der Hitze, wie eine flüchtige Sternschnuppe, als ein letztes Streicheln der Unendlichkeit.
Als Heinrich wach wurde, hörte er merkwürdige Geräusche. Sein Kopf stieß an Holz. Er lag in etwas Schaukelndem. Seine Schulter und sein Kopf schmerzten. Wo war er hier nur? Wo war Gottfried? Es roch verbrannt, nein sein Umhang, Hemd, selbst die Beinkleider rochen intensiv nach verbranntem Holz und heißer Asche. Er tastete neben sich und fand den Beutel. Er hatte ihn immer noch bei sich. Conrad, der Oberprediger, hatte diesen ihm als einzigen Dank fast vor die Füße geworfen. Nun merkte er, wo er war. Er war auf einem Schiff! Er lag kurz unter einer niedrigen Decke in einer Hängematte! Doch wie kam er hierher? Sie waren doch beide im Gasthaus. Beschämt erinnerte er sich nun daran, dass er am Tisch irgendwann eingeschlafen sein musste. Er war gewürztes Bier nicht gewohnt. Aber so fest zu schlafen und nichts zu hören? Dann polterte auch schon etwas auf einer Treppe. Vor Heinrich auf Gesichtshöhe stand plötzlich ein Schiffer. „Nun junger Herr, wir haben schon vor Stunden abgelegt, es wird Zeit fürs Mittagsgebet. Euer reicher Begleiter hat zwar Eure Tour bezahlt, aber fürs Essen müsst ihr selbst aufkommen. Heißer Tee ist fertig! Der Eimer für Eure Notdurft steht dort in der Ecke. Bringt ihn dann herauf und kippt ihn selbst aus. Waschen könnt Ihr Euch oben. Wir haben viel Wasser um uns!“ Dann lachte er schallend und polterte die Treppe hinauf aufs Deck. Nun setzte sich Heinrich auf und musterte erst einmal seine Umgebung. Die Kajüte war winzig. Gleichzeitig wurde Heinrich bewusst, dass er hier ein großes Privileg nutzte. Auf solchen Flussschiffen gab es höchstens eine einzige Kajüte. Dieser Gottfried musste wohl etwas mehr Geld beim Würfeln gewonnen haben. Sollte er wirklich so viel Glück haben, jetzt schon auf dem Weg nach Magdeburg zu sein? Merkwürdig! Seine Schulter schmerzte nun richtig. Er versuchte, genauer hinzuschauen und spürte, dass sie mit einem kreuzartigen Verband fest verbunden war. Vorsichtig stieg er aus der ungewohnten Hängematte. Heinrich kletterte die schmale Leiter, denn eine Treppe war es wirklich nicht, mit dem stinkenden Eimer nach oben. Nun erst merkte er, wie sich seine Augen an das Halbdunkel der Kajüte gewöhnt hatten. Die Sonne blendete Heinrich und er hatte Mühe, seinen Eimer über die Bordwand zu bringen. Da rief auch schon der Schiffer: „Aber Ausspülen, junger Mann! Nehmt