„Ich bin schon sehr daran interessiert, zu erfahren, wo ich in den nächsten vier Monaten eingesetzt werde“, sagte Fiete.
„Das ist meine Anfangsanstellung bei E.ON und ich bekomme 4400 Euro brutto im Monat, nach erfolgreichem Absolvieren meines Jobs auf den Lofoten werde ich in Hannover zum Abteilungsleiter befördert und damit auf der Karriereleiter schon ein gutes Stück aufgesteigen.“ Clarissa freute sich für Fiete, es war nicht so, dass sie die Geschäftspolitik von E.ON vorbehaltlos unterstützte, aber Fiete hätte mit seinem Abschluss als Diplom-Elektroingenieur kaum eine andere Möglichkeit, in seinem Beruf voranzukommen.
Sie sah sich mit ihm auf dem PC-Monitor die Norwegenkarte an, und sie maßen die Entfernung von Oslo nach Bodoe, die Lofoten lagen ungefähr 1200 Kilometer nördlich von Oslo, weit über dem Polarkreis, man fror schon bei dem Gedanken, dorthin fliegen zu müssen. Der nächste Tag war ein Samstag und sie hatten beide frei, sie wollten in die Stadt und einen Reiseführer und Informationsmaterial über die Lofoten holen. Fiete hätte noch eine Woche in seiner Arbeitsgruppe zu tun, danach hätte er eine Woche Urlaub, um sich vorzubereiten. Am nächsten Morgen fuhren Clarissa und Fiete in die Stadt und hielten sich lange in der Buchhandlung auf, sie deckten sich mit viel Literatur über die Lofoten und mit touristischen Führern ein. Sie fuhren mit dem Material wieder nach Hause, machten es sich dort gemütlich und lasen sich ein, ab und zu unterbrachen sie ihre Lektüre und unterhielten sich über Dinge, die ihnen aufgefallen waren. So sagte Clarissa:
„Ich habe gesehen, dass es drei Flughäfen auf den Lofoten gibt, die von Bodoe aus angeflogen werden.“ Fiete hatte sich gerade über den Alltag auf den Lofoten eingelesen und sagte:
„Auf den Inseln steht alles im Zeichen des Fischfangs, ich werde wohl wieder angeln gehen, wie damals auf Süderland.“ Der Tourismus spielte auch eine Rolle, es wäre aber nicht so, dass dort im Sommer Unmengen von Touristen angelandet würden, wie das auf den Mittelmeerinseln der Fall wäre, die Lofoten wären etwas für Liebhaber. Man führe nicht auf die Lofoten, um dort Badeurlaub zu machen, vielmehr liefe man dort immer in wärmender Kleidung herum und täte gut daran, sich für das Fischen oder das Wandern zu interessieren. Clarissa und Fiete legten ihre Lektüre für einen Moment zur Seite, und sie unterhielten sich über die Stelle in ihrem Leben, an der sie gerade angelangt waren. Fiete meinte:
„Ich bin dabei, mich zu etablieren, darin sehe ich aber nicht so ein Problem, wie das viele tun. Es ist meiner Ansicht nach wichtig, zu trennen zwischen einem Sesshaftwerden nach außen hin und einem Aufgewühltsein im Inneren, das die Energien steuerte, die gelegentlich freigesetzt werden müssen, die die eigentliche Persönlichkeit ausmachen. Es kommt nicht darauf an, wie man nach außen hin agiert, sondern nur darauf, welche die inneren Überzeugungen sind, die man immer hochhalten muss und nie preisgeben darf. Das erfordert innere Stärke, die man aufbauen und sich bewahren muss, sie steht in engem Zusammenhang zur äußeren, körperlichen Stärke.“ Fiete sagte, dass diese beiden Energiepotenziale in einer Wechselwirkung zueinander stünden, und das eine nicht ohne das andere bestehen könnte, so seine Überzeugung.
Er würde seinen Job auf den Lofoten zur Zufriedenheit aller ausführen, er müsste sich dabei nicht verbiegen, Windenergie wäre eine gute Sache und er stünde dahinter. Clarissa bestärkte ihn in seiner Haltung, auch sie fand, dass er nichts von seinem Innersten preisgeben oder sogar opfern müsste, wenn er auf den Lofoten Windkraftwerke installierte. Sie glaubte auch an die Wechselwirkung zwischen Innerem und Äußerem, und dass das eine nicht ohne das andere existieren könnte. Über den genauen Zusammenhang zwischen diesen beiden Energiepotenzialen wäre sie sich aber nicht im Klaren und sie glaubte nicht, dass der Zusammenhang schon bis ins Kleinste erforscht wäre. Sie wüsste aber, dass sie, wenn sie körperlich fit wäre, zu geistigen Höchstleistungen im Stande wäre und umgekehrt, körperliche Erschlaffung durch geistige Ausgeglichenheit wieder besser in den Griff bekäme. Fiete sagte:
„Wir haben in den letzten Jahren etwas in unserem Inneren aufgebaut, was ich als Haltung bezeichne, damit meine ich auch politische Haltung. Dazu gehört, dass wir beide die Nutzung der Kernenergie ablehnen, weil die Technik in Wirklichkeit gar nicht beherrscht wird, solange es nicht gelingt, überzeugende Konzepte zur Entsorgung des Atommülls zu liefern. Trotz aller Warnrufe seitens der Technikfolgenabschätzung wird die Kernenergiegewinnung aber weiter ausgebaut und politisch vorangetrieben.
Es werden Laufzeitverlängerungen für Kraftwerke gewährt, die eigentlich längst abgeschaltet gehören.“
Fiete sah für seine Zukunft die Gefahr, dass er als relativ hochrangiger Mitarbeiter bei E.ON in Konfrontation zu den Befürwortern der Kernenergie geraten könnte, er wüsste noch nicht, wie er sich in einer solchen Situation verhalten würde, vermutlich würde er aber seinen Job bei E.ON aufgeben, aber bis dahin wäre noch viel Zeit, und er wollte sich zu diesem Zeitpunkt darüber noch keine Gedanken machen. Clarissa fragte Fiete:
„Hast du überhaupt ausreichend warme Sachen für die Lofoten, wir sollten besser am Nachmittag noch einmal in die Stadt gehen und Schuhe, Pullover und eine Jacke für dich suchen, auch eine gute Reisetasche musst du haben, am besten halten wir nach einem Trolley für dich Ausschau!“ Doch zunächst wollte Fiete ein leckeres Mittagessen bereiten:
„Ich denke an ein Gulasch aus Rindfleisch mit Spätzle und Salat.“ Clarissa war einverstanden und freute sich darauf, mit Fiete zu kochen. Sie mussten aber noch einkaufen gehen, der Supermarkt lag gleich um die Ecke und sie zogen los. In der Fleischabteilung kaufte Fiete ein Pfund mageres Rindfleisch, sie nahmen Tomaten und einen Kopf grünen Salat mit und luden ein Paket Spätzle in ihren Einkaufswagen. Fiete nahm auch eine Flasche Rotwein mit, von dem sie beide ein Glas zum Essen trinken wollten.
Zu Hause wetzte Fiete sein Küchenmesser an einem Wetzstahl und schnitt das Fleisch in mundgerechte Stücke, er gab etwas Olivenöl in eine Panne und ließ es recht heiß werden. Anschließend gab er das Fleisch in die Pfanne und briet es kräftig an, bis es braun wurde. Mit einem Pfannenwender rührte er in der Pfanne, um zu verhindern, dass das Fleisch anbrannte. Er schnitt eine große Zwiebel in feine Stücke und fügte diese zu dem Fleisch, löschte mit etwas Brühe ab und stellte die Platte auf „Eins“, er salzte, pfefferte und gab Paprikapulver hinzu, zum Schluss legte er den Deckel auf die Pfanne und ließ das Fleisch eineinhalb Stunden schmurgeln. Clarissa hatte in der Zwischenzeit den Salat gewaschen und machte eine Salatsoße aus Essig, Öl, Salz, Pfeffer und Senf, sie schnitt zwei Tomaten in Scheiben und halbierte diese, im Anschluss trocknete sie den Salat und vermengte ihn mit den Tomaten und der Soße. Gegen Ende der Bratzeit, als noch etwa zwanzig Minuten Zeit blieben, setzten sie die Spätzle auf und ließen sie ungefähr zwanzig Minuten ziehen, bis sie weich waren, aber noch Biss hatten. Fiete deckte den Tisch und öffnete den Rotwein, er hatte einen „Dornfelder“ gekauft und schüttete jedem ein Glas davon ein. Clarissa stellte den Salat auf den Tisch und schüttete die Spätzle ab, sie gab sie in eine Schüssel, während Fiete das Gulasch in der Pfanne beließ und die Pfanne auf den Tisch stellte
Sie nahmen beide ihr Weinglas hoch und stießen miteinander an, sie küssten sich und wünschten sich eine guten Appetit. Das Gulasch war ausgezeichnet gelungen, das Fleisch war weich und zart, die Spätzle passten eigentlich am besten dazu, früher hatte es Kartoffeln dazu gegeben, aber in den letzten Jahren fanden die Spätzle immer mehr Verbreitung, Nach dem Essen legten Clarissa und Fiete sich ein Zeit lang hin und kuschelten miteinander, sie standen aber früh wieder auf, weil sie ja noch in die Stadt wollten. Sie räumten schnell den Tisch ab und gingen zur Straßenbahn, die nach zehn Minuten kam und sie zum Hauptbahnhof brachte, wo sie ausstiegen und durch die Schillerstraße zu Karstadt liefen. Es war voll in der Stadt, die Leute kauften am Samstagnachmittag, weil sie in der Woche keine Zeit