Oktoberstürme. Gerd-Rainer Prothmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerd-Rainer Prothmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737585385
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der Nichtrückfälligen. Ihre Wehleidigkeit.

      Es wäre eigentlich schon reizvoll, mal mit anderen Leuten zu arbeiten. Mit Erwachsenen. Aber er wusste auch, wie leicht es für ihn gewesen war, bei der Klientel ohne große Anstrengung Autorität zu haben. Bei der künftigen würde das wahrscheinlich nicht mehr so einfach sein.

      Wie hatte ihn eine lockere Beziehung so binden können?

      »Sie wird wohl nicht wiederkommen.«

      Wie ertappt, weil es der Gedanke war, den er auch gerade hatte, drehte er sich um. Hinter ihm stand der Kommissar.

      »Schleichen Sie hinter mir her?«, fragte er missmutig.

      »Ich muss nicht schleichen«, lächelte der. »Sie scheinen mir nur gar nichts mehr wahrzunehmen.«

      »Manche Leute kann man schon mal übersehen. Ist das strafbar?«, konterte Jan etwas humorlos.

      »Nein, das nicht. Zigarette?« Er hielt Jan eine Schachtel Gauloises Rubio Rojo hin.

      »Danke, ich rauche Pfeife«, wehrte der ab und hielt seine Pfeife hoch.

      Und er meinte damit auch deutlich gemacht zu haben, dass er das gern alleine tue. Der kleine Kommissar war ihm von Anfang an auf die Nerven gegangen.

      Es entstand eine längere Pause, in der beide rauchend in die Ferne schauten.

      Es war tatsächlich reiner Zufall gewesen, dass Vargas ihm gefolgt war. Er hatte bei der Guardia Civil in Felanitx eine Besprechung darüber gehabt, ob das Paar Isabela und Bernd Balke bei der Polizei schon negativ aufgefallen wäre. Aber dort gab es keine Erkenntnisse oder Anzeigen. Die Anzeige von Jan Borsum war die erste gewesen.

      Vargas hatte noch keine Lust gehabt, gleich nach Hause zu fahren. Seine Frau würde erst spät wiederkommen. Sie war zu einem Treffen mit anderen Kinderpsychologen nach Palma gefahren.

      Statt der direkten Strecke nach Manacor hatte er die Caretera Felanitx-Porto Colom genommen. Er wollte im Waldrestaurant El Castillo Del Bosque etwas essen. Draußen. Unter Pinien.

      Er war gerade fertig gewesen, als er beim Einsteigen den gerade auf die Straße Richtung Manacor einbiegenden Jan Borsum bemerkte. Ohne besondere Absicht war er ihm dann hinterher gefahren.

      »Schön hier«, unterbrach Vargas schließlich die Pause.

      »Hm«, murmelte Jan nur. Ohne die geringste Neigung zu einem Gespräch.

      »Wie lange sind Sie jetzt auf Mallorca?«

      »Knapp drei Wochen. Aber das wissen Sie doch längst!«

      »Alles wissen wir leider nicht. Drei Wochen«, brummelte Vargas wie zu sich selbst.

      »Die Bucht hier kennen, glaube ich, nur Eingeweihte.« Jan schwieg. »Wahrscheinlich kennen Sie Isabela Balke genauso lange. Oder sogar noch länger?« Jetzt reichte es Jan.

      »Hören Sie, Herr Kommissar, ich habe keine Lust auf diese alberne Nummer! Noch mal zum Mitschreiben. Ganz langsam, damit Sie mich auch verstehen. Ich habe Isabela erst hier kennengelernt und es ist eine Art Verhältnis daraus geworden. Ich habe das größte Interesse daran, dass sie wiedergefunden wird. Und es ist Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen!«

      »Aber genau daran arbeite ich doch gerade«, lächelte Vargas geduldig.

      »Dann müssen Sie ihrem Mann hinterherschleichen und nicht mir!«, schnauzte Jan ihn an.

      »Warum meinen Sie das?«, fragte Vargas nach einer unerwartet langen Pause.

      »Bernd Balke hat geschrien wie ein Verrückter. Bernd Balke hat sie beschimpft.

      Bernd Balke hat sie vielleicht geschlagen. Und er glaubte vielleicht, einen Grund zu haben.«

      »Welchen?«, hakte Vargas nach.

      »Ich könnte ja auch einer gewesen sein.« Vargas sog an seinen Lippen, als schmeckte er diesen Gedanken zum ersten Mal ab:

      »Da ist was dran. Aber er hat ganz offen zugegeben, dass sie sich gestritten haben. Wo haben Sie sich denn kennengelernt?«

      »Bernd Balke und Isabela?«, fragte Jan irritiert.

      »Nein, Sie.«

      »Im Haus eines Freundes, das sie betreut.«

      Als hätte er genau diese Antwort erwartet, bemerkte Vargas knapp: »Ja. Und seit sie verschwunden ist, haben Sie kein Lebenszeichen mehr von ihr erhalten?«

      »Haben andere das denn?«

      »Absolut nicht.« Vargas‘ Handy klingelte.

      Er ging ein paar Schritte abseits und sprach sehr schnell und gedämpft. Jan schnappte davon nur das Wort »Capdepera« auf.

      »Wenn Sie etwas hören, melden Sie sich bitte bei mir«, sagte er zu Jan, als er zurückkam. »Ich muss los.« Er drückte seinen Zigarettenstummel an dem Felsen aus, auf dem Jan saß steckte ihn in die Zigarettenschachtel, drehte sich um und ging. Im Weggehen sagte er über die Schulter zu Jan: »Nos vemos!«

      * * *

      10.

      Vargas fuhr über die Küstenstraße nach Capdepera. Über Porto Christo und Cala Millor.

      Etwa zwei Seemeilen nördlich vom Leuchtturm hatte ein Fischer eine halb versunkene Yacht entdeckt, die mit dem Heck auf dem Felsen einer Untiefe hängen geblieben war.

      Es gab noch keine eindeutige Erkenntnis über die Nationalität des Eigentümers. Es könnte aber ein Deutscher sein. Da Vargas der Spezialist für deutsche Angelegenheiten war, hatte man ihn angerufen. Sein Citroën war zwar schon 10 Jahre alt. Aber Vargas hatte ihn mit einer fantastischen Anlage aufgerüstet. Er liebte es, Jazz zu hören. Gitarrenjazz. Er spielte selbst ein bisschen Gitarre. Für die Fahrt nach Norden hatte er sich Charlie Haden & Jim Hall in den CD-Player geschoben. Nur Gitarre und Bass. Die CD würde für die Hin- und Rückfahrt reichen.

      Er schwebte auf der gerade nicht sehr befahrenen Straße nach Norden und genoss die filigrane Musik. Zahlreiche Stichstraßen zweigten rechts zu den Ferienorten und Buchten ab.

      Vargas nahm es kaum zur Kenntnis. Seine Synapsen für touristische Reize und Sünden waren total unterentwickelt. Er fuhr zügig. Unverkrampft im Rahmen der vorgeschriebenen Geschwindigkeit.

      Es gab keine akute Gefahr. Keinen direkt zu verfolgenden Täter. Deshalb auch keine Eile.

      Er dachte über Isabela Balke nach. Über Jan Borsum und über Bernd Balke, den Mann von Isabela. Bis jetzt gab es keine echten Hinweise auf ein Verbrechen.

      Sie war verschwunden. Nun gut. Nach allem, was er von ihr in Erfahrung gebracht hatte, ist sie eine selbstbewusste und selbstständige Frau. Warum sollte sie nicht einfach aufgebrochen sein. In ein neues Leben? Was sollte sie hier zurückhalten? Ihr Mann? Wohl kaum. Er würde ohne sie nicht zurechtkommen. Sie ohne ihn schon. Jan Borsum? Nach eigener Aussage hat er mit ihr nur »eine Art Verhältnis«. Das ist nicht viel. Sicher nicht genug, um sie zurückzuhalten, wenn sie wirklich weg will.

      Merkwürdig bloß, dass sie keinem etwas gesagt hat. Weder Bernd Balke noch Jan Borsum. Auch keinem der Fincabesitzer, für die sie arbeitet. Das hatte er überprüft.

      Noch deutete nichts auf ein Verbrechen hin. Wenn in den nächsten beiden Wochen kein Hinweis auftaucht, wird er die Akte erst einmal beiseitelegen.

      Kämen Balke und Borsum überhaupt als Täter in Frage?

      Bernd Balke ist sicher kein sympathischer Geselle. Ein Junkie. Geld für Stoff steht da immer im Vordergrund. Aber warum sollte er mit Isabela Balke seine Hauptstütze einreißen?

      Jan Borsum hat die Guardia Civil gerufen. Warum hätte er das tun sollen, wenn er sie beseitigen wollte? Oder vielleicht gerade deswegen? Um ein Alibi zu haben? Intelligent genug für solche Finten ist er schon. Aber warum sollte er sie beseitigen wollen? Vargas kriminalistischer Kompass, auf den er sich bis jetzt immer verlassen konnte, zeigte in keine Richtung.

      Die CD war bei dem Stück »Turnaround«