»Du irrst! Nicht wir, sondern die Bejat haben dies gethan!«
»Aber Ihr seid doch Bejat!«
»Nein! Wir sind fünf friedliche Männer. Einer von ihnen und ich sind Krieger aus dem fernen Frankistan; der Dritte ist mein Diener, ein Araber, der jenseits weit hinter Mekka geboren wurde, und die beiden Letzten sind Beni Arab aus dem Westen von hier, die noch niemals Eure Feinde gewesen sind.«
»Das sagst Du, um mich zu täuschen. Auf diese Weise werdet Ihr uns nicht entkommen. Ihr seid Bejat!«
Ich warf den Burnus zurück und schob den weiten Ärmel meiner Jacke empor; dann entfernte ich auch das Unterkleid.
»Hat ein Bejat, ein Kurde, oder ein Araber einen solchen Arm?« frug ich.
»Er ist weiß,« antwortete er. »Ist Dein ganzer Körper so?«
»Natürlich. Kannst Du lesen?«
»Ja,« antwortete er stolz.
Ich nahm mein Notizbuch heraus und hielt es ihm hin.
»Ist dies die Schrift eines Kurden oder Arabers?«
»Das ist eine fremde Schrift.«
Ich steckte das Buch wieder ein und öffnete den Paß.
»Kennst Du dieses Siegel?«
»Katera Allah – bei Gott! Das ist das Siegel des Großherrn!«
»Und dieses Siegel mußt Du achten, denn Du bist ein Krieger des Pascha von Sulimania, der dem Sultan Rechenschaft geben muß. Glaubst Du nun, daß ich kein Bejat bin?«
»Ich glaube es.«
»Ebenso wahr ist auch das, was ich Dir von den Andern sagte.«
»Aber Ihr wart ja bei den Bejat!«
»Wir trafen sie eine Tagreise im Norden von hier. Sie nahmen uns als ihre Gäste auf und sagten, daß sie zu einem Feste der Dschiaf reiten wollten. Wir wußten nicht, daß sie Feinde der Bebbeh sind; wir ahnten also auch nicht, daß sie Euch überfallen und berauben wollten. Gestern Abend schliefen wir unter ihrem Schutze ein; sie aber schlichen sich fort, und als sie wiederkehrten, erkannten wir erst, daß wir das Brod von Räubern und Dieben gegessen hatten. Ich zankte darüber mit Khan Heider Mirlam, und unterdessen wurden wir von Euch angegriffen.«
»Oh! Allah gebe, daß Heider Mirlam uns nicht entkommt! Habt Ihr Euch gegen die Unserigen gewehrt?«
»Ja. Wir mußten es, weil sie uns angriffen.«
»Habt Ihr Einen getödtet?«
»Keinen Einzigen.«
»Beschwöre es!«
»Ich schwöre nicht; ich bin ein Christ.«
»Ein Christ!« meinte er überrascht und mit einer mitleidigen Miene. »O, nun weiß ich, daß Du wirklich kein Kurde und kein Turkomane bist, denn ein Moslem wird niemals sagen, daß er ein Christ sei. Nun glaube ich auch, daß Ihr keinen von den Unserigen getödtet habt, sondern geflohen seid. Wie kann ein Christ einen Moslem tödten!«
Es lag so viel Verachtung in seinem Tone, daß ich ihm am liebsten eine kräftige Ohrfeige gegeben hätte; aber um unseres eigenen Vortheiles willen mußte ich seine Beleidigung ruhig ertragen. Ich befand mich in einer keineswegs sehr angenehmen Lage, denn die zurückgebliebenen Bebbeh waren mittlerweile auch herbeigekommen und hatten sich mit den Andern vereinigt, so daß nur fünfhundert Schritte von mir entfernt über dreißig Feinde hielten. Die geringste Unvorsichtigkeit konnte mein augenblickliches Verderben sein.
»Du siehst also, daß wir nicht Eure Feinde sind, und wirst uns ungehindert gehen lassen?«
»Wohin wollt Ihr gehen?«
»Gegen Bagdad hin.«
»Bleibe hier. Ich werde mit den Bebbeh reden!«
Er stand auf und ging zurück, ohne im Vorüberschreiten seine weggeworfene Keule eines Blickes zu würdigen. Es war eine lange, sehr lange Unterredung, welche nun erfolgte; man sprach für und wider, wie ich aus den Geberden ersah, und es war über eine Viertelstunde vergangen, ehe er zu mir zurückkehrte.
Er setzte sich nicht wieder; darum stand ich gleichfalls auf.
»Du könntest gehen,« entschied er; »aber wir haben Deine Gefährten noch nicht gesehen. Rufe sie herbei! Auf meinen Wink werden auch vier Bebbeh erscheinen; dann sind wir gleich.«
Dieser Vorschlag war ganz außerordentlich gefährlich. Ich hatte mich gar noch nicht wieder nach den Gefährten umgesehen, um nichts an Respekt bei dem Abgesandten einzubüßen; aber als ich mich jetzt umdrehte, sah ich sie in einer Entfernung von wenigstens zweitausend Schritten von uns halten. Sollten sie diesen günstigen Vorsprung aufgeben, um sich vielleicht fangen zu lassen? Ich mußte vorsichtig handeln.
»Du irrst,« antwortete ich; »dann sind wir nicht gleich.«
»Warum nicht? Ihr seid Fünf und wir auch.«
»Sieh den Vorsprung, den meine Brüder jetzt haben, und denke an den, welchen sie dann haben werden, wenn sie hier sind und Ihr ihnen nicht den Frieden bietet!«
Er machte eine Armbewegung der unendlichsten Geringschätzung.
»Fürchte nichts, Giaur! Wir sind Bebbeh und keine Bejat. Wir werden Euch ganz denselben Vorsprung wieder lassen.«
Unter andern Verhältnissen hätte ich diesem Manne für seinen ›Giaur‹ sicherlich ganz anders geantwortet; jetzt aber hielt ich es für das Klügste, diese Beleidigung gar nicht gehört zu haben. Darum erwiederte ich nur:
»Ich traue Dir! Werden Deine vier Männer bewaffnet kommen?«
»Wie Du es willst.«
»Sie mögen ihre Waffen behalten, und auch wir beide wollen die unserigen wieder nehmen.«
Er nickte stumm und kehrte zurück. Ich steckte Dolche und Revolver wieder in den Gürtel und stieg zu Pferde. Dann winkte ich den Gefährten. Die Atmosphäre war so rein und klar, daß sie selbst auf eine solche Entfernung hin meine Armbewegung erkennen konnten. Sie folgten dem Winke und kamen herbei. Bald hielten wir in einer Reihe neben einander und fünf Bebbeh uns gegenüber.
»Welcher ist der andere Franke?« frug der Anführer.
Ich deutete auf Lindsay und antwortete: »Dieser!«
Über die ernsten Züge der Kurden glitt eine Art von Lächeln, und der Sprecher meinte:
»Ich glaube, daß er ein Franke und ein Christ ist, denn er hat die Nase eines Khansir, die man Rüssel nennt.«
Das war denn doch mehr, als ich ihm erlauben durfte.
»Diese Art von Nasen habe ich in Alep und Diarbekr bei vielen Gläubigen gesehen,« antwortete ich.
Er fuhr empor: »Schweige, Giaur!«
Ich ließ mein Pferd einen Schritt vortreten.
»Höre, Mann, Du sagtest vorhin, daß Du lesen könnest. Hast Du vielleicht auch den Kuran gelesen?«
»Was geht es Dich an!«
»Ich frage allerdings nicht viel nach dem Buche des Propheten, denn ich bin ein Christ; Du aber bist ein Moslem und solltest thun, was Muhammed befiehlt! Hat er nicht gesagt: ›Wer einen Feind ehrt, den lieben die Tapferen; wer aber einen Feind schändet, den lieben die Feiglinge!‹ Du hast Deine Lehre von dem Propheten erhalten und denkst, Du hättest die richtige; wir haben die unserige von Isa Ben Marryam erhalten und glauben, daß sie die richtige sei; wir haben also beide das Recht, uns Giaurs zu nennen. Du hast es gethan, ich aber nicht; denn es ist nicht fein und schön, einen Menschen ärgern zu wollen. Wer seinen Mitmenschen in den Staub tritt, der beschmutzt sich selbst. Merke Dir das, Bebbeh!«
Er blieb vor Erstaunen über meine vermeintliche Kühnheit eine ganze Weile wortlos; dann aber riß er zornig den Dolch aus dem Gürtel.
»Mensch,