„Ja! Für ein paar Tage im sonnigen Portugal reicht es. Regenschirm und Windjacke brauche ich hier ja nicht“, sagte er zufrieden.
Vilar nahm ihm grinsend die Tasche ab und drängte ihn mit sanfter Gewalt zum Ausgang.
„Ein paar Tage. So, so!“
Der junge Mann lächelte verschmitzt.
„Sie glauben also, dass Sie den Mordfall in ein paar Tagen gelöst haben?“
Inzwischen traten sie ins Freie. Bramme blieb abrupt stehen. Zwischen seinen Augenbrauen bildeten sich zwei kleine, senkrechte Falten, die sein Kollege Petersen sofort als Alarmzeichen gewertet hätte.
„Moment mal! Damit wir uns recht verstehen: Ich habe hier keinen Fall zu lösen. Wie heißt der Ermordete noch mal?“
„Miguel Mora.“
„Die Aufklärung des Mordes an diesem Miguel Mora ist allein Ihre Sache. Meine Aufgabe ist es lediglich, darauf zu achten, dass bei den Untersuchungen nichts unter den Teppich gekehrt wird!“
Ein kurzes Schweigen trat ein. Comissario Vilar stand da wie ein begossener Pudel und ließ die Schultern hängen. Zu allem Unglück huschte in diesem Moment auch noch eine schwarze Katze über den Bürgersteig und verschwand hinter einem Container.
„Mein Fall ist es auch nicht“, gab Vilar schließlich achselzuckend zu verstehen, „die Untersuchungen vor Ort führt mein Kollege Henrique Caldelas. Ich bin nur hier, um Ihnen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen.“
„Das kann ja heiter werden!“, murmelte Bramme vor sich hin, doch die Sonnenstrahlen, die ihn vor einer knappen Stunde im Flugzeug begrüßt hatten, ergossen sich nun herrlich einladend und ungefiltert über sein Gesicht, und er nahm die Brille ab, um die Nase in den Himmel zu strecken. Nach den vergangenen Tagen im vergleichsweise frostigen Deutschland erschien ihm Portugal wie das Paradies auf Erden, und die Sonne hatte nun mal die gute Eigenschaft, Probleme kleiner erscheinen zu lassen und die positiven Dinge ins rechte Licht zu rücken.
Vilar hielt es offensichtlich für klug, das Thema nicht weiter zu vertiefen, und nachdem er Bramme geduldig beim Tanken von Vitamin D zugesehen hatte, lächelte er.
„Darf ich Sie zu einem Imbiss, oder einem Drink einladen?“
„Nein, danke“, Bramme setzte die Sonnenbrille wieder auf und folgte Vilar, „wie weit ist es denn bis Setubal?“
„Ach, das ist nur ein Katzensprung. Setubal ist berühmt für seine Austern. Wenn ich nur daran denke, läuft mir schon das Wasser im Munde zusammen!“ Sich die Lippen leckend und scherzhaft den Bauch reibend verdrehte er genießerisch die Augen.
„Wo wohne ich überhaupt?“, wollte Bramme wissen.
„Wir haben Sie in einem kleinen schnuckeligen Hotel untergebracht. Sie werden begeistert sein!“
Er winkte ein herannahendes Taxi herbei, und als er Brammes fragenden Blick sah, beeilte er sich, seinen Gast aufzuklären.
„In Setubal steht natürlich ein Wagen für uns bereit.“
Der Taxifahrer hielt von Geschwindigkeitsbeschränkungen gar nichts und bretterte auf der Überholspur erst durch die Stadt und dann über den siebzehn Kilometer lange Ponte Vasco da Gama, ein beeindruckendes Meisterwerk der Brückenbaukunst. Am Ende der Brücke fuhren sie auf eine Raststätte zu.
„Haben Sie wirklich keinen Hunger, Senhor Bramme?“
„Nein. Erst die Arbeit und dann das Vergnügen. Jetzt fahren wir erst mal zu Ihrem Kollegen Caldelas und holen uns die Ermittlungsakte und den Wagen.“
„Mir knurrt aber schon der Magen!“
„Hunger fördert die Kreativität“, gab Bramme ironisch zurück und nahm die Sonnenbrille ab.
Vilar spielte den Beleidigten, doch Bramme tat so, als bemerke er das nicht.
„Was wissen Sie denn über den Fall?“
„Ich weiß auch nur das, was in den Zeitungen steht.“
„Und was steht da drin?“
„Dass sich zwei einflussreiche Familien, die Moras und die Delgados, in der Wolle haben. Der älteste Sohn der Moras ist erschossen worden, und sein Vater beschuldigt nun die Delgados.“
„Hat er Beweise?“
„Keine Ahnung! – Das ist aber nicht der einzige Fall, der uns derzeit zu schaffen macht.“
„So?“
„Der Leiter des hiesigen Zollamtes, Jorge Tavira, ist seit ein paar Tagen spurlos verschwunden.“
„Das geht mich nichts an. Damit sollen sich Ihre Kollegen herumschlagen.“
Damit ein für alle Mal klar war, dass er mit dem zweiten Fall nichts zu tun haben wollte, schaute Bramme demonstrativ zum Fenster hinaus.
Vor Setubal wurde der Verkehr dichter und kam des Öfteren ins Stocken. Motorroller drängelten sich durch die Autoschlangen und ernteten hupenden Protest dafür. Bramme begann, diese lebendige Stadt zu mögen.
3. Kapitel
Das Polizeirevier in Setubal lag direkt an der Avenida Luisa Todi. Es war weiß gestrichen, um der ungnädigen Sonneneinstrahlung etwas Einhalt zu gebieten. Da die Platzverhältnisse dort sehr beengt waren, hatte Comissario Henrique Caldelas, angeblich auf Drängen des Ministeriums, für den Sonderermittler aus Deutschland ein Büro im benachbarten Comando Distribal eingerichtet. Dieses hellgelb gestrichene Gebäude war von einem hohen Staketenzaun abgeschirmt, dahinter lag ein großer Parkplatz. Es machte einen vertrauenerweckenden Eindruck.
Als Bramme das Gebäude betrat, spürte er sogleich eine angenehme Kühle. Schon auf den paar Schritten vom Taxi bis zum Eingang hatte ihm die Sonne ordentlich eingeheizt.
Vilar öffnete ihm die Tür zu Caldelas` Büro, und Bramme trat ein. Der Comissario war ein Mann in den besten Jahren, kleinwüchsig, quirlig, mit pomadisierten schwarzen Haaren und einem unübersehbaren Schnauzbart. Er ließ seine beiden Gäste auf der Stelle spüren, dass sie nicht willkommen waren. Besonders Bramme beäugte er wie einen abgebrühten Schurken, der zu allem fähig war. Entsprechend kühl fiel die Begrüßung aus. Bramme machte sich gar nicht erst die Mühe, Caldelas die Hand zu geben. Die Atmosphäre gefror zu Eis.
„Mein Name ist Holger Bramme, ich bin von Ihrem Justizministerium beauftragt worden, den Mordfall Mora zu untersuchen. Bitte geben Sie mir die entsprechenden Ermittlungsakten.“
Caldelas blickte Bramme scharf an, lehnte sich zurück und faltete unbeeindruckt die Hände über dem Bauch.
„Da könnte ja jeder kommen! Die Akten bleiben hier!“
In Bramme stieg die Wut hoch. Was wollte der Giftzwerg mit seinem Verhalten erreichen? Wollte er Macht, die er in Wirklichkeit gar nicht besaß, demonstrieren oder hatte er gar etwas zu verbergen?
„Erstens bin ich nicht zu meinem Vergnügen hier, und zweitens bin ich nicht jeder.“
Bramme zog ein Papier aus der Brusttasche, entfaltete es und reichte es Caldelas.
„Wenn Sie mit mir nicht zusammenarbeiten wollen, dürfen Sie das nur sagen. Ein Anruf von mir genügt, und Sie sind Ihren Job los.“
Stille trat ein und man konnte förmlich das Knistern hören, das in der Luft lag. Der Comissario überflog das Schreiben mit dem ihm wohlbekannten Briefkopf; er wirkte verunsichert, aber schließlich kippte die Stimmung. Bramme hatte gewonnen.
Caldelas öffnete wortlos die Schublade seines Schreibtisches, holte eine Akte heraus und ließ sie betont widerwillig vor sich auf den Tisch fallen.
„Bitteschön!“
„Danke!“, bemerkte Bramme übertrieben freundlich, griff nach der Akte,