Unersättlich
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Unersättlich
Hermann Mezger
Copyright: © 2014 Hermann Mezger
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-7375-8621-4
Der Roman einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung des Verfassers unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in elektronische Systeme. Die Handlung dieses Romans ist frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen, Personen, lebend oder verstorben, Firmen und Institutionen wäre rein zufällig.
Titelbild: hank-mediengestaltung.de unter Verwendung folgender Fotos:
Igor Chaikovskiy (Fotolia), PHB.cz (Fotolia), l-jacky (123rf)
1. Kapitel
Berühmt werden wollte Hauptkommissar Holger Bramme schon immer. Jetzt, da er es war, gäbe er viel darum, wenn er diese Bürde wieder loswerden könnte. Von Publicity hielt er gar nichts; das war wirklich das Letzte, was er brauchen konnte. Er hatte es nicht gern, wenn ihm der Ruf eines gnadenlosen Kriminalisten vorauseilt und das nicht nur, weil es die Ermittlungen noch komplizierter machte, als sie ohnehin schon waren. Neugierige konnte er nicht ausstehen, und Fragen, weshalb er so erfolgreich war, gingen ihm auf die Nerven. In Wahrheit war er nur überaus gründlich, und ohne rot zu werden gab er offen zu, dass er auch immer viel Glück gehabt hatte. Und dann der Neid! Sicher: Er hatte viel gesehen von der Welt, aber während er in Zentralasien und Südamerika riesige Drogenkartelle zur Strecke brachte, riskierte er auch mehr als einmal sein Leben. Nicht umsonst waren ihm die höchsten Orden, die Russland und die Vereinigten Staaten von Amerika zu vergeben haben, an die Brust geheftet worden.
Daheim in Kiel machte ihm sein Kollege Petersen unterdessen den Platz streitig. So kam ihm der Auftrag, in Setubal einmal nach dem Rechten zu sehen und bei einem Mordfall die Augen offen zu halten, wie gerufen. Wenn man so wie er in der weiten Welt herumstreunte, taugte man für die Schreibtischarbeit ohnehin nicht mehr viel. Die Freude, dass er wieder mal dem lästigen Papierkrieg und dem miesen Wetter in Deutschland entkommen konnte, zauberte ein spitzbübisches Lächeln auf sein Gesicht. Wenn er jetzt so darüber nachdachte, von muntermachenden Sonnenstrahlen beschienen, die durch das Flugzeugfenster auf seine Haut fielen, missgönnte er seinem Kollegen Petersen ganz und gar nicht das große Büro, die anfallenden, aber wenig anspruchsvollen Aufgaben und nicht zuletzt die schnell ansteigende Pulsfrequenz ihres Vorgesetzten Kriminalrat Behrendtsen. Petersen hatte dies nun alles für sich ganz allein.
Das aufregende, unbeständige und gefährliche Leben, das Bramme führte, war nicht jedermanns Sache, für ihn aber genau das Richtige. Er fühlte sich für diesen Job berufen. Geld war ganz bestimmt nicht der Grund, weshalb er sich von einem Abenteuer in das andere stürzte. Das Beamtengehalt war ohnehin nicht dazu geeignet, zu Höchstleistungen anzuspornen. Nein, ein Leben ohne Kitzel war für ihn einfach unvorstellbar. Mit seinen gut vierzig Jahren war er zwar kein junger Spund mehr, aber das Feuer, das er bei jedem neuen Fall in sich spürte, hatte mit dem Alter nichts zu tun. Dieses Feuer führte dazu, dass Bramme noch für sehr lange Zeit nicht ablehnen würde, wenn eine neue Herausforderung wie diese vor der Tür stand. Er war bekannt dafür, dass er nicht aufgab, bis alle Rätsel gelöst und alle Schuldigen gefunden waren.
Das Lächeln auf seinen Lippen wurde deutlicher, als er an die guten Freunde dachte, die er in den letzten Jahren kennen gelernt und mit denen er so viel erlebt hatte. Bei dem Gedanken an die vielen Abenteuer, die hinter ihm lagen, gespickt mit Bomben, explodierenden Jachten, nervenzehrenden Wanderungen durch Wüsten, Berge und Urwälder, halsbrecherischen Fluchten und der Erkundung völlig unbekannter Länder, kribbelten seine Finger vor gespannter Erwartung auf das, was ihm wohl dieses Mal bevorstand. Meist entpuppte sich ein harmlos aussehender Fall, und dies war wieder mal so einer, als äußerst riskant und gefährlich. Ein flaues Gefühl stellte sich in seiner Magengegend ein. Doch das kannte er bereits. Respekt vor der Gefahr war gesund. Das hatte ihn in den letzten Jahren am Leben gehalten.
In diesem Moment legte sich eine schmale, warme Hand auf seine Schulter und als er aufblickte, sah Bramme eine hübsche, brünette Stewardess neben sich stehen.
„Senhor? Wir werden gleich zur Landung ansetzen, bitte schnallen Sie sich an“, bat sie und sah ihn dabei mit einem Lächeln an, wie man es heutzutage von jedem Werbeplakat der Welt herunterlächeln sah. Bramme kannte dieses halbgefrorene Lächeln nur zu gut. Es erinnerte ihn daran, wie wichtig es war, sich in der reizüberfluteten Welt von heute seine Individualität zu bewahren.
„In Ordnung!“, sagte er seinerseits, förderte sein charmantestes Lächeln zu Tage und beobachtete amüsiert, wie die junge Frau sich mit einem koketten Hüftschwung auf den Weg Richtung Cockpit machte.
Neugierig und gutgelaunt wandte sich Bramme dem Fenster zu und entdeckte unter sich die roten, sonnengetränkten Dächer der Vororte Lissabons, hier und da blau gesprenkelt mit Outdoor-Pools und dem satten Grün vereinzelter Palmen. Unten kam die Costa Azul in ihrer ganzen, beeindruckenden Schönheit ins Blickfeld. Sein Herz pochte schneller, als er die vielen kleinen Segelboote und die großen Motorjachten sah, die entlang der mondänen Badeorte zu erkennen waren. Segeln war eines der Dinge, für die sein Herz auf immer schlagen würde. Je mehr sich das Flugzeug der Stadt näherte, desto mehr Hochhäuser türmten sich unter ihm auf, und je mehr Details er von dem quirligen Leben da unten ausmachen konnte, desto mehr stieg die Vorfreude in ihm hoch. Als die Stewardess ein weiteres Mal auf ihn zukam, schloss er schnell den Sicherheitsgurt und warf ihr einen unschuldigen Blick zu, den sie mit einem weiteren nichtssagenden Lächeln beantwortete. Behaglich räkelte er sich in seinem Sitz und schaute wieder zum Fenster hinaus. Irgendwie hatte er das vage Gefühl, nichts in der Vergangenheit würde das toppen können, was nun vor ihm lag.
2. Kapitel
Eine große Reisetasche in der Hand und den Trenchcoat lässig über die Schulter geworfen, betrat Bramme die Ankunftshalle. Die verglasten Gänge wirkten sauber und modern, und im Vorbeigehen blieb er kurz stehen, um im Spiegelbild seinen Kragen zu richten. Er trug ein weißes Leinenhemd, dessen Ärmel hochgekrempelt und dessen obere Knöpfe geöffnet waren und das er ungezwungen in seine cremefarbene Hose gesteckt hatte. Das Blond seiner Haare schimmerte leicht bronzefarben im diesigen Licht, das durch die oberen Fenster fiel, und durch das getönte Orange der Sonnenbrille auf seiner Nase konnte man gerade noch ein Paar meerblaue Augen funkeln sehen.
Zufrieden wandte er sich ab und ließ seinen Blick suchend über die vielen Wartenden schweifen, die mit Schildern und Zetteln ausgerüstet dastanden, um Passagiere in Empfang zu nehmen. Comissario Vilar jedoch, der sich ihm mit einem Prospekt in der Hand zu erkennen geben sollte, war nirgends zu entdecken. Bramme runzelte leicht die Stirn, doch gleich darauf verwandelte sich sein Unmut in ein mattes, nostalgisches Lächeln: Das fing doch gut an! Ganz so, wie er es kannte.
Während Bramme noch da stand und ein zweites Mal die Gesichter der Menschen durchforstete, wurde er von den anderen Passagieren einfach weitergeschoben. Sich in der Menge treiben lassend, richtete er den Blick zur Decke und erfreute sich des strahlend blauen Himmels. Plötzlich tauchte neben ihm ein gut genährter, junger Mann mit pechschwarzen Haaren auf und legte ihm die Hand auf die Schulter
„Willkommen in Portugal, Senhor Bramme. Mein Name ist Vilar. Pedro Vilar!“
Sie schüttelten sich lächelnd die Hände, und Bramme fielen die strahlend weißen Zähne des jungen Mannes auf. Vilar trug Jeans, ein offenes Hemd wie Bramme und ausgetretene Sneakers. Er schien etwas übereifrig, aber auf angenehme Weise motiviert zu sein.
„Hatten Sie einen guten Flug?“
„Danke! Ich habe das Schmuddelwetter bei uns zu Hause gegen die Sonne Portugals eingetauscht. Mehr kann man von einem Flug nicht erwarten.“
Vilars Blick musterte ihn von oben bis unten, als suche er etwas. Schließlich hob er fragend die Augenbrauen.