Sie zog sich vom Fenster zurück, als sie Theresa auf das Haus zukommen sah. Diese Frau war ihr ein Rätsel. Sie war … ja, was? Sie wirkte immer eine Spur blasiert, nicht unfreundlich, nein, gelangweilt, traf es eher. Dass Maximilian von Ossten seine Frau betrog, war ein offenes Geheimnis. Aber Madame hatte nie ein unfreundliches Wort aus Theresas Mund gehört. Wenn er sie berührte, ließ sie es mit einer Selbstverständlichkeit zu, als ob sie nichts wüsste von seinen Affären.
Eine gewisse Tragik lag in ihrem Verhalten.
Theresa fragte sich, als sie Madame Durands Schatten oben am Fenster wahrnahm, wann es Zeit wäre, Amalias Erzieherin zu entlassen.
Sie mochte die Französin. Madame war zurückhaltend und liebte Amalia ganz offensichtlich. Sie schob den Gedanken weg. Amalia wurde erst dreizehn. Eine Weile würde sie ihre Erzieherin noch brauchen. Außerdem war ihr durchaus bewusst, dass Madame eine sehr viel bessere Hausfrau als sie selbst war.
Theresa seufzte, schob die Haustür auf, schritt über den gewachsten Terrazzoboden der Halle und stieg über die gewundene Treppe in das obere Stockwerk. Sie ging am Schlafzimmer ihres Mannes vorbei und betrat ihren Ankleideraum.
Mein Mann, dachte sie, während sie den Overall öffnete.
Unter ihrer Ehe mit Maximilian hatte sie sich etwas anderes vorgestellt. Er war so amüsant gewesen, so großzügig und anziehend. Anziehend war er immer noch und großzügig. Dass ihr zwanzig Jahre älterer Ehemann sie betrügen würde, damit hatte sie nicht gerechnet. Und es war absolut nicht amüsant. Trotzdem konnte sie sich seinem Charme nicht ganz entziehen, und wie verletzt sie war, würde er nie erfahren.
In ihrer Ehe mit Maxim hatte sie gelernt, sich zu verstellen. Sie trug eine ungerührte Miene zur Schau. Niemand sollte sie je »die arme Theresa« nennen.
Maxim bemühte sich durchaus um sie. Wenn er zu ihr kam, wies sie ihn nicht ab. Aber genauso wenig, wie sie eine Migräne vortäuschen würde, würde sie ihn davon in Kenntnis setzen, dass sie gelegentlich mit ihrem Stallmeister schlief.
Ihre erste Ehe war glücklich gewesen, glücklich und viel zu kurz.
Theresa betrat ihr Badezimmer, das ihr eigenes Schlafzimmer mit ihrem Ankleideraum verband. Nachdem sie Stunden im Stall verbracht hatte, sehnte sie sich nach einer Dusche. Sie ließ heißes Wasser von allen Seiten auf ihren Körper prasseln. Mit einem weißen, weichen Badetuch trocknete sie sich ab.
Sie lag lange schlaflos unter ihrem Laken. Ihre Gedanken konnte sie nicht abschalten.
Amalia würde ihren Hengst bekommen. Die Kleine erinnerte sie an ihre Fohlen, die sich tapfer auf die zitternden Beinchen kämpften. Wie verloren musste sie sich in ihrer Familie fühlen. Seit Konstantin studierte, kam er nur noch selten heim. Wie ein Hündchen war das Mädchen schon als Vierjährige hinter ihm hergelaufen. Wo Konstantin sich aufhielt, war die Kleine nicht weit. Er hatte sie auf seine Schultern gesetzt und war mit ihr über den Hof bis hinunter zum Stall galoppiert. Über das ganze Gesichtchen strahlend, hatte sie sich an ihm festgeklammert.
Er war wie ein liebevoller großer Bruder mit Amalia umgegangen.
Das konnte man nicht von Frederico sagen. Wo Konstantin zugewandt, offen und liebevoll war, war Frederico manchmal arrogant und abweisend. Konstantin ruhte in sich, Frederico war unberechenbar. Im Gegensatz zu seinem älteren Bruder hatte er noch kein Ziel.
Sie liebte ihre Söhne, aber war sie eine gute Mutter? Waren ihr die Pferde nicht immer wichtiger?
An Amalia dachte sie mit einer gewissen Befangenheit. Sie fragte sich, warum Maxim die Tochter seines ungeliebten Bruders so ohne Weiteres in seinem Haus aufgenommen hatte. Genau wie Frederico dachte sie, dass ein Internat, selbstverständlich eines der besten, vielleicht richtiger gewesen wäre. Was also hatte ihn dazu bewogen, das Mädchen bei sich zu behalten? Amalia war ein Abbild ihrer Mutter. Hatte Maxim ein schlechtes Gewissen?
Theresa erinnerte sich an die Fotografie, die an Amalias Bett stand. Und sie erinnerte sich an den Skandal, in dessen Mittelpunkt Bella und Maximilian gestanden hatten. Theresa wünschte sich, nie davon gehört zu haben. Es war eine Geschichte von Alkohol, Verführung und Sex.
Sie konnte nicht einmal ausschließen, dass Amalia Maxims Tochter war.
Aber auch sie konnte sich, wie Maria, dem Charme des Mädchens nicht entziehen. Wenn sie sich eine Tochter wünschen dürfte, gestand sie sich ein, wäre Amalia ihre erste Wahl. Sie besaß mehr Gefühl für Pferde als Konstantin und Frederico zusammen. Ihre Söhne waren gute Reiter, aber Amalia war ihre Seelenverwandte. Frederico konnte ein Pferd rücksichtslos zuschanden reiten. Konstantin ließ dem Pferd zu viel Freiheit. Amalia besaß genau die richtige Balance.
Liebe und Eifersucht
»Ist Marisa schon da?«
Sie bekam keine Antwort, als sie den Stall betrat. Marisa war Tierärztin und Theresas Freundin.
Wenn es Probleme mit den Pferden, Hunden oder Schafen gab, wurde sie gerufen. Sie war ein Naturereignis. Eine Frau, die sich einen Dreck um die Meinung anderer scherte. »Tu, was du tun musst, frag nicht erst.«
Sie hatte fünf Söhne von fünf Männern. Mit keinem war sie verheiratet gewesen. Ihr rotes Haar leuchtete wie Feuer in der Sonne und Sommersprossen zierten ihr Gesicht wie Gänseblümchen eine Sommerwiese.
Mit kräftigen Händen griff sie zu. Bis zum Ellbogen mit Blut und Schleim bedeckt, half sie den Fohlen auf die Welt, die nicht allein kommen wollten.
Die Nachgeburt der letzten Nacht musste untersucht werden. Eine der Stuten war am Bein verletzt. Die Wunde war entzündet.
Im Stall war niemand. Nur die Hunde begrüßten sie. Theresa ging durch die lange Gasse zwischen den Boxen. Fast alle Tiere standen auf der Weide. Desdemona wieherte leise.
»Na, meine Hübsche, gleich kommt Marisa, sie wird dir helfen.«
Sie streichelte sanft die Nüstern der verletzten Stute. Desdemona schnaubte. Es roch nach frischem Heu. Die geöffneten Stalltüren ließen die noch erträgliche Morgenluft ein. Aber auch heute würde sich die Hitze gnadenlos über das Land legen.
Theresa