„Ist noch was, oder können wir los?“
Rudi und Heiner standen vor Tomas, und ihre Augen blickten unruhig zu den Mädchen an Land hinüber.
„Ja, noch die Laschings los, aber nur jeden zweiten und jeden zweiten Keil raus“, antwortete der Gefragte.
„Mann, können wir doch auch morgen früh machen oder Montag. Heute ist Freitag, und die fangen jetzt am Nachmittag mit dem Laden sowieso nicht mehr an.“
„Was du heute kannst besorgen – oder?“
Leise schimpfend begannen die Beiden mit der Arbeit. Tomas räumte noch einige Sachen vom Backdeck weg und beobachtete dabei amüsiert, wie Rudi und Heiner bemüht waren, ihre Arbeit zu verrichten und trotzdem versuchten, mit den Mädchen anzubändeln.
Kontaktaufnahme
Diese standen nun ziemlich nah beim Schiff, lachten, kicherten und riefen ihnen ständig etwas in ihrer Landessprache zu, was natürlich keiner verstand.
Als Tomas die Schönen genauer musterte, blieb sein Blick wie gebannt an der in der Mitte stehenden haften. ‚Düvel noch mal, was ein hübsches Ding’, dachte er und hielt in seiner Tätigkeit inne. Die langen dunklen Haare boten einen großartigen Kontrast zu ihrem weißen Jeansanzug und schimmerten seidig in der Sonne. Ihr schlanker Körper wurde von einem roten Pulli und den ziemlich engen Jeans betont. Sie war hübsch, ja richtig süß, wie sie so dastand. Den Kopf leicht geneigt und mit einer zarten Röte im mädchenhaften Gesicht, blickte sie zu ihm hinüber. Tomas kam es vor, als sei sie seiner Phantasie entsprungen, käme nicht von dieser Welt. Er war fasziniert, überwältigt, einfach hingerissen. ‚Ach was soll’s, ist sowieso nur so `ne Hafenjule’, ging es ihm durch den Kopf. Und trotzdem: Er konnte den Blick nicht von ihr lassen!
Hastig erledigte Tomas seine Arbeit und ging zu den Kollegen, die zwischenzeitlich ihre Tätigkeit beendet hatten.
„Tomas, sag mal, verstehst du, was die sagen?“, fragte ihn Rudi.
„Für mich sind das böhmische Dörfer“, meldete sich Holger zu Wort, der sich zu ihnen gesellt hatte.
„Haallooo Toomaas! – du bist gemeint! Oha, nun guck die bloß nicht weg, kriegst ja gleich Stielaugen. Toooomaaaas, aufwachen!“
„Waah? Ach so ja, nee, versteh ich auch nicht. Hast du es schon mal mit Englisch versucht?“
„Englisch, Spanisch und mit meinem bisschen Französisch, - nüscht, die quasseln nur in ihrem Kauderwelsch.“
„Wie wäre es denn mit der berühmten Zeichensprache?“
Tomas hatte sich wieder gefangen, obwohl er meinte, in einem schweren Sturm geraten zu sein, als sich sein Blick und der des dunkelhaarigen Mädchens trafen.
„Dat isset!“, jubelte Heiner und begann zu gestikulieren.
„Ich glaube, ich weiß, was die meinen“, hatte Tomas plötzlich eine Eingabe.
„Na wat, schieß los!“, drängte Heiner, der bemerken musste, dass seine Kunst der Zeichensprache nur heftiges Gelächter auslöste.
„Die wollen mit uns was trinken gehen. Irgendwo da hinten“, deutete Tomas und zeigte in Richtung der Lagerschuppen.
„Hei, das ist doch schon mal die halbe Miete“, freute sich Holger.
„Tomas, mach ihnen irgendwie klar, dass wir uns eben noch landfein machen und dann kommen. Sie sollen hier solange warten. Gebe dafür auch extra einen aus. O k? Tooomaaas! Mensch, der träumt schon wieder! Hast du verstanden?“
„Ja, ja, ja“, antwortete der völlig Abwesende und holte sich langsam aus diesen wunderschönen blauen Augen des Mädchens zurück, worin er versunken war, wie in den Tiefen des Meeres. Tomas beugte sich über das Schanzkleid zu den Mädels hinunter.
In diesem Moment trat dieses faszinierende Wesen nach vorn, kam ganz dicht an das Schiff heran und sah schweigend zu ihm hinauf. Ein seltsam strahlender und doch melancholischer Glanz lag in ihren Augen. Es schien ihm, als wollten sie ihn etwas fragen, ja als würden sie eine Bitte zu ihm hinauf schicken. Er, der Seemann, der Starke, den nichts umwarf, der große welterfahrene Aufreißer wurde verlegen, bekam nasse Hände und kein Wort heraus. Wie sehr fesselten ihn diese Augen, wie tief drangen sie in ihn hinein. Wie zog dieses Mädchen ihn in seinen Bann – und wie gern verlor er sich im Blau dieser Augen. Ohne den Blick von ihm zu lassen, bückte sie sich, pflückte ein Gänseblümchen, das einsam auf der Kaimauer wuchs und hielt es ihm entgegen. Als sei er in Trance, griff Tomas danach und berührte dabei leicht ihre Hand. Er spürte, wie sein Herz zu rasen begann, hörte das Rauschen seines Blutes und meinte, gleich in Ohnmacht fallen zu müssen. Da stand er, unfähig sich zu rühren oder auch nur Piep zu sagen. Es dauerte einige Zeit, bis aus ihm ziemlich gequälte Worte hervordrangen, die nach „warten, kommen gleich“ oder so ähnlich klangen.
Doch anscheinend war dieses Gekrächze verständlich, denn das Mädchen nickte, und die anderen hatten mit dem albernen Gekicher aufgehört.
‚Auweia, du spinnst’, dachte Tomas bei sich, ‚bloß ab in den Keller und was tun!’.
Aus einem unerfindlichen Grund lief ihm die Arbeit nicht wie gewohnt von der Hand. Mit seinen Gedanken war er ständig bei diesem einen Mädchen, und das Werkzeug hatte heute die blöde Angewohnheit, dauernd weg zu fallen. Nichts ging richtig, alles war verkehrt.
Das war doch nicht er, den eigentlich nichts aus dem Gleichgewicht bringen konnte. Kribbeln im Bauch oder gar etwas tiefer gab es ja des Öfteren, aber so etwas war ihm noch nie passiert.
‚Das kommt sicher von der langen Zeit auf See. Außerdem hast du lange keine Maus mehr gehabt – gab ja nur Nutten und die – nee danke, nichts für mich. Ja, genau das ist es: Du sehnst dich mal wieder nach so richtig was hübschem Kuscheligem zum Schmusen und so’, dachte Tomas und kämpfte verzweifelt mit einer aufmüpfigen Dichtung.
Trotz aller Missgeschicke und Widrigkeiten wurde die Arbeit fertig, und er konnte für heute Feierabend machen.
‚Eben noch dem Käpt´n Bericht erstatten und dann nichts wie zu der Kleinen’, dachte er und stellte darauf erstaunt, aber nicht widerwillig fest: ‚Die hat dir anscheinend den Kopf verdreht!’
Nachdem die Pflicht der Berichterstattung erledigt war und der Kapitän sich scherzend über sein unruhiges Verhalten ausgelassen hatte, wusch er sich noch schnell die Hände, und los ging es an Land; ohne sich landfein zu machen.
* * *
Obwohl er nicht wusste, wo die Anderen hingegangen waren, zog es ihn doch magisch in eine bestimmte Richtung. Und als ob er sich hier auskennen würde, stand er mit einemmal vor einem Wirtshaus, aus der ganz unverkennbar Rudis Stimme durch die offene Tür nach draußen drang. Tomas trat ein. An einem großen runden Tisch saßen seine Kameraden. Die Mädchen zwischen ihnen und sie – die Eine – neben Holger!
Vor ihr standen diverse Gläser mit den unterschiedlichsten Getränken. Holger war der Konsum des Alkohols bereits leicht anzumerken; jedenfalls lies seine Ausdrucksweise und die Aussprache darauf schließen.
„Hallo Tomas, ’na hast wohl noch den ganzen Maschinenraum aufgewischt, so wie du aussiehst! Los komm, setzt dich hin und trink erst mal einen!“, wurde er lautstark begrüßt.
„Von denen bekommst du aber keine mehr ab“, sagte der ebenfalls schon leicht angesäuselten Rudi und deutete dabei auf die drei Mädchen.
Tomas setzte sich, nahm ein Bier und musterte die Runde. Sagen konnte er nichts, da er dummerweise, oder war es doch Absicht, genau gegenüber diesem dunkelhaarigem, blauäugigem Traumwesen Platz genommen hatte, das ihn nun beharrlich anschaute.
In ihren Augen stand ein Ausdruck, der ihm flehend, ja Hilfe suchend erschienen. Grad so, als wollte dieser Blick ihn um etwas inständig bitten.