Nachdem ich den Kurzen mit Simon begeistert weggekippt und mit Äppler nachgespült hatte und mich, im Takt der Musik wiegend, sofort auf den Weg zur Theke machte, um die nächste Runde zu organisieren, komme ich rückblickend zu der Einsicht, dass die Schwelle zu diesem Zeitpunkt wohl definitiv überschritten war.
Nachdem ich nach einigen Minuten mit den Getränken wieder bei Simon angekommen war, deutete er vorwurfsvoll auf seine Uhr und sagte:
„Sach mal, wo bleibste denn, das geht doch alles von unserer Trinkzeit ab!“ Das sollte dann auch das Leitmotiv für den restlichen Abend bleiben.
Inspiriert vom „Party-Spaß-Happening“ widmeten wir uns wieder der detaillierten Ausarbeitung des Urlaubs, wobei die Diskussion über die zu besuchenden Lokalitäten und die strategisch günstigste Lage des Hotels einen großen Raum einnahm.
Mitten in der angeregten Unterhaltung sah ich plötzlich sie.
Sie war wunderschön und eine perfekte Mischung aus Typ I und II.
An dieser Stelle muß ich kurz unterbrechen, um die Frauen-Archetypen Typ I und II vorzustellen.
Im Grunde gibt es nur zwei Typen von Frauen, die auf Männer unmittelbar (ohne den Umweg über das Gehirn) emotional ansprechend wirken.
Typ I: Bambi
Das Bambi ist in der Regel von zierlichem Körperbau, wirkt verletzlich und ist etwas scheu. Es appelliert an den Beschützerinstinkt in uns. Es ist die Sorte Mädchen, die man selbst als eingefleischtes Einzelkind gern als kleine Schwester gehabt hätte (allerdings nicht zwangsläufig als die eigene). Ein Bambi möchte man in den Arm nehmen, vor jeglicher Unbill bewahren, man möchte Sonette verfassen, die ihren Liebreiz preisen, ihr ein Nest bauen, der Vater ihrer Kinderschar werden und mit ihr gemeinsam alt werden. Wichtigstes Merkmal des Bambis sind die großen Rehaugen. Selbst andere Frauen würden das Bambi als hübsch bezeichnen. Typische Vertreterin dieser Gattung: die junge Audrey Hepburn (mit Abstrichen auch Anne Hathaway und die junge Meg Ryan).
Typ II: Geschoss
Typ II appelliert ebenfalls an archaische Instinkte, jedoch eher an die Sorte, bei denen in Zusammenhang mit der Brautwerbung früher eine massive Holzkeule eine zentrale Rolle spielte. Insofern ist die eingangs gewählte Formulierung „emotional ansprechend“ etwas irreführend. Der Körperbau von Typ II ist auch aus größerer Entfernung sofort als weiblich zu erkennen. Die eloquenteste Spontanbemerkung eines Mannes angesichts eines echten „Typ II“ Modells liegt irgendwo zwischen „Booaaa“ und „Hggrrhhhh“, gewöhnlich begleitet von erhöhtem Speichelfluss. Der für ausgefeiltere sprachliche Äußerungen verantwortliche Gehirnbereich ist in diesen Situationen aufgrund von Mangeldurchblutung nur sehr eingeschränkt leistungsfähig, da in Gegenwart des hier beschriebenen Typs nennenswerte Anteile des Blutes in südlichere Gefilde umgelenkt werden.
Es sei der Vollständigkeit halber an dieser Stelle erwähnt, dass das Bedürfnis Sonette zu verfassen bei diesem Typ Frau eine untergeordnete Rolle spielt.
Andere Frauen hassen Typ II. Beschreibungen durch andere Frauen würden zwangsläufig Adjektive wie billig, nuttig, schamlos, oberflächlich, billig (hatten wir das schon?) und plump beinhalten.
Wird man beim Hinterherschauen nach einem Typ II von der eigenen Begleitung ertappt, ist das mindeste die vorwurfsvolle und vor Verachtung triefende Frage: „Sowas Geschmackloses findest Du also sexy?“
Typische Vertreterin: Playmate Januar bis Dezember
Um Missverständnisse zu vermeiden, muss ergänzt werden, dass es von diesem Typus mehrere Untertypen gibt, darunter durchaus auch Vertreterinnen mit großer Klasse. Beispielhaft seien hier die unvergleichliche junge Sophia Loren oder auch Selma Hayek erwähnt. Trotzdem (oder gerade deswegen) hassen andere Frauen Typ II.
Aber ich in kurz abgeschweift, zurück ins ‚Oberbayern‘.
Eine leuchtende Aura der Vollkommenheit schien sie zu umhüllen. Engelsgleiches blondes Haar umspielte ein Gesicht von makellosem Ebenmaß. Ihr Körper, für den griechische Göttinnen gemordet hätten, bewegte sich mit feengleicher Anmut traumwandlerisch sicher durch die Menschenmenge, und das, obwohl sie ein randvolles Tablett mit sich führte. Mit einer unnachahmlichen Mischung aus Bestimmtheit und Höflichkeit („Eey, platzmachen BITTE!“) bahnte sie sich zielstrebig ihren Weg. Und dann diese Stimme. Zugegeben, erwartet hatte ich eine glockenhelle Stimme, rein wie ein Gebirgsbächlein, aber ihre etwas tiefere Stimmlage, der eine leichte Heiserkeit eine unwiderstehliche Erotik verlieh, konnte einen Mann um seinen Verstand bringen. Kurzum, ich musste sie kennen lernen. Während ich fieberhaft über eine elegante Möglichkeit zur Annäherung nachdachte, ergab sich unvermittelt die Chance, als sie unsere Getränke vom Tablett nahm und das ‚Stöffsche‘ im ‚Gerippten‘ und die Kurzen auf unserem Stehtisch abstellte.
„Macht 12 €“, sagte sie schlicht, aber es klang wie Musik in meinen Ohren. Sprachlos musterte ich das ätherische Wesen, während Simon nach dem Geld kramte.
„Bitte heirate mich“, brachte ich schließlich hervor.
„Vielleicht später Süßer“, entgegnete meine Traumfrau, „meine Schicht geht noch bis 1:00.“ Also bestand Hoffnung! Mein Herz wollte schier explodieren vor Glück.
„Bitte geh noch nicht“, flehte ich sie an.
„Schenk mir wenigstens ein Bild von Dir, damit ich die Zeit ohne Dich überstehen kann.“
Im ersten Augenblick wirkte sie etwas abweisend, aber meine eloquente Bitte schien sie dann doch umzustimmen. Das oder das großzügige Trinkgeld, das Simon gegeben hatte. Wie dem auch sei, meine Traumfrau willigte ein und Simon machte ein paar Schnappschüsse von uns mit seinem Handy.
Daraufhin entschwand sie und ich wandte mich unseren Getränken zu, um den Trennungsschmerz zu betäuben.
Die Erinnerungen an den weiteren Verlauf des Abends sind, nun, diffus, so dass ich an dieser Stelle die Schilderungen beende, da ich sonst meinem Anspruch als wahrhaftiger Chronist der Ereignisse nicht gerecht werden kann.
Die Erinnerung kehrt zurück
Nachdem ich meine Erinnerung an den Vortag also größtenteils wiedererlangt hatte, ließ die Intensität meiner Bemühungen, schnellstmöglich meinen (Noch-)Arbeitsplatz aufzusuchen spürbar nach. Auch wenn ich formal bis zum Eintreten der fristgerechten Kündigung noch drei Monate im Dienste der Firma stand (für eine sofortige Freistellung war ich bei weitem nicht wichtig genug), wollte sich der rechte Elan nicht mehr einstellen. Dass ich nach wie vor von der vorherigen Nacht noch ziemlich angeschlagen war, wirkte sich auf meine Motivation auch nicht eben förderlich aus. Letztendlich siegte dann aber doch mein Pflichtbewusstsein, so dass ich mich nach einer kurzen Dusche und einem kargen Katerfrühstück, bestehend aus zwei Tassen Kaffee und einer Handvoll Aspirin, auf den Weg zur Arbeit machte.
Erfreut stellte ich fest, dass das Ausmaß des morgendlichen Berufsverkehrs nach 12:00 mittags erheblich nachlässt, so dass ich das Firmengelände nach deutlich kürzerer Anreise als gewohnt erreichte.
Mein Chef nahm meine geringfügige Verspätung (mittlerweile war es etwa 13:30) nach kurzem Zögern kommentarlos zur Kenntnis. (Was hätte er auch sagen sollen? „Wenn das noch mal vorkommt, müssen Sie mit einer Abmahnung rechnen!“?)
Die verbleibende Arbeitszeit verbrachte ich damit, lustlos einige der wenigen noch verbliebenen Routineaufgaben zu erledigen, um anschließend ein wenig im Internet zu surfen.
Danach trieb mich der bedrohlich gesunkene Koffeinpegel wieder in Richtung Kaffeeküche, wo mich Simon mit einem breiten Grinsen erwartete.
„Na Casanova, wie fühlen