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Frau L stand vor mir. Sie war die Mutter von Angelika. Sie ist es immer noch. Frau L war sehr klein und musste hoch schauen, wenn sie mit mir sprach. Sie lächelte stets, wenn sie mit mir sprach, als wäre es das Liebste, was ihr an diesem Tag geschehen war. Sich mit mir unterhalten. Ich hatte stets den Eindruck, dass es sehr einfach war, etwas von ihr zu wollen oder zu bekommen. Etwas zu trinken haben wollen? Kein Problem! Sie sagte stets, ich solle selbstständig an ihren Kühlschrank gehen, wenn ich durstig bin und Limo trinken wolle.
Limo! Gab es bei uns nicht! Freundlich ins Gesicht schauen, gab es bei uns nicht. Sich über meine Anwesenheit freuen. Gab es bei uns nicht. Meine Güte, was hatte meine Freundin Angelika für ein Glück, solch eine Mutter zu haben!
Busfahrt
Ich saß einigermaßen angespannt auf dem unbequemen Sitz und bemühte mich nicht herunter zu rutschen. Doch wollte ich am liebsten aufspringen. Doch ich ließ es. Schande über mich! Wie konnte ich nur! War es mir in jüngeren Jahren nicht oftmals ebenso ergangen und war es nicht so, dass ich froh gewesen wäre, wenn mir jemand in dieser Situation geholfen hätte?
Mein Vordermann rutschte auch hin und her. Aber aus ganz anderen Gründen, wenn auch nicht aus vollkommen anderen Gründen. Er wäre am liebsten auch aufgesprungen.
Das Objekt unserer gemeinsamen Beobachtung saß auf der anderen Seite des Ganges. Ebenso unbequem und genervt von dem Ruckeln wie wir.
Nackte, gut geformte Schultern und langes, braunes Haar hatte sie. Es war heiß heute.
Ich trug wie immer T-Shirt mit wenig Ausschnitt – hätte ein Herren-T-Shirt sein können – und lange Stoffhose. Dunkelblau. Beides.
Sie ein oranges Röckchen. Nein, ein Rock war es eher nicht, dafür war es zu kurz. Sandalen und ein Schulterfreies, weißes Oberteil mit Spitze daran. Keine gute Wahl für den Bus, in dem man saß und nicht fliehen konnte.
Er, schon mit grauem Haar. Unrasierte Beine in viel zu kurzen Shorts. Die Shorts eines Achtjährigen. Bunt auch noch dazu. Hin und her ruckeln seiner Beine. Blicke rüber auf die andere Seite des Gangs. Zu offensichtlich.
Ein Grinsen bei ihm, was einem das Blut gefrieren lässt.
Ich sollte aufspringen und sie auf den Spanner aufmerksam machen.
Sie merkte nichts. Er geiferte und hatte hoffentlich nichts Schlimmeres vor!
Ich rutschte hin und her. Völlig unschlüssig. Dabei war die Situation klar!
Ob er zu schlagen würde? War er gewalttätig oder „nur“ so ein Spinner, der sich aufgeilte an jungen Mädchen?
Ich fing an zu schwitzen. Noch zwei Haltestellen, dann würde ich aussteigen müssen.
Ich starrte auf den Boden, in der Hoffnung, dort eine Antwort zu finden. Da fielen mir seine, seit langem nicht geschnittenen, gelblichen Zehennägel in abgewetzten Sandalen auf. Aufgeraute Fersen. Dreck an den Füssen. Der Mann wusste, wie er dafür sorgen konnte, dass man sich vor ihm ekelte.
Stieg er aus? Nein!
Bus fuhr weiter.
Stieg sie aus? Nein!
Jetzt war ich dran.
Fragezeichen
Es klingelte. Schon wieder.
Ich starrte auf den Hörer der Sprechanlage, vor meiner Nase, an der Wand. Weiß aus Plastik. Das Ding gab keine Ruhe. Vielleicht sollte ich es abnehmen und in eine Socke stecken, damit das Klingeln nicht mehr zu hören ist.
Aber das wäre eine Illusion. Und eine Provokation dazu. Der Typ könnte auf die Idee kommen, nach oben die Treppen zu ersteigen und direkt vor mir zu stehen. Gut, die Wohnungstür wäre noch dazwischen. Aber er wäre hier. Direkt neben meinem persönlichen Raum. Undenkbar!
Ich nahm ab. Wieder die gleiche Stimme, die sagte: Ich würde doch jetzt ausziehen. Es wäre doch Zeit und ich wäre doch unrechtmäßig in dieser Wohnung.
>>Nein, ich bin gerade eingezogen. Die Leute, die ausgezogen sind, wo die jetzt sind, weiß ich nicht.<<
Ich versuchte, um die Sache herum zu reden. Als ob sie dadurch besser würde.
>>Aber, Sie können da nicht wohnen bleiben! Das ist eine Wohnung für eine Familie und nicht für eine Einzelperson!<<
So ein Quatsch!, denke ich und lege den Hörer wieder auf.
Erneutes Klingeln.
>>Übrigens<<, sagt die brüchige, alte Männerstimme zu mir. >>Ich bin der Herr Frohn aus dem ersten Stock.<<
>>Aha<<, erwidere ich, immer noch bemüht, die Fassung zu bewahren. Ich versuche, so unbeteiligt wie möglich zu wirken.
Verfluchter Mobber! Das ist der alte Kerl aus dem Erdgeschoss! Die alte Männerstimme verrät ihn doch! Ein Klicken, dann Ruhe am anderen Ende. Er scheint von der Sprechanlage weg gegangen zu sein. Vorsichtiges Aufatmen.
Ich schleiche Tage später mit den Müllsäcken in den Hinterhof. Dazu muss ich an den Wänden des Mobbers vorbei. Der steht immer am Fenster und beobachtet, wer in das Miethaus reingeht und wer das Miethaus verlässt. Ich werde beobachtet und gesehen.
Am anderen Ende der Erdgeschosswohnung steht stets die Ehefrau des Mobbers und hält das andere Ende des Miethauses im Auge.
Als die Architekten das Miethaus geplant haben, hatten sie wohl nicht an Mobber gedacht. Die Wohnung von Herrn und Frau Bunkel ging entlang der gesamten Auffahrt zum Hinterhof und hatte große Fenster, wodurch stets beobachtende Augen stierten. Es war immer ein Spießrutenlauf von der Haustür bis zu den Müllcontainern zu gelangen.
Wenn ich dachte, ich hätte es diesmal geschafft, kam die Überraschung. Wie diese hier:
Bücher im Container. Und anderes Zeug. Vielleicht zog jemand aus. Ich gab mich nicht der Hoffnung hin, es könnte Herr und Frau Bunkel sein.
Rasch huschte ich über den gepflasterten Weg zurück zur Haustür. Ich kam aber nur wenige Schritte weit. Auf der Höhe von Frau Bunkels Schlafzimmerfenster gab es ein Geräusch. Ich versuchte meine Schritte zu beschleunigen ohne das es aussah, als würde ich gleich laufen.
>>Ach, Frau Müller! Ich sehe sie gerade, wie sie eben zum Müllcontainer gegangen sind. Ziehen sie aus! Jaaaaa?!<<
Ich biss mir innerlich auf meine Unterlippe. Wegen den weggeworfenen Büchern kam sie vermutlich auf so einen Gedanken.
Ich setzte ein Grinsen auf mein Gesicht und ließ meine Augen Kälte sprühen.
>>Neeeeiiiinnnn! Ich ziehe nicht aus!<<
Frau Bunkels Gesichtszüge glitten nach unten. Das eh schon künstliche Lächeln auf ihren verkniffenen Lippen verschwand gänzlich. Mit Genugtuung stellte ich fest, dass sie ihre Enttäuschung nicht verbergen konnte.
>>Neeeeiiiinnnnn?!<< Sie schien mir nicht zu glauben.
Hoffentlich hatte ich ihr den Vormittag verdorben!
Ein Räuspern folgte, als hätte sie sich verschluckt. Sie schien verwirrt und irgendwie aus der Fassung geraten zu sein.
Ich nutzte ihre Verwirrung und ging schnell weiter. Eins zu Null für mich!
Umzug
Wir