Krieger der Friedwelt. Annette Philipp-Bickel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Annette Philipp-Bickel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847678472
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schon, dass man dich vor hundert Jahren auf dem Scheiterhaufen verbrannt hätte? «, fragte Nic belustigt. Großmutter musste lachen, als sie antwortete. »Aber ich bin doch keine Hexe, mein Kind. Ich bin eine weise alte Frau, die weiß, dass gegen und für alles ein Kräutlein gewachsen ist. Viele aus der Umgebung suchen bei mir Rat. « Nic konnte nur nicken, sie wusste, dass ihre Großmutter hier ein sehr großes Ansehen genoss. »Du würdest die Farm nie aufgeben? «, fragte Nic. Ihre Großmutter spitzte den Mund und schien zu überlegen. »Würdest du mir glauben, wenn ich dir erzählen würde, dass hier ein ganz besonderer Platz ist? «, fragte sie. »Und was bitte, ist hier so besonders? « Nic merkte sehr wohl, dass ihre Großmutter ihr die Antwort auf diese Frage gerne schuldiggeblieben wäre. Zu genau wusste die alte Dame, dass Nic sich nicht für Spiritualität interessierte. Doch schließlich seufzte Großmutter und erzählte. »Unsere Erde ist mit vielen Kraftlinien und Kraftpunkten überzogen. Diese Farm hier wurde auf einem dieser Kraftpunkte erbaut. Aus jeder Himmelsrichtung kommen die Kraftlinien zusammen, und unter dem Haus kreuzen sie sich. « Nic sah ihre Großmutter aufmerksam, aber auch verständnislos an. Deshalb erklärte die alte Frau weiter: »Mit anderen Worten, hier ist einfach eine gute, kraftvolle Energie. « Großmutter hoffte, dass Nic jetzt keine Fragen mehr stellte. »Das ist alles? «, fragte Nic ungläubig. »Das ist die ganze Sensation? « »Das ist sehr viel«, wehrte Großmutter sich, »diese Energie ist so stark, dass es die bösen Geister von hier fort hält. « Mehr traute sich die alte Frau nicht, ihrer Enkelin zu erzählen. Nic würde noch früh genug herausfinden, welche Kraft in den Linien steckte. Sie hoffte, dass sie aber noch etwas Zeit hatte, um Nic auf die Dinge vorzubereiten, die sie wissen musste. »Geister. «, sagte Nic und rollte mit den Augen. »Ich glaube, du bist zu viel alleine«, sagte sie dann besorgt. An diesem Abend hatte sich Nic noch lange mit Großmutter unterhalten und vergebens versucht, die magische Welt der alten Frau zu verstehen. Über die Kraftlinien sprachen sie nicht mehr.

      Großmutters Tod

      Schon als sie zurück in ihr Bett fiel, wusste sie, dass etwas nicht stimmte. Reflexartig rollte sie sich zur Seite und fiel dabei auf den Boden. Keine Sekunde zu früh, denn dort, wo sie gerade eben noch gelegen hatte, fiel etwas Großes, Schwarzes herunter. Trotz der Dunkelheit im Raum erkannte sie, dass es ein Pachnoda war, eines jener hässlichen, riesigen, käferartigen Wesen. Dieses Exemplar war sehr groß: vom Kopf bis zum Körperende war er bestimmt zwei Meter lang. Ein schwarzglänzender Panzer schützte seinen Leib, an seinen dünnen Beinen hatte er lange Widerhaken, an seinem Maul bewegten sich gierig zwei starke Zangen.

      Esmeralda Vielfalt wusste: bekäme er sie damit zu packen, hätte ihr letztes Stündlein geschlagen. Aber sie hatte nicht vor, zu sterben, trotzdem krampfte sich ihr altes Herz vor Angst zusammen. Noch nie war ihr ein Wesen aus der anderen Welt gefolgt, wahrscheinlich hatte sie ihn mitgezogen, als sie zurückgeglitten war. So schnell sie konnte, sprang sie auf die Beine und ergriff die Flucht. Ihre Hoffnung bestand darin, dass die Energielinien, die das Haus schützten, erwachten und angreifen würden, denn sie allein konnte den Pachnoda nicht töten. Als sie den Treppenabsatz, der nach unten führte, erreicht hatte, war er schon dicht hinter ihr - sie konnte ihn fauchen hören. In seiner plumpen Schnelligkeit krachte er seitlich von ihr an die Wand und verfehlte sie nur knapp. Bevor er sie packen konnte, kamen die ersten Energiewellen. Blaues Licht sprang förmlich aus dem Boden und hüllte für einen kurzen Moment den Pachnoda ein. Er schrie vor Schmerzen, und Esmeralda Vielfalt hörte es knistern und knacken. Dann verschwand das blaue Leuchten, und der Pachnoda kam wutentbrannt wieder auf seine acht Beine. Aus seinem Maul tropfte übelriechender Speichel, und er torkelte stark. Aus Erfahrung wusste sie, dass es bis zu zwei Minuten dauern konnte, bevor der nächste Angriff der Kraftlinien kommen würde. Es galt, Zeit zu gewinnen, und so schnell sie konnte, rannte sie die Treppen hinunter. Doch noch bevor sie die letzte Stufe erreicht hatte, war der Pachnoda von oben gesprungen. Er erwischte sie an der Schulter und riss sie mit zu Boden. Sein Gewicht lag schwer auf ihr und die Stacheln an seinen Beinen bohrten sich ihr schmerzhaft ins Fleisch. Widerstrebend legte sie, vor Schmerzen wimmernd, die Hände auf seinen Panzer, sammelte all ihre Kraft und murmelte einen Abwehrzauber. Für einen Augenblick hob sich der Pachnoda mit seinem Gewicht von ihr, doch dann verpuffte die Magie. Dieser kurze Moment hatte gereicht, um Zeit zu schinden - die Kraftlinien starteten ihren zweiten Angriff. Der hässliche Käfer wurde förmlich von ihr heruntergerissen, das blaue Licht umfloss seinen ganzen Körper, es zischte und brutzelte. Esmeralda Vielfalt kam wankend auf die Beine - sie musste nach oben auf den Speicher gelangen. Dort lag, sicher versteckt, das Schwert der Elfen: mit diesem würde sie den harten Panzer wie Butter durchdringen können. Sie schleppte sich die Treppe wieder nach oben, von unten hörte sie den Pachnoda brüllen. In ihrem Innersten hoffte sie, dass er diesen Angriff nicht überleben würde. Doch sie wusste es nicht genau, da ja noch nie ein Dämon in ihre Welt eingedrungen war. Ihre Hoffnung zerfiel, als sie ihn unten in der Küche wüten hörte - er lebte also immer noch. Der Pachnoda hatte nicht gesehen, dass sie die Treppe wieder hinauf geflüchtet war. Esmeralda hatte den Treppenabsatz zum Speicher schon erreicht, da hörte sie ihn kommen. Mehrere Treppenstufen auf einmal nehmend, kam er ihr nach. Sie sah, dass er schon sehr gelitten hatte. Aus mehreren Wunden tropfte eine grüne, glibberige Substanz, sein Panzer war an mehreren Stellen aufgerissen; das ganze Wesen stank fürchterlich. Sie hatte die Hand schon an der Klinke zur Speichertür, als der Pachnoda sie erneut ansprang, und für sie gab es keine Fluchtmöglichkeit mehr. »Verdammt. «, murmelte sie, denn ihr wurde klar, dass sie jetzt sterben würde. Sie hatte sich ihr Ableben immer anders vorgestellt. Wer würde Nic von nun an schützen? Wer würde ihr helfen und sie auf die Dinge vorbereiten, die kommen würden? Warum hatte sie dem Kind nicht schon längst die Wahrheit gesagt? Weiter kamen ihre Gedanken nicht mehr. Der Pachnoda hatte an seinem Hinterleib einen Stachel ausgefahren - spitz war er und sah aus wie die Borste eines Stachelschweines. Doch er war gefüllt mit einem todbringenden Gift. In einer fast eleganten Drehung stieß er ihn Esmeralda direkt ins Herz. Dann kam die dritte Angriffswelle der Kraftlinien, das Fleisch des Pachnodas wurde förmlich gekocht. Die Wucht dieses Angriffs schleuderte ihn gegen die Speichertür, die sich krachend öffnete. Sein Körper rutschte weiter, schob Kisten und alte Möbel zur Seite, bis er schließlich in einer dunklen Ecke liegenblieb. Der Pachnoda war tot, aber auch leider Esmeralda Vielfalt, und fast sofort zerfiel sein Körper zu Staub. Die hell- und dunkelblauen Flammen der Kraftlinien umzüngelten den leblosen Körper der alten Frau; die Wunden, die der Käfer ihr ins Fleisch geschlagen hatte, heilten ab. Aber was sie auch versuchten, sie konnten das Herz von Esmeralda nicht mehr zum Schlagen bringen. So blieben sie bei ihr, bis sich die Seele aus ihrem Körper löste. Liebevoll nahmen die blauen Flammen Esmeraldas Seele in sich auf. Hell und stark leuchtete das Licht, als es durch die Ritzen der Holzbretter zurück in den Boden verschwand. Am nächsten Tag fand sie ein Nachbar. Der herbeigerufene Notarzt konnte bei Esmeralda Vielfalts Leiche nur einen Herzinfarkt als Todesursache feststellen.

      Nic hob den Kopf, sie saß noch immer am Klavier, doch der Nachmittag war verstrichen und hatte der Nacht Platz gemacht. Sie schleppte sich zur Scheune, holte das Pferd und die Kuh von der einen Weide und die Schweine und die Schafe von der anderen. Ohne daß sie viele Worte machen musste, folgten ihr die Tiere; als letztes kamen auch die Hühner freiwillig in den Stall. Nic verschloss die große Stalltür und ging erschöpft und müde auf ihr Zimmer. Angezogen wie sie war, fiel sie aufs Bett, das quietschend unter ihrem Gewicht nachgab. Zwei Atemzüge später war sie auch schon tief und fest eingeschlafen. Unerbittlich klingelte der Wecker um fünf Uhr am Morgen. Sie torkelte müde in das kleine Bad, duschte sich, kämmte sich das noch nasse Haar, und band es lieblos im Nacken zusammen. Einen Blick in den Spiegel vermied Nic, sie hasste ihr Äußeres. Als nächstes suchte sie die blaue Latzhose, die sie immer anhatte, wenn sie ihre Großmutter besuchte, um ihr im Stall und im Garten zu helfen. Ihre Laune sank ins Bodenlose, als sie in die Hose schlüpfte, denn sie wusste genau, vor ein paar Monaten hatte sie noch gepasst. Jetzt musste sie die Knöpfe an der Seite offenlassen. Frustriert registrierte sie, dass sie noch fetter geworden war. In der Küche aß sie einen Apfel zum Frühstück und trank dazu ein Glas Milch. Sie hatte nicht viel Zeit zum Trödeln, es wartete viel Arbeit auf sie. Als erstes molk sie die Kuh, schleppte die schweren Kannen in die Kühlkammer und schöpfte den Rahm ab. Aus ihm würde sie später am Tag Butter schlagen müssen. Dann ließ sie die Tiere auf die Weide - und als ob sie wussten, was geschehen war, folgten sie ihr und standen mit hängenden