Zwischen meinen Inseln. Ole R. Börgdahl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ole R. Börgdahl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847621041
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15. Mai 1909

      Die Schule bringt mir nicht mehr viel. Es wird langsam anstrengend, immer mit den Kleinen unterrichtet zu werden. Die Hälfte des Schultages verbringen wir Älteren dann auch in einem kleinen Studierzimmer. Die Lehrerin legt uns Bücher vor, aber ich bin die Einzige, die sich ernsthaft dafür zu interessieren scheint. Wir sind ja auch nur Mädchen. Die Jungen wurden schon vor einem Jahr nach Tahiti geschickt, zur Ausbildung. Die Bücher sind wirklich etwas Besonderes. Ich habe mir eines auf Englisch vorgenommen, mein Englisch ist schon sehr gut, weil ich oft mit den fremden Seeleuten und den Händlern spreche. Vater sieht es nicht gerne, wenn ich am Anleger spazieren gehe und die Menschen beobachte, die dort kommen und gehen. Noch weniger mag er es, wenn ich mit Fremden spreche. Wenigstens verbessere ich mein Englisch, sodass es mir nicht schwerfällt, die Bücher zu lesen und zu verstehen. Einmal sprach ich mit einem portugiesischen Kapitän, obwohl wir uns auf Englisch unterhalten haben, brachte er mir einige Worte seiner Sprache bei. Ich habe Vater nichts davon erzählt, aber ich habe zu Hause die Worte geübt und er hat sich gewundert. Bei den Büchern, die wir in der Schule haben, interessiert mich auch der Atlas. Wie weit doch alles von uns entfernt ist. Um nach Chile zu gelangen oder nach Australien, braucht ein Dampfschiff gut zwei oder drei Wochen. Nach Europa sind es viele, viele Wochen. Wir haben in der Schule etwas über Frankreich gelernt und über das alte Rom. Der französische Präsident ist ein Monsieur Armand Fallières, ein alter Mann mit einem weißen Bart. Die Lehrerin hat uns ein Foto von ihm gezeigt. Mit den Büchern lerne ich viel schneller, als im Unterricht, weil nicht immer jemand stört oder etwas nicht versteht oder weil die Lehrerin sich um die Kleinen kümmern muss. Ich könnte mir vorstellen, ebenfalls Lehrerin zu werden, aber keine Nonne. Ich hoffe es gibt auch Lehrerinnen, die nicht ins Kloster gehen müssen.

      Taiohae, 31. Mai 1909

      Pfingsten. Gestern waren wir in der Kirche. Ich liebe diese Zusammenkünfte, wenn sich alle so fein herausputzen. Ich konnte eines meiner neuen Kleider tragen, nur die Perlenkette nicht. Es gehört sich nicht in der Kirche, sagt Vater. Meine Kleider, das Blaue und das Braune, trage ich nur selten. Ich hätte mir zum Geburtstag doch lieber ein halbes Dutzend Hosen wünschen sollen, die sind praktischer.

      Taiohae, 11. Juni 1909

      Ich bin nicht sehr zufrieden. Das Schränkchen, auf das ich die Muscheln geklebt habe, ist nicht schön geworden. Es liegt wohl auch daran, dass sie nur auf dem Holz angebracht sind und ich sie natürlich nicht in das Holz einarbeiten konnte. Ich werde meine Bemühungen jetzt unterlassen, auch gefällt es Vater nicht so gut, wie ich es mir erhofft habe. Er sagt es mir aber nicht und hat mich sogar für mein Geschick gelobt. Ich weiß jetzt auch mehr über dieses Perlmutt. Ich werde es wohl kaum an unseren Stränden finden, denn es stammt von Muscheln und Tieren, die tief in der See leben und nach denen gefischt werden muss. Wer hier auf den Inseln einen Vorrat an Perlmutt besitzt, hat einen kleinen Schatz und nutzt ihn, um zu tauschen oder um etwas zu bezahlen. Die Tuamoto-Inseln werden deswegen auch von Händlern angefahren, die das Perlmutt aufkaufen.

      Eiao, 17. Juli 1909

      Ich bin noch gar nicht auf Eiao, wir sind noch auf dem Schiff und segeln Richtung Norden. Vater will fotografieren und ich begleite ihn diesmal. Wenn mein Tagebuch nass wird, muss ich alles noch einmal abschreiben. Es wird aber nicht nass, denn die See ist ruhig. Ich habe noch eine ganze Zeit lang die Bergspitzen auf Nuku Hiva sehen können, jetzt nicht mehr und Eiao ist auch noch nicht in Sicht.

      Eiao, 19. Juli 1909

      Wir haben zweimal auf dem Schiff übernachtet. Vater will die Fotografien nach Amerika verkaufen. Er nimmt die Landschaft der Insel auf. Ich kenne die Bilder, die er schon auf anderen Inseln gemacht hat, ich finde sie langweilig. Wir können bis nach Hatutu hinübersehen, es ist ja nur wenige Kilometer entfernt. Ich würde es bestimmt schaffen, dorthin zu schwimmen, aber das erlaubt Vater mir nicht. Auf Eiao haben wir einige Fischer mit ihren Booten getroffen. Ich kenne sie nicht und Vater auch nicht. Sie interessieren sich für Vaters Kamera. Vater fotografiert sie aber nicht, er hat zu wenig Filme dabei und braucht alles für seine Landschaften. Bei Hatutu liegt auch ein Schiff, es kann aber kein Fischerboot sein, wir sehen die Masten, es muss noch größer als unser Schiff sein. Es gibt Amerikaner, die von San Francisco aus nach Tahiti kommen und auch auf den Marquesas haltmachen, darum wollen auch die Amerikaner Vaters Fotografien kaufen. Morgen früh segeln wir wieder zurück.

      Taiohae, 1. August 1909

      Vater hat mir erst jetzt mehr über das Schiff bei Hatutu erzählt. Einer der Fischer, denen wir auf Eiao begegnet sind, hat von Gewehren gesprochen, von Kisten mit Snidergewehren. Der Fischer war sogar an Bord dieses Schiffes und hat sie mit eigenen Augen gesehen. Vater sagt, dass es wohl illegal sei, dass die Gewehre geschmuggelt werden. Er hat der Gendarmerie hier in Taiohae Bescheid gegeben. Die Gendarmerie muss diesen Schmuggel ernst nehmen, wie Vater sagt, denn die Gewehre könnten in die Hände von Aufständischen fallen oder zu Raubzügen benutzt werden.

      Taiohae, 30. August 1909

      Es war einfach nur widerlich. Ich habe schon häufiger betrunkene Matrosen gesehen, vor allem in Papeete, aber noch nie so ein Elend. Ich bin schon am Nachmittag einmal an unserer Taverne vorbeigekommen und habe drei von ihnen gesehen, als sie noch nicht so betrunken waren. Sie haben mir noch hinterhergerufen, aber ich habe keine Notiz von ihnen genommen, es war ja auch harmlos. Auf dem Rückweg, gut zwei Stunden später habe ich sie schon von Weitem gehört, sie waren immer noch da. Der eine saß inzwischen auf der Straße im Staub. Ein Karren hätte ihn überfahren können. Er hatte seine Flasche noch in der Hand, leer. Es war natürlich Absinth, was auch sonst. Die anderen beiden sind wenigstens auf der Veranda der Taverne geblieben, an einem Tisch sitzend und die Köpfe auf die Tischplatte gesenkt, bewegungslos. Hier standen auch eine Absinthflasche und etliche Bierflaschen neben ihnen auf dem Tisch. Am Boden lag eine weitere Flasche, zerbrochen. Die Scherben in einer Pfütze Alkohol. Es roch ganz aromatisch. Als ich gerade vorüberging und noch dachte, wer den einen Matrosen wohl von der Straße holen wird, da hob plötzlich einer der anderen beiden seinen Kopf, stand auf, ging zum Geländer der Veranda und erbrach sich, fast genau vor meinen Füßen. Ich habe mich sofort abgewendet und bin schnell weitergegangen, es war widerlich. Zum Glück kamen mir auch schon die Gendarmen entgegen.

      Taiohae, 8. September 1909

      Seit der Sache mit den Snidergewehren hat Vater nun immer sein altes Gewehr dabei. Die Kugel, die im Schaft steckt, ist jetzt aber herausgefallen. Vater sagt, es sei ein Glücksbringer. Er musste sich sehr bemühen, die Kugel wieder zu befestigen. Er hat sie mit etwas Teer festgeklebt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es halten wird.

      Taiohae, 24. September 1909

      Ich bin erst gestern von einer längeren Reise zurück. Ich nenne es meine Reisen. Vater hat geschimpft, dabei habe ich nichts Böses getan. Ich bin mit dem Postschiff nach Oa Pou gefahren und habe eine Woche in der Mission gewohnt, bei den Nonnen und dem Pater. Ich habe in der Schule unterrichtet, ich habe an einigen Tagen aus meinem Lieblingsbuch vorgelesen, aus Robinson Crusoe. Vater hat mir das Buch zu Weihnachten geschenkt. Es hat einmal ihm gehört. Ich habe es schon dreimal gelesen. In der Schule auf Oa Pou habe ich nur aus den besten Kapiteln vorgelesen. Es handelt von einer Insel. Wir leben schließlich auch auf Inseln, zwar nicht allein, wie dieser Robinson, aber doch allein im großen Ozean. Auf dem Rückweg nach Taiohae ist das Postschiff nach Ua Huka gefahren. Dort gibt es überhaupt keine richtige Schule. Einige Nonnen kommen extra aus Oa Pou und geben den Kindern der Bauern und Fischer einmal im Monat Unterricht. Sie bringen ihnen ein wenig Lesen und Schreiben bei und erzählen natürlich von Gott, was wichtiger zu sein scheint, als die Mathematik und Erd- und Völkerkunde. Ich habe mich sehr darüber gewundert, wo es doch mehrere Pfarreien auf Ua Huka gibt, die jeden Sonntag, den Menschen Gott näherbringen. Es ist spannend Lehrerin zu sein. Ich hätte so viele Ideen, die aber den Nonnen wohl nicht gefallen werden. Ich habe mit Vater darüber gesprochen. Er ist auf meiner Seite, meint aber, dass die Vorstellungen