Brisbane, 3. Mai 1915
Ein weiteres australisches Unterseeboot ist verloren gegangen. Diesmal ist es wohl ganz sicher, dass es durch feindlichen Beschuss versenkt wurde. Im östlichen Mittelmeer halten die Kämpfe gegen das Osmanische Reich an. Es werden jetzt so viele Ortsnamen erwähnt, die Dardanellen, das Schwarze Meer und Gallipoli. Gerade dort sind die Truppen unter schweren Beschuss geraten.
Brisbane, 8. Mai 1915
Wie eine böse Nachricht muss es um die Welt gegangen sein und hat sehr schnell auch Australien erreicht. Der Passagierdampfer Lusitania wurde von den Deutschen versenkt. Hunderte Menschen sind ertrunken, verbrannt oder wurden zerfetzt, darunter auch viele Amerikaner. Alles wartet jetzt auf eine Reaktion der amerikanischen Regierung. Die Deutschen können nicht ungestraft Amerikaner töten, die gar nichts mit dem Krieg zu tun haben. Es wird auch erwartet, dass die Amerikaner jetzt aufseiten der Entente in den Krieg gegen Deutschland eintreten.
Brisbane, 14. Mai 1915
Heute war ich einkaufen. Ich habe nicht nach dem Geld geschaut, denn es geht darum, was ich zu Pfingsten anziehe. Ich habe in einem Modemagazin geblättert und in der vergangenen Woche begonnen, andere Frauen zu beobachten, was sie tragen, was gerade in Mode ist. Ich bin doch so einfach. Ich habe mir bisher noch nie über den Schnitt eines Kleides oder einer Bluse Gedanken gemacht. Ich habe mir auch die Frage gestellt, welche Bedeutung Pfingsten hat, ist es ein religiöses Fest? Natürlich ist es das, aber steht es über Ostern oder Weihnachten. Oh Gott, ich weiß noch nicht einmal, welcher Konfession John und seine Familie angehören. Wenn ich dort hochgeschlossen wie eine Klosternovizin erscheine, kann es ein Fehler sein, genauso als wenn ich zu leger gekleidet bin. Ich traue mich nicht, John zu fragen, ich bin schließlich eine Frau und kann einen Mann nicht nach solchen Dingen fragen. Meine zweite Schwierigkeit hat mit Tom zu tun. Ich habe eigentlich auch für ihn nichts richtig Festliches anzuziehen. Es war bisher nicht notwendig. Ich möchte aber unbedingt, dass Tom und ich standesgemäß auftreten. Was ist eigentlich unser Stand, frage ich mich jetzt. In der Kolonie, auf Tahiti und auf den Marquesas, war Vater sehr angesehen. Ich habe mich dem nicht immer würdig gezeigt, weil ich meinen eigenen Kopf hatte. Warum ist es mir dann jetzt so wichtig, was Johns Familie über mich denkt. Es ist die Umgebung. Ich lebe nicht mehr in einer Kolonie. Brisbane ist eine Großstadt, kein Dorf, ich muss mich selbst anpassen, wenn mich die Menschen beachten sollen, von denen ich Beachtung erwarte. Für Tom werde ich Hose, Hemd und Jacke kaufen. Es soll schlicht sein, er ist schließlich erst drei und braucht nicht wie ein kleiner Prinz herumlaufen.
Brisbane, 21. Mai 1915
Alles ist gepackt. Es sind zwei kleine Taschen, die ich ebenfalls neu gekauft habe, weil ich nur Koffer für eine lange Reise besitze. Ich gefalle mir. Ich habe für jeden der vier Tage, die wir in Redcliffe bleiben, eine andere Kombination aus Kleidern, Röcken und Blusen. Die Sachen sind noch nicht einmal alle neu, ein Entschluss, den ich nach langem Überlegen getroffen habe. John wird mich in einer halben Stunde abholen. Er hat angekündigt, mit einem Automobil zu kommen. Wir werden gut zwei Stunden nach Redcliffe brauchen. Bevor ich mich endgültig fertigmache, schreibe ich diese letzten Zeilen in mein Büchlein. Wenn ich das nächste Mal die Feder in die Hand nehme, werde ich schon wissen, wie der Besuch bei Johns Eltern verlaufen ist.
Brisbane, 1. Juni 1915
Am Mittwoch war ich wieder zu Hause. Dann musste Vater nach Perth reisen, wo er sich noch immer aufhält. Dann bin ich am Montag in eine Prüfung gegangen, die ich schon fast verdrängt hatte. Das Wochenende habe ich mit Lernen verbracht, das heißt nicht ganz, am Sonntagnachmittag hat John mich wieder ausgeführt und er hat mir sogar erzählt, was seine Eltern über mich gesagt haben. Ich weiß nicht, ob er mich anflunkert. Seine Mutter fand mich entzückend, aber John hat natürlich übertrieben. Sein Vater mag mich, was ein großes Kompliment sein soll. Johns Schwestern haben ihr Urteil über mich noch nicht abgegeben, weil John sie seit Pfingsten nicht wiedergesehen hat. Alles in allem habe ich mich in Redcliffe gut benommen und Tom natürlich auch. John hatte tatsächlich ein Automobil und es war das erste Mal, dass ich in einem solchen Vehikel gefahren bin. Natürlich bin ich schon oft im Omnibus gefahren, aber ein Automobil ist noch wieder anders, die Insassen sind der Straße näher, wobei wir nicht immer auf richtigen Straßen fahren konnten. Redcliffe ist ein Dorf, mit einem kleinen Hafen, in dem ein paar Fischerboote liegen. Noch etwas außerhalb von Redcliffe, mit Blick aufs Meer, besitzen die Altsmiths ein Grundstück mit einem Landhaus darauf. Der Bau ist nicht prachtvoll, sondern eher gemütlich. Es ist wohl kein Anwesen, auf dem hohe Gäste empfangen werden oder gar elegante Feste stattfinden. Es ist etwas für die Familie, wenn sich die Familie trifft, sich zurückziehen möchte, von den Geschäften und der Großstadt. Genau dieser Umstand hat es mir sehr leichtgemacht. John hat mich in seine Familie eingeladen, ganz privat. Es war zwar alles sehr würdig, aber nicht gezwungen. Eine weitere Sache hat es mir zusätzlich einfach gemacht. Ich wusste ja, dass die Altsmiths zahlreich sind, und hatte auch gehofft, dass Tom und ich uns ein wenig dahinter verstecken könnten. So war es dann auch. Ich überlege. Emilia und David haben drei Jungen, Caroline und Fred zwei Jungen und zwei Mädchen und Fabiola und Carl haben eine Tochter. Die Kinder sind im Alter zwischen fünf und vierzehn. Die beiden älteren Mädchen haben sich die ganzen vier Tage um Tom gekümmert, mit ihm gespielt, als wäre er ein Bruder oder Cousin. Nach unserer Ankunft wurden wir der Familie zunächst vorgestellt. Mr. und Mrs. Altsmith waren sehr höflich und haben mir überhaupt nicht das Gefühl gegeben, als sei ich die Sensation des Tages, die Frau, die der Sohn in das Haus der Eltern mitbringt. Dabei fällt mir ein, dass ich mich beinahe noch blamiert hätte. Johns Vater hat mein Kleid gelobt, mein elegantes Auftreten. Es war natürlich nur aus Höflichkeit, weil es sich so gehört. Ich musste aber sofort an ein Zitat aus Zolas Rougon-Macquart denken. Dort wurde eine Dame auch ihres Kleides wegen gelobt und sie hat geantwortet, dass sie darunter ein noch viel Schöneres tragen würde. Dies ist mir sofort eingefallen, als Johns Vater sein Kompliment machte und ich musste mich beherrschen, nicht zu lachen und albern zu werden. Es war die einzige heikle Situation und ich habe mich ansonsten wohl recht gut benommen. Es war auch von Vorteil, dass John nur Schwestern hat, besonders mit Fabiola habe ich mich gut verstanden. Sie ist nur drei Jahre älter als ich. Unsere Ankunft, am späten Nachmittag, und das Kennenlernen von Johns Familie, ließ den Freitag schnell vorübergehen. Noch vor dem Abendessen wurden die Zimmer verteilt. Tom und ich waren im Gästeflügel des Hauses untergebracht, in dem auch alle Kinder und Fabiola und Carl ihre Schlafzimmer hatten. Mr. und Mrs. Altsmith, John und die anderen hatten ihre Zimmer im Hauptflügel des Hauses. Das Wochenende und auch der Montag und Dienstag waren sehr unbeschwert. Ich war natürlich keine Minute mit John allein, dafür habe ich viel Neues über ihn erfahren, Dinge, die John mir selbst bestimmt nicht erzählt hätte. Ich kenne jetzt jeden Unfall, jeden Knochenbruch, den John jemals in seinem Leben hatte. Ich weiß, dass er als Kind sehr trotzig war und geweint hat, wenn die Gouvernante ihm die Haare scheiden wollte. Ich habe sogar einige Fotografien gesehen, die John als Kind zeigen. Besonders gut hat mir eine Aufnahme gefallen, auf der die ganze Familie Altsmith zu sehen war. John und seine Schwestern waren noch Kinder und Mr. und Mrs. Altsmith sahen deutlich jünger aus als heute. Das Pfingstfest und die Begegnung mit seiner Familie haben