Brisbane, 14. November 1911
Es ging jetzt ganz schnell. Die Zeit in der Pension ist endlich vorüber. Vater hat ein Haus für uns gefunden. Wir wohnen in New Farm, einem Stadtteil von Brisbane, der in einer Schleife des Flusses liegt, gar nicht so weit vom Business District entfernt. Das Haus hat ein kleines Wohnzimmer, eine Küche mit einem Abstellraum und je ein Schlafzimmer für Vater und mich. Wir haben sogar noch einen weiteren Raum, den Vater zu seinem Arbeitszimmer machen wird. Dafür bekomme ich das größere Schlafzimmer. Dann haben wir sogar noch einen kleinen Garten. Ach ja, und das Haus hat auch noch einen Keller. Bei einem Spaziergang habe ich schon gesehen, dass es einen Park in der Nähe gibt, der direkt am Fluss liegt.
Brisbane, 30. November 1911
Ich bin letzte Woche noch einmal bei meinem Arzt gewesen. Es bestand zwar kein Grund dazu, ich habe noch keinerlei Beschwerden, aber ich wollte erfahren, wie genau das Mutterwerden in den nächsten Wochen und Monaten verläuft. Ich habe noch keine Erfahrungen. Ich habe mich bis jetzt nie dafür interessiert, was genau passiert, wenn eine Frau schwanger ist. Der Arzt war sehr fürsorglich. Er hat mich ganz behutsam auf alles vorbereitet und er hat mir auch die Adresse einer Hebamme gegeben. Ich werde sie wohl nächste Woche aufsuchen. Der Arzt hat noch einmal gerechnet und die Geburt meines Kindes für den April nächsten Jahres angekündigt, vorausgesetzt, dass alles, was ich über meinen Körper zu berichten hatte, auch der Wahrheit und nicht der Einbildung entspricht.
Brisbane, 7. Dezember 1911
Ich habe Onoo geschrieben. Ich habe aber nichts von der Situation erzählt, in der ich mich befinde. Ich habe beschlossen, dass er sich nicht des Kindes wegen, für mich entscheiden soll. Ich will, dass er zu mir steht, nur zu mir. Obwohl Vater sich entschlossen hat, vorerst in Australien zu bleiben, habe ich Onoo angeboten, mit ihm auf Tahiti zu leben. Nach Ua Huka und zu seiner Familie, möchte ich zunächst nicht zurück. All dies habe ich ihm deutlich gemacht. Ich warte jetzt auf eine Antwort.
1912
Brisbane, 10. Januar 1912
Das Weihnachtsfest war sehr entspannt. Wir waren über die Feiertage eingeladen. Vater hat hier in Brisbane schon Freunde gefunden. Mr. Cutter ist Korrespondent, er berichtet für eine Zeitung und reist dafür in ganz New South Wales herum. Vater hat ihn sogar einmal auf einer seiner Reisen begleitet und für ihn fotografiert. Die Familie Cutter ist recht zahlreich. Es sind insgesamt sieben Kinder und Mrs. Cutter hat sogar einen Säugling, was mich natürlich besonders interessiert. Ich war dabei, als sie das Baby gewickelt hat und ich habe es sogar gefüttert. Aus irgendeinem Grund stillt Mrs. Cutter ihr Baby nicht, sondern gibt ihm das Fläschchen. Als ich es gemacht habe, war ich ganz vorsichtig. Es war ungewohnt aber schön. Über meinen eigenen Zustand haben wir natürlich nicht gesprochen. An meiner Figur lässt es sich derzeit noch schlecht ablesen, was sich aber in den nächsten Wochen deutlich ändern soll, wie mir die Hebamme versichert hat. Es gibt Phasen, da freue ich mich unendlich über mein Kind und es gibt Zeiten, da habe ich Angst vor dem, was kommen wird. Es liegt vielleicht auch daran, dass Onoo noch immer nicht geschrieben hat. Mein Brief muss ihn längst erreicht haben. Ich warte noch bis Ende Januar, dann werde ich ihm einen zweiten Brief schreiben. Ob ich ihm dann über unser Kind berichte, weiß ich noch nicht.
Brisbane, 21. Januar 1912
In der Kommandantur auf Tahiti hat Vater noch Freunde. Wenn Mutter auf den Brief vom Oktober antwortet, wenn sie nach Papeete schreibt, dann wird uns ihr Brief nach Brisbane nachgesendet. Vater ist jetzt in der Zeit nach Weihnachten ganz unruhig geworden. Ich meine, dass so schnell noch keine Antwort gekommen sein kann.
Brisbane, 2. Februar 1912
Wir lesen jetzt eine französische Zeitung hier in Australien, sie heißt Iris d'Australie und trägt auch die Schwertlilie auf der Titelseite. Sie ist natürlich nicht royalistisch. Frankreich ist ja seit Jahrzehnten keine Monarchie mehr und die Bourbonen sind noch viel länger nicht mehr an der Macht. Vater hat sich erklären lassen, dass bei der Schwertlilie jeder Franzose gleich an Frankreich denkt, so glauben es zumindest jene Franzosen, die die Zeitung herausbringen. Einige von ihnen sind noch nie in Frankreich gewesen, hat sich Vater sagen lassen. Es ist auf jeden Fall schön, die Nachrichten auch auf Französisch zu lesen, so kann ich es mit dem Englischen vergleichen und lerne die Sprache noch besser, obwohl es schon sehr gut geht. Die Auflage der Iris ist nicht sehr hoch, weil es in Australien nicht viele Franzosen gibt, vermute ich, aber die Zeitung erscheint in allen großen Städten einmal die Woche, natürlich auch hier in Brisbane.
Brisbane, 15. Februar 1912
Zu Vaters Geburtstag habe ich mich in Unkosten gestürzt. Es war ein verlockendes Angebot. In einer Buchhandlung habe ich Zolas Rougon-Macquart gefunden. Es sind zwanzig Bände, im Original auf Französisch. Die Ausgabe stammt aus dem Jahre 1903. Ich habe über Zola im Gil Blas gelesen, als wir im letzten Oktober auf dem Schiff unterwegs hierher waren. Der Händler hat es in seiner Antiquariatsecke präsentiert. Er hat mir verraten, dass er das Werk seit Jahren besitzt und bisher nichts davon verkauft hätte, sodass alle Bände noch beisammen sind. Er hat mir einen guten Preis gemacht. Ich habe natürlich nicht gleich alle Bücher gekauft. Wir haben vereinbart, dass ich jeden Monat drei Bände bekomme und auch erst dann zahle. Im November habe ich sie somit alle beisammen. Zu Vaters Geburtstag habe ich also drei Bände präsentieren können, »Das Glück der Familie Rougon«, »Die Beute« und »Der Bauch von Paris«. Vater hat sich gefreut. Ich habe ihn dann auch genötigt, schnell zu lesen. Er muss drei Romane pro Monat schaffen, denn schon im März hole ich die nächsten Bände aus der Buchhandlung.
Brisbane, 17. März 1912
Heute am 17. bin ich siebzehn geworden und es war auch noch ein Sonntag, ein wunderschöner Tag. Wir haben gefeiert, nur Vater und ich. Wir sind am Vormittag in die Kirche gegangen, was wir nicht sehr regelmäßig tun. Heute wollte ich es aber unbedingt. Es war schön, weil wir nicht viele Leute kennen und die, die wir kennen, sehen mich nicht mehr fragend an. Eigentlich hat noch nie jemand gefragt. Ich habe mir am Anfang eingebildet, dass ich eine Geschichte erfinden müsste, warum ich dieses Kind ohne einen Vater austrage. Ich bin froh darüber, dass ich es nicht getan habe. Meine Hebamme hat in ihrer Kundschaft noch fünf andere Frauen, die wie ich nicht über den Vater ihres Kindes sprechen. Ich vermute, dass einige von ihnen den Vater gar nicht kennen. Mir geht es da zum Glück anders. Diese Tatsache ist mir wichtig, auch wenn Onoo sich bisher nicht bei mir gemeldet hat. Insgeheim hoffe ich noch immer, dass er eines Tages vor unserer Tür steht, dass er mich überraschen will und dann selbst überrascht ist, wenn er mich sieht. Mein Bauch ist schon so groß. Ich hätte nie gedacht, dass er so groß werden würde. Der Arzt sagt, dass es noch nicht das Ende sei. Es sind immerhin noch fünf Wochen bis zur Geburt. Onoo würde sich jedenfalls sehr wundern, in diesem Zustand vermutet er mich bestimmt nicht. Ich überlege, was ich überhaupt erwarte, was ich von Onoo erwarte. Ich habe ihm zwei Briefe geschrieben. Es waren immerhin zwei, einen im letzten November und einen vor gut acht Wochen, im Januar. Er muss sie längst erhalten haben, doch er hat bis jetzt nicht geantwortet,