Voll erwischt. Ellen Sommer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ellen Sommer
Издательство: Bookwire
Серия: Voll erwischt
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738051704
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mitbekommen und starrte ihn nur entsetzt an. Logischerweise wurde ich rot weil diesmal alle mich anstarrten. Ein plötzlicher Schmerz an meinem linken Fuß ließ mich erneut zusammenzucken und ich schaute entrüstet nach links, wo Chris gerade in seinen Block schrieb: „DOCH!“

      „Doch“, war das Einzige, was ich raus brachte und ich sah, wie Sara in sich zusammenfiel.

      „Das sollten Sie auch, denn seine Antwort war 100% richtig, Frau …?“

      „Dechamps- ich heiße Lille Dechamps.“

      „Ah, die neue Schülerin. Willkommen in Mathe.“

      Na klasse, das hatte ich ja hervorragend hinbekommen. Super Aktion Lille! Ich bemühte mich, den Rest der Stunde nicht nach links oder rechts zu gucken und nachdem zwei Zettel zu mir rüber gewandert kamen, schob ich sie demonstrativ unter meinen Block und schrieb: „NACHHER“ über die Seite, so dass Christopher, bei normaler Sehstärke, wusste woran er war. Puh, wie peinlich.

      Christopher

      „Einfach süß, wenn sie rot wird“, war alles was mir dazu einfiel. Ich grübelte, wie ich sie dazu bekommen konnte, mich wieder anzusehen, denn sie schaute jetzt demonstrativ und hochkonzentriert nach vorne. Dabei war Heitmanns Show heute alles andere als spannend. Er liebte es, gleich voll in die Materie einzudringen und erst mal auszusortieren, wer ein mathematisches Genie war (Nils und der eine oder andere), wer ein solides Grundwissen mitbrachte und wer ein absolut hoffnungsloser Fall war. So stand die Endnote schon am Ende der ersten Stunde fest, und es erleichterte ihm den Unterricht enorm. Er konnte also immer die richtigen Schüler fragen und der Rest konnte in gnädiger Agonie verharren. Es ersparte uns und ihm einigen Ärger, auch wenn teilweise doch ziemlich unfaire Noten dabei herauskamen. „Hey, wenn sie mich gefragt hätten, hätte ich ihnen beweisen können, dass ich es auch wusste“, galt bei ihm nicht als Argument, denn seiner Meinung nach hatten wir eine „Bringschuld“. Die Klausuren waren eh nur was für Cracks und man konnte froh sein, etwas mehr als 50% zu schaffen, um zu bestehen. Im letzten Jahr hatte ich mitbekommen, wie Sara immer kurz vor den Klausuren mit panikerstickter Stimme bei Nils um Nachhilfe bettelte, der sich das gut bezahlen ließ. Mich zu fragen, hätte sie nichts gekostet, aber auf die Idee kam sie gar nicht erst.

      

      Lille

      Ich passte auf, wie ein Schießhund. Die Formeln, die er mit krakeliger Schrift an die Tafel schrieb, kamen mir irgendwie bekannt vor. Plötzlich schoss mir „Algebra“ in den Kopf. Judies Horror und mein Glück, dass ihr Exfreund so verknallt in sie war, dass er uns beiden kostenlose Nachhilfestunden gegeben hatte. Und dank ihm, wusste ich jetzt auch die Lösung für die Formel. Ich meldete mich, noch bevor Herr Heitmann das „=“ geschrieben hatte. Er bat mich nach vorne und ich hatte immerhin so viel Mumm, ohne rot zu werden, an die Tafel zu gehen und die korrekte Lösung aufzuschreiben. Beim Zurückgehen, sah ich, wie er ein Plus an meinen Sitzplatz schrieb und ging, ohne zur Seite zu sehen, an meinen Platz neben Chris zurück.

      Chris applaudierte mir leise unter dem Tisch und ich wusste nicht, ob mir das jetzt peinlich sein oder ob ich mich freuen sollte. Da klingelte es zur 5 Minutenpause und Sara drehte sich ruckartig um: „Tausch doch jetzt eben mit Alice, noch ist die Liste nicht rum.“ Ich dachte an das Plus neben meinem Namen und schüttelte den Kopf. Endlich hatte ich mal den Durchblick, da könnte ich das Plus doch nicht Alice überlassen. Chris streckte seine Beine aus und trat gegen Nils Stuhl: „Hey Nilsi, willst du deinen Platz mit Lille tauschen?“ Nils drehte sich betont langsam um, schaute mich intensiv aber kurz an und sagte dann im Wegdrehen: „Nö, bleibe neben Sara.“ Tja, damit hatte sich die Sitzordnung geklärt. Alice holte eine zweite Runde Donuts aus der Tasche und bot mir auch einen an. Mir lief es eiskalt den Rücken runter. Wenn ich auf etwas definitiv verzichten konnte, waren es kalte, fettige Donuts. Ich bemühte mich, einigermaßen freundlich abzulehnen. Chris griff dagegen rotzfrech in die Packung obwohl er gar nicht gefragt war. „Dann nehme ich mir deinen, hab noch nicht gefrühstückt. Danke A.“ Sie wurde ganz rot und stammelte: „Lass es dir schmecken.“

      Während er geräuschvoll kaute, zog ich die Zettel unter meinem Block hervor und versuchte, sie zu lesen. Da klatschte er mit seiner Hand auf die Zettel und zog sie zu sich rüber. „Hat sich erledigt“, nuschelte er mit vollem Mund und handelte sich dabei einen missbilligenden Blick von Sara und einen erstaunten Blick von mir ein. Er stopfte sie in seine Hosentasche, und da fiel mir plötzlich ein, dass ich den Zettel von gestern ja noch gar nicht gelesen hatte. Hatte ich komplett vergessen, aber jetzt war ich doppelt neugierig, was draufstand und hoffte, dass die nächste Stunde bis zu großen Pause ganz schnell vorbei ging…Das war zum Glück so und ich warf vor dem Gong noch schnell einen Blick auf meinen Plan wo die Toiletten waren (neben der Pausenhalle) und steuerte nach dem Pausen-Gong gleich drauflos. Sara rief mir hinterher: „Bis nachher bei Jack“ und hakte sich bei Nils ein.

      Tja, soviel dann zu neuer Freundin. Chris grinste verlegen und fragte, ob ich auch zur Pausenhalle wollte, da könnte ich ja mit ihm gehen.

      Wie das klang: “Da kannst du ja mit mir gehen...“ Ich kam mir vor wie mit 14 als wir bei unserer Klassenfahrt zum ersten Mal Blues getanzt und am nächsten Morgen alle einen Freund hatten (sogar die dicke Betty, die unseren Klassenstreber Björn abschleppte). Mensch, was waren wir stolz! Judy und ich hatten das Hochgefühl allerdings nur so lange, bis wir im Bus feststellten, dass unsere Freunde uns jeweils neben sich einen Sitzplatz reserviert hatten. Uns graute es davor, die nächsten 4 Stunden schwitzige Händchen halten zu müssen und ein Blick genügte, um an Tom und Dennis vorbei zu huschen und uns in die letzte Reihe neben Jenni und Frank zu quetschen. Allerdings waren wir uns dann in den nächsten 4 Stunden nicht so sicher, ob das wirklich die beste Entscheidung war, weil Jenni und Frank die ganze Zeit knutschten und komische Geräusche von sich gaben.

      Ich darf nicht vergessen unsere legendäre „Schlussmachparty“ zu erwähnen, die bei Dirk stattfand, wo am Ende alle Jungs mehr oder weniger betrunken in der Keller-Bar seines Papas Trübsal bliesen, während wir Mädels unsere neu gewonnene „Freiheit“ im Elternbad feierten und jede neu dazukommende Klassenkameradin frenetisch bejubelten und ganz ohne Alkohol „high“ waren.

      High war ich zwar jetzt nicht, aber es war trotzdem schön, die Haupttreppe nicht alleine zur Pausenhalle runtergehen zu müssen, auch wenn Chris nicht besonders gesprächig war. Er sparte sich seinen Charme offensichtlich für wichtigere Events auf. Ich blinzelte ihn kurz von der Seite an und bemerkte, dass er extrem blass war. Er sah so aus, als könnte er eine Mütze Schlaf dringend gebrauchen und war lange nicht mehr so spritzig wie gestern in Englisch. Ich fragte mich, was er des Nachts so trieb und bei den Möglichkeiten wurde mir klar, dass ich es so genau dann doch nicht wissen wollte. „Was hast du als nächstes?“ „Bio und du?“ „Auch.“ „Noch ein Herzchen...“, murmelte er und ich wurde wieder rot. „Aber diesmal gehe ich pünktlich und warte nicht wieder auf dich“, rief ich ihm betont streng zu, als ich rechts zu den Mädchen-Toiletten abbog.

      Ich konnte es kaum erwarten, den Zettel von gestern zu lesen und war gespannt wie ein Flitzebogen. Zum Glück musste ich nicht lange in der Schlange stehen. Ich griff in die linke Hosentasche, hielt inne, suchte noch mal, griff in die rechte Tasche und stellte bitter enttäuscht fest, dass meine Hosentaschen beidseits ein Loch hatten. So was Blödes. 5 Minuten später hatte ich mir auch einen Platz an einem der Spiegel erkämpft, an denen 12 aufgescheuchte Hühner versuchten, die Schminke zu erneuern oder ungeniert Pickel auszuquetschen. Ich warf einen Blick auf mein blasses Gesicht, das zum Glück nicht so abgekämpft wirkte, wie das von Chris. Neben mir stand ein Mädel mit kurzen Haaren, die mir irgendwie bekannt vorkam. „Hi Lisa“, sagte ich zu ihr, worauf sie mich irritiert ansah und pikiert fragte: “Kennen wir uns etwa?“ Ich wurde rot und versuchte mich zu korrigieren „Ich dachte schon, heißt du nicht Lisa?“ Sie nickte: „Doch, aber ich habe dich noch nie gesehen…“, drehte sich um und ging mit ihrer Freundin raus.

      Etwas verwirrt trat ich hinter ihnen auch in die Pausenhalle. Ich warf meine Brote in die nächste Mülltonne und kaufte mir am Kiosk eine Cola light. Sara wedelte aus Jacks Ecke mit den Armen und rief mir etwas zu, was