Ströme meines Ozeans. Ole R. Börgdahl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ole R. Börgdahl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847621058
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genieße es, ihn abends bei mir zu haben. Ich bin auch morgens schon um neun im Geschäft von Monsieur Rolland und bleibe bis fünf. In der letzten Woche hat mich Monsieur Rolland zweimal mit zu Kunden genommen. Wir haben unsere Kollektionen vorgestellt und einen Auftrag über ein Kollier mit passendem Armreif und Ohrringen erhalten. Einmal sind wir auf der Rückfahrt am Palais Royal vorbeigekommen und Monsieur Rolland hat mir gezeigt, wo sein altes Geschäft war. Das Palais Royal ist natürlich eine sehr gute Adresse. Monsieur Rolland hat den Laden aber aufgegeben, weil die Räumlichkeiten immer beengter wurden und auch, weil die Mieten sehr hoch sind. Ich hätte nichts dagegen, im Palais zu arbeiten, es ist alles so würdevoll und alt.

      Paris, 2. Mai 1891

      Es ist eine Schande, warum müssen Menschen sterben, warum wird auf wehrlose Menschen geschossen. Ich weiß es nicht, alles was ich weiß, habe ich aus der Zeitung erfahren. Die Fabrikarbeiter in ganz Frankreich, ich glaube sogar in ganz Europa oder sogar der Welt, haben gestern einen Feiertag begangen, den Tag der Arbeiter, der seit gestern nun jedes Jahr zum 1. Mai stattfinden soll. Dieser Tag wird aber bestimmt nicht noch einmal begangen, nicht nach dem, was sich gestern in Fourmies ereignet hat. Die Polizei hat auf Demonstranten geschossen, es gab neun Tote, zumeist ganz junge Männer, wie die Zeitungen schreiben und es wurde auch eine Frau verletzt, eine Frau, die ganz bestimmt keinem der Polizisten etwas zuleide hätte tun können. Ich habe Victor gefragt, was er unternommen hätte, ob er auch den Befehl zum Schießen gegeben hätte. Es ist nicht ganz fair, so etwas zu fragen. Victor ist mir ausgewichen. Er hat mich gefragt, ob ich denn wüsste, dass die Demonstranten nicht bewaffnet gewesen seien und ob ich es besser gefunden hätte, wenn nun die Frauen der Polizisten um ihre Männer trauerten. Ich wusste es natürlich nicht. In der Zeitung wurde nur von friedlichen Demonstranten berichtet. Ich bin aber davon überzeugt, wenn sie friedlich waren, dann hatten sie auch keine Waffen. Als Offizier, so meinte Victor, hätte er immer die Verantwortung für seine eigenen Männer und so kann es auch dem Polizeioffizier ergangen sein. Ich gebe Victor nur in einem Recht, wir waren beide nicht in Fourmies dabei und kennen nur das, was die Zeitung berichtet.

      Paris, 20. Mai 1891

      Gestern haben wir einen Eilauftrag bekommen. Eine ungewöhnliche Sache, denn Monsieur Rolland hat eine Brosche nicht verkauft, sondern für zwei Tage verliehen. Der Empfänger brauchte sie innerhalb einer Stunde und so hatte ich den Einfall, das Schmuckstück mit der Rohrpost zu verschicken. Wir sind gemeinsam zum Amt gegangen, aber leider wurde unsere Sendung nicht angenommen. Monsieur Rolland war mir aber nicht böse. Er hielt es trotzdem für eine gute Idee. Wir haben schließlich einen Kurier geschickt.

      Paris, 11. Juni 1891

      Aus der Kaserne gab es heute Neuigkeiten. Colonel Dubois, Victors Vorgesetzter wird auf eigenen Wunsch nach Brest versetzt. Colonel Dubois will seine letzten Dienstjahre in seiner Heimatstadt verbringen. Es wird aber erst im Oktober soweit sein. Victor bedauert es sehr, weil er mit Colonel Dubois mehr einen väterlichen Freund als einen Vorgesetzten hat.

      Paris, 19. Juni 1891

      Ich habe heute mit einer Dame gesprochen, ich weiß gar nicht, wer sie war. Ich bin nach Hause gekommen, da hat sie mich auf dem Bürgersteig angesprochen. Sie hat die Häuser in der Rue Marcadet gelobt, dass alles wieder so schön hergerichtet worden sei und dass unser Viertel nobler geworden wäre. Ich habe erst gar nicht verstanden, was die Dame damit meinte, aber dann hat sie mir erzählt, dass die Rue Marcadet ein Opfer der Commune gewesen sei, dass vor zwanzig Jahren viele Häuser in der Straße niedergebrannt wurden. Unser Haus muss auf den Trümmern der alten Rue Marcadet errichtet worden sein, ein merkwürdiger Gedanke. Ich frage mich gerade, ob vielleicht unser Keller noch der Keller des alten Hauses ist.

      Paris, 6. Juli 1891

      Der Sudan feiert bald sein einjähriges Bestehen unter französischem Schutz. Einige Wochen lang haben Victor und ich nicht mehr darüber gesprochen. Es gibt ein paar Heimkehrer in Victors Kaserne, die Männer der ersten Stunde, wie er sagt. Alle sind unversehrt und sehr zufrieden, mit der geleisteten Arbeit. Frankreich profitiert von seinen Kolonien. Ich weiß jetzt auch mehr über Afrika. Dieses Afrika ist faszinierend und unheimlich zugleich. Die Menschen, die dort leben, sind keine Franzosen, aber sie sollen den Franzosen gehorchen. Mehr will ich nicht mutmaßen. Es ist ungefährlich und gefährlich zugleich. In einem Land, das unter dem Schutz eines anderen Landes steht, gibt es immer Gefahren. Ich weiß nicht, ob ich auf dem Lande leben könnte. Vielleicht hier in Frankreich, aber bestimmt nicht in Afrika, wo es nur das Land gibt. Selbst Dakar ist nicht Paris, nicht einmal eine Stadt, wie es sie in Frankreich gibt. Es ist mir auch unheimlich, wenn die Menschen in einer Sprache sprechen, die ich nicht verstehe, wenn sie vielleicht über mich reden, vor meinen Augen und ich bekomme es nicht mit, verstehe womöglich die Beleidigungen nicht, die Pläne nicht, die gegen mich verschworen werden. Dies sind meine Gedanken. Ich habe Victor gebeten, nicht nach Afrika zu gehen. Er will mich nicht alleine lassen, er würde mich sogar nach Kayes mitnehmen und alles tun, dass es mir dort gut geht. Ich habe Angst vor Afrika. Victor weiß es jetzt.

      Deauville, 12. Juli 1891

      Wir sind gestern mit dem Zug nach Deauville gefahren. Heute ist unser erster richtiger Urlaubstag, der Erste von fünf. Unser Hotel liegt nicht sehr günstig, wir müssen gut einen Kilometer bis zum Strand laufen. Im Januar haben wir näher am Meer gewohnt. Das Wetter ist dafür aber wesentlich besser als noch im Winter. Es ist herrliches Sommerwetter, heiß und sonnig. Im Januar fand ich es aber auch sehr schön und den Urlaub im Januar werde ich ganz bestimmt auch länger in Erinnerung behalten, als jeden kommenden Urlaub. Mit Mutter und Vater war ich zuletzt vor drei Jahren in Deauville, natürlich auch im Sommer.

      Deauville, 15. Juli 1891

      An der Promenade habe ich mir die Namen von einigen Hotels und Pensionen aufgeschrieben, mit samt den Adressen und ich habe mir die Preise geben lassen. Wenn wir im nächsten Jahr hier sind, möchte ich doch nicht mehr so weit vom Meer entfernt wohnen. Dennoch waren die letzten Tage sehr schön. Die Sonne und das Meer beflügeln das Gemüt. Ich bin lange nicht mehr so viel spazieren gegangen und damit meine ich nicht allein den Weg vom Strand zu unserem Hotel, sondern auch die Spaziergänge auf der langen Uferpromenade.

      Paris, 19. Juli 1891

      Wir sind wieder in Paris. Es wird aber keine vier Wochen dauern und es geht erneut auf Reisen, nach Schottland. Schottland ist ein Geschenk von Vater und Mutter, es ist schon lange geplant und wird unsere eigentliche Hochzeitsreise sein.

      Paris, 30. Juli 1891

      Jeanettes Kochkünste sind schon bemerkenswert. Sie bringt es aus ihrem Elternhaus mit und wir haben wirklich Glück gehabt, dass sie auch hier Madame Berniers Rolle ausfüllen kann. Kartoffeln schälen, Fleisch schneiden oder Zwiebeln hacken, können aber auch gefährliche Tätigkeiten sein. Heute Vormittag musste ich mit Jeanette zum Arzt. Sie hatte sich böse geschnitten, es wollte gar nicht mehr aufhören zu bluten. Der Arzt musste dann aber doch nicht nähen, sondern hat nur einen strammen Verband angelegt. Es ist zum Glück nur die linke Hand, denn in der Rechten hatte Jeanette ja das Messer. Sie trägt den Arm jetzt in einer Schlinge. Heute soll sie gar nichts mehr arbeiten und morgen wohl auch nicht.

      Paris, 11. August 1891

      Im Juweliergeschäft habe ich heute ein junges Paar beraten. Es ging natürlich um Trauringe. Madame Riuné hatte schon die Kästen mit den Ringen hervorgeholt, dann hat Monsieur Rolland aber angeordnet, dass ich die Kunden übernehmen soll, weil ich mir doch selbst erst kürzlich Trauringe ausgesucht hätte. Ich habe mich natürlich gefreut und bin voller Eifer an die Sache herangegangen. Der jungen Frau gefiel auch gleich mein eigener schlichter Ring. Er war ihr dann aber doch etwas zu schlicht und so habe ich den Vorschlag gemacht, dass sie noch einen Brillantring davor stecken solle. Ich habe es vorgeführt und sie war ganz begeistert. Monsieur Rolland kann stolz auf mich sein. Ich habe zwei Trauringe