Etwas verärgert zurück im Büro, berief ich meine erste Besprechung mit Herrn Mueller ein. Er brachte ein paar von seinen Kumpels mit, die offenbar gerne Meetings beiwohnten, ohne etwas beizutragen. Ich hätte den Besprechungsraum bei der Abteilungsleiter-Sekretärin im Voraus buchen sollen. Obwohl er eigentlich frei war, wurde ich wegen meiner Unverschämtheit bestraft. Sie machte klar, dass ich zukünftig diesen Raum nur mit ihrer Genehmigung betreten dürfe. Ich lernte, dass diese Frau in der Firmenhierarchie eine besondere Stellung innehatte. Dazu hat sie wenig Geduld und einen sehr schlechten Mode-Geschmack.
Ich musste meine Besprechung bei uns im Büro abhalten, um anschließend zu hören, dass unser Besprechungstisch eigentlich freigehalten werden solle, für den Fall eines dienstelleninternen Treffens (ich nehme an, dass dies „Weißwurstfrühstück“ bedeutete).
Mittwoch
Ich war froh, wieder später aufzustehen, Platz in der U-Bahn zu haben, hinten im Klassenzimmer zu sitzen und ungestraft wegen mangelnden Interesses davonzukommen.
Die Iren hatten es bei der Arbeit leichter. Die waren an zwei Standorten in einem neuen, noch nicht fertiggebauten Gebäudekomplex untergebracht, in neuen Abteilungen, wo nicht einmal die Fachärzte wussten, was zu tun war. Alles, was anfiel, wurde vom Promovierten aufgeschnappt, sogar Würstlholen.
Conor beschwerte sich, dass die Toiletten an seinem Standort keinen gescheiten Oberdeckel hätten. Als Werkstudent in Irland hatte er sich daran gewöhnt, im Klo ein Stündchen zu schlafen. wenn es langweilig wurde, aber hier, ohne Deckel, bestand die Gefahr, dass man irgendwann hineinrutscht. Nachdem noch nicht alle Büros bezogen waren, benutzte er einfach eines der leeren Büros für ein Nickerchen. Es fiel keinem auf.
Die Klos bei uns am Standort hatten einen Oberdeckel, waren aber sehr seltsam. Die waren irgendwie umgekehrt gebaut mit dem Abfluss nach vorne. Man musste im Sitzen pinkeln, weil es im Stehen von der Fläche überall hin spritzte. Ganz senkrecht nach unten vorne zu pinkeln bekam ich nicht hin, aber es musste ein Trick geben. Viel schlimmer war es bei größeren Geschäften. Hier wurde alles auf der Platte deponiert.
Jetzt weiß ich, dass ich dazu tendiere, sehr gerade „Würste“ zu erzeugen. Normalerweise wäre mir dies nicht aufgefallen und ehrlich gesagt finde ich es auch abstoßend. Aber beim Spülen führten sich diese Würste wie Lachse auf und schienen stromaufwärts zu schwimmen. Mit einer morbiden Faszination erprobte ich neue Techniken, bis die Würste schräg lagen. Mittlerweile musste ich quer sitzen. Es war mir zu peinlich zu erfragen, warum es ein so bescheuertes Klo-Design gab – will man das wirklich so genau sehen und riechen? Sollte ich irgendwelche Rückschlüsse über die Deutsche Psyche ziehen und gab es einfachere Techniken, dem Lachs-Effekt zu entkommen?
Donnerstag, Freitag
Es gab nicht viel Neues vom Deutschkurs. Im Lehrbuch hatten Stephen und Mary Freundschaft mit Sven und Ulrike geschlossen und langweilige Sehenswürdigkeiten besucht. Ulrike sah aus wie eine Kugelstoßerin, vielleicht würde es in Buch 2 interessanter, wenn sie ihnen die Reeperbahn vorstellen und es sich herausstellt, dass Ulrike dort abends als Domina arbeitet.
Das Wochenende
Wäsche gewaschen, hatte aber leider kein Bügeleisen und Bügelbrett. Das „Hagen“ besucht und Pils getrunken.
Die Bedienungen waren ganz nett, eine Lesbe, die immer Leder trug und aussah, als wenn sie nicht dort arbeitete, sondern gleich mit dem Motorrad wegfahren wollte, außerdem Claudia, die extrem gutaussehend und charmant, aber leider schon vergeben war.
Ein etwas älterer Herr, Hansi, legte Platten bis halb zwei auf. Er hatte eine Glatze, umrahmt von langen dünnen Haaren, trug einen Ohrring, Leder-Halskette und lauter bunte Schnüre um das Handgelenk. Er trug dünne Baumwoll-Hosen mit einem ausgewaschenen lila Batik-Muster und einer Lederweste. Sogar sein Hund sah mit seinem weiß-blauem Halstuch aus wie ein Hippy.
Mir war der Hund ehrlich gesagt sympathischer. Hansi hatte keinen Musik-Geschmack und konnte uns nicht so richtig leiden, weil wir ständig versuchten, ihm unsere Platten, die später als 1975 aufgenommen wurden, aufzudrängen. Er wollte sie auf keinem Fall auflegen.
Das Ganze wurde von einem Franzosen namens Francois geführt. Er hatte früher Polo gespielt und war ein Frauenschwarm, was das Publikum interessant gestaltete.
Ich stellte fest, dass Paul und mich irgendwas verband, obwohl wir sehr unterschiedlich waren. Er hatte früher als Barmann in einer Kneipe gearbeitet und hatte eine Selbstsicherheit, um die ich ihn beneidete. Ich konnte nicht so auf Leute zugehen wie er und hatte nicht so einen Schatz an Geschichten und Erfahrungen zu erzählen, aber ich kannte niemanden, der meinen Sinn für Humor so gut verstand und ergänzte. Wir saßen zu zweit und lachten nur, gegenseitig angestachelt von dem nächsten Blödsinn, bis wir das Lustigste aus einer Situation abstrahiert hatten.
Im „Hagen“ an der Bar sitzend, unterhielten wir uns mit der Bedienung, beobachteten die Gäste, und gelegentlich fanden wir uns einen Gesprächspartner an der Bar, meistens allerdings störten wir Paare, die eigentlich einen romantischen Abend verbringen wollten. Man erfuhr viel über die Menschen und über sich. Mit 23 Jahren schienen mir die älteren Leute zu konservativ und die Jungen zu naiv, ich passte hier nicht herein und wollte alles ändern.
Kreise
Montag
Ich kam in sauberer Wäsche, aber etwas zerknittert zur Arbeit.
Leider musste ich meine Zusammenarbeit mit Herrn Mueller vertiefen. Er hatte während der Zeit, in der ich auf meinem Deutschkurs war, nicht sehr viel getan. Ich verstand ihn auch kaum, er benutzte sehr oft Wörter, die sicherlich wichtig, aber nicht unbedingt in vornehmer Gesellschaft (d.h. mit meinem Chef) wiederverwendbar waren.
Jetzt wusste ich, dass „Fix“ nichts mit Reparatur zu tun hatte, sondern eine Abkürzung war, und fragte Kollege P., warum Herr Mueller mir immer etwas über seine Freizeit-Aktivitäten erzählen wollte - in jedem zweiten Satz sagte er etwas von seinem „Hobby“. Es stellte sich dann heraus, dass es „Habe ich“ in seinem Dialekt hieß (denn er sagte stets „hob i“). Herr Mueller war auch einer von vielen, der mich mit „Mahlzeit“ beim Essen begrüßte. Jedes Mal wurde ich gefragt, was wir auf Englisch dazu sagen. „Hello“ genügte nicht als Antwort, ich log und behauptete, man sage „Meal-Time“.
Mir fiel es immer wieder auf, dass ich stellvertretend für mein Land angesprochen wurde, zum Beispiel, warum Dresden zerbombt wurde, musste Auskunft zum Falklandkrieg geben und zu Mrs. Thatcher, und oft wurde mit einer unverhältnismäßigen Aggressivität argumentiert.
Ich fühlte mich zwar angesprochen, aber irgendwie nicht verantwortlich. Ich konnte nichts dafür, und meine Meinung zählte in England ebenso wenig wie in Deutschland. Ein beunruhigendes Gefühl.
Dienstag
Ich definierte viele Projekt-Aufgaben und versuchte, die Arbeitsteilung mit Herrn Mueller zu diskutieren. Er schien zunehmend desillusioniert mit diesem „Scheißprojekt, einem Hirnfurz, das eh nichts wird...“ Ich würde wohl alles selbst machen müssen. Das einzig Positive war, dass ich von ihm einiges an neuem Vokabular hörte, leider verstand ich nur einen Bruchteil.
Herr Mueller kam aus einem Dorf in der Nähe von Landsberg, ich glaube, es hieß Arsch am Lech.
Wenn es etwas zu tun gab, fehlte er entweder wegen Rücken- oder Kreislauf-Problemen. Zum Glück gab es einen sehr fähigen jungen Schichtführer, Herrn Sideropolous, mit dem ich vieles organisierte. Zwar musste ich nach dem Deutschkurs jeden Tag in die Firma kommen um mich abzustimmen, aber es schien mir effizienter, als mich mit Herrn Mueller herumzuärgern.
Ich