Martin J. Ost
Unheimliche Tage
Entführung ins All
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Inhaltsverzeichnis
Träume
Dichter Regen prasselte herab, vom heftig aufkommenden Wind immer wieder zu fast undurchsichtigen Schleiern verdichtet. Die Nacht, die bei dieser Witterung eigentlich stockdunkel hätte sein sollen, wurde von irgendwo her von einer milchigen Helligkeit durchdrungen. Grelle Blitze, denen fast unmittelbar ein heftiger Donner folgte, ließen die Konturen des großen Fernsehturms auf dem Kamm des Eggegebirges in fast schmerzhafter Helligkeit hervortreten.
Es sah aus, als ob die in immer kürzeren Abständen aufflammenden Blitze sich zunehmend auf einen Punkt in unmittelbarer Nähe des Turms konzentrierten, ihr Stamm, von vielen feurigen Verästlungen umgeben, schien in die Felsen, in die der Turm hineingebaut war, einzutauchen.
Jedes Mal, wenn ein Blitz aufflammte, wurde sie sichtbar. Zuerst nur undeutlich und schemenhaft, dann allmählich klarer und detailreicher werdend. Konnte man zu Beginn ihres Erscheinens die Anwesenheit einer Gestalt eher ahnen, wurde es bald möglich, in ihr eine Frau zu erkennen. Ein weiterer greller Blitz enthüllte in den Sekundenbruchteilen seiner Existenz neue Einzelheiten. Die Frau war vergleichsweise groß, jung, vielleicht Mitte zwanzig, hatte eher kurze schwarze Haare. Ihre Haut war sonnengebräunt und ihre Figur hatte etwas Athletisches an sich.
Etwa zwanzig Meter vor mir auf dem von Pfützen übersäten Waldweg stehend machte sie eine Geste, die auf den Punkt wies, an dem sich die Blitze scheinbar konzentrierten. Sie machte Anstalten, den Weg zu verlassen und quer durch den Wald auf den Felsen zuzulaufen und bedeutete mir, ihr zu folgen. Ich zögerte und blieb stehen. Ungeduldig wiederholte sie ihre Aufforderung, indem sie mit ihrem ausgestreckten Arm auf den Wald zeigte. Ihre Bewegungen hatten etwas Energisches an sich, auch schien sich bei ihr Ärger aufgrund meines Zögerns zu regen.
Wie immer in den letzten vier oder fünf Tagen erwachte ich an dieser Stelle des Traums. Ich schreckte hoch und saß aufrecht in dem großen Bett in meinem Schlafzimmer. Ich war allein.
Die Hitzewelle, die seit Tagen auch das eher für sein etwas raueres Klima bekannte Eggegebirge im Griff hatte, ließ den Schweiß an meinem Körper in Strömen fließen. Zunächst wirkte der Traum noch in mir nach und ich versuchte, die verwirrenden Empfindungen, die er bei mir erweckte, abzustreifen. Langsam fand ich in die Realität zurück und wie in den vergangenen Tagen ergriff mich eine trostlose Verzweiflung und legte sich wie eine eiserne Klammer um meinen Brustkorb und über den ganzen Körper.
Lange Zeit verharrte ich fast bewegungslos im Bett sitzend, stumpf vor mich hin brütend. Irgendwann wurde der Durst übermächtig und es gelang mir, die dunklen Schleier, die meinen Geist umfingen, für einen Moment zur Seite zu schieben. Ächzend erhob ich mich und stolperte in die Küche. Meinen ersten Gedanken an ein Bier verwarf ich und griff wie in den letzten Tagen zu einer Flasche Mineralwasser. Ich leerte sie trotz der energisch prickelnden Kohlensäure in wenigen Augenblicken und sank auf einen Küchenstuhl. Dann legte ich meinen Kopf zwischen meine Arme auf den Tisch. Die Verzweiflung überkam mich erneut.
Es war noch keine drei Wochen her, da war mit meinem Leben noch alles in Ordnung gewesen. Vor fünf Jahren hatte ich die Universität in Göttingen als Diplom-Ingenieur verlassen. Ich bewarb mich bei mehreren Firmen und landete schließlich in einem nicht allzu großen Dorf mitten im Eggegebirge, das die südliche Fortsetzung des Teutoburger Waldes darstellt und sich im östlichen Teil Westfalens befindet. Dort fing ich bei einer Firma an, die Zulieferteile für die Automobilindustrie herstellt und etwa achtzig Personen beschäftigt. Die Bezahlung war angemessen und das Arbeitsklima in Ordnung. Als Junggeselle verbrachte ich die meisten freien Wochenenden mit Studien-oder Schulfreunden außerhalb des Dorfes, in dem ich nun wohnte.
Als vor drei Jahren dort im Juni das alljährliche Schützenfest stattfand und die meisten meiner Freunde im Urlaub waren, blieb ich am Ort. Der Schützenverein ließ den Schützenkönig mit seiner Königin und dem Hofstaat in Pferdekutschen durch das Dorf rollen. Amüsiert betrachtete ich die Hofdamen, von denen einige sich sehr wichtig vorkamen. Ihre langen Kleider lagen teilweise so eng am Körper an, dass sie sich keine unvorsichtige Bewegung leisten konnten. Ich fragte mich, wie sie da noch Kaffee und Kuchen hineinbekommen wollten, ohne dabei die Nähte ihrer Kleider zum nachgeben zu zwingen. Begleitet wurde der Umzug von mehreren hundert Schützen, deren erheblicher Durst gleich nach dem Einzug des Königspaares auf dem improvisierten Thron in dem Festzelt einsetzte und sichtlich zur Freude des Festwirtes Stunde um Stunde zunahm. Ich vertrieb mir den Nachmittag und den frühen Abend damit, dem bunten Treiben zuzusehen und mit dem einem oder anderen Arbeitskollegen oder Bekannten, denen ich auf dem Festplatz begegnete, ein Bier zu trinken.
Gegen 22 Uhr stand ich alleine an einem Bierwagen und trank mein letztes Glas aus. Gerade wollte ich den Festplatz verlassen, als mein Blick auf einen uniformierten Schützen fiel, der schon einen ziemlich angeschlagenen Eindruck machte. Seine Bewegungen waren nicht mehr allzu ökonomisch, auf seinem Weg zum Bierstand wich er mehrfach deutlich von der Ideallinie ab. In seiner Begleitung befand sich eine junge Frau, die über seinen Zustand offensichtlich nicht sehr glücklich war. Als die beiden die mir gegenüberliegende Seite der Bierbude erreicht hatten, ließ er sie dort stehen und begab sich heftig schwankend in Richtung Herrentoilette. Die junge Frau sagte kopfschüttelnd etwas zu einigen Leuten in ihrer Nähe und drehte sich dann in Richtung Theke. Unsere Blicke trafen sich. Für einen Moment sah ich nur sie und alles um mich herum verblasste. Sie musterte mich mit ihren Augen und Bruchteile von Sekunden später lächelte sie mich an. Die unbekannte Frau war groß und schlank und hatte dunkelblondes Haar. Bekleidet war sie mit einem eng anliegenden, tief ausgeschnittenen Pullover. Für mich sah sie unverschämt gut aus. Ich ertappte mich dabei, sie anzustarren. Während mir gerade der Gedanke „Hoffentlich siehst Du jetzt nicht allzu blöd aus“ durch den Kopf ging, wandte sie sich mit einer anmutigen fließenden Bewegung von mir ab und setzte die Unterhaltung mit ihren Bekannten fort. An diesem Abend ging ich wie betäubt zurück in meine Wohnung. Auch in den nächsten Tagen dachte ich noch oft an diese Frau.
Zwei Wochen später begegnete ich ihr dann plötzlich auf der Straße. Sie schien sich tatsächlich an mich zu erinnern, schon von Weitem sah ich das strahlende Lachen, das mich beim Schützenfest so aus meinem inneren Gleichgewicht gebracht hatte. Kurz bevor wir uns auf gleicher Höhe begegnet hätten, sprach ich sie an. Ich weiß nicht mehr, was ich damals gesagt habe, aber allzu kritisch kann sie meinem Geplapper gegenüber nicht gewesen sein, sonst wäre sie wohl weiter gegangen. Meine Einladung in ein Cafe lehnte sie ab, stattdessen schlug sie einen Spaziergang im Wald vor, der sich in unmittelbarer Nähe befand. Während wir durch den dichten Wald gingen, unterhielt sie sich mit mir über alltägliche Dinge und erzählte über sich, als wäre ich ein alter Bekannter von ihr. Gelegentlich warf sie mir dabei kurze Blicke von der Seite zu, die ich nicht zu deuten vermochte. Ich hätte gerne gewusst, ob der wackere Schütze, in dessen Begleitung ich sie auf dem Schützenfest gesehen hatte, ein näherer Bekannter oder ihr Freund war,