Inzwischen können Günter und ich die Beziehung zu unserer Mutter als relativ normal betrachten, das heißt wir akzeptieren ihre Lebensumstände und sehen auch, dass wir daran wenig ändern können. Es sind im Wesentlichen zwei Eigenschaften, die unserer Mutter bedingt durch die eigene Erziehung nicht vermittelt wurden und zwar zum einen ein notwendiges Maß an Selbstdisziplin und zum anderen ein gewisses Maß an Eigenverantwortung für sich und ihre Kinder und ihr Umfeld. Doch es wäre verfehlt, wenn wir dies nur unserer Mutter zuschreiben, denn für die Kinderzeugung und -erziehung sind nun einmal zwei Menschen erforderlich, sonst hätte die Natur die sexuellen Eigenschaften zur Kinderzeugung nur einem Menschen geben können. Aus dieser biologischen Eigenheit leite ich auch die soziale Verantwortung ab. Das bedeutet auch, dass einer allein mit der Kindererziehung überfordert ist. Das heißt jedoch dann nicht, dass ein Alleinerziehender nicht die Befähigung hätte. Doch es ist notwendig, dass sich in jüngsten Kinderjahren einer als ständige Bezugsperson um das Kind kümmern muss. Warum dies so ist, habe ich in meinem Erstlingswerk eindeutig ausgeführt. Wenn ein Alleinerziehender durch die Kindererziehung überfordert ist, was er bereits ist, wenn er für den Gelderwerb nicht sorgen kann, dann ist es keine Lösung, die Kinder in Verwahranstalten zu stecken, denn etwas anderes sind solche geschlossenen Einrichtungen nicht. Wenn man bedenkt, wie teuer solche Einrichtungen sind und was angeblich ein Heimplatz kosten soll, bleibt es unverständlich, an diesen „Bunkern“ festzuhalten. Es sind jedoch Relikte diktatorischer Vergangenheit und auch heute noch fällt es unseren Volksvertretern schwer, diese Relikte abzuschaffen, obwohl es an sogenannten Modellversuchen nicht mangelt (s. auch Bösen 1990 S. 237 ff.). Es müssen dann schon ökonomische Zwänge gegeben sein, um hier aktiv zu werden.
Außerdem sind unsere Volksvertreter in der Regel durch ihre eigene Erziehung auf Distanz zu diesen Einrichtungen eingestellt. Da Volksvertreter in aller Regel erfolgsorientierte Menschen sind, liegt die Frage nahe, womit bei geschlossenen Einrichtungen ein Erfolg zu erzielen wäre. Da ich mich heute in einer erfolgreichen wirtschaftlich ausgerichteten Berufslaufbahn befinde, kann ich mir recht gut vorstellen, wie wenig jene Mitmenschen, die materiell erfolgreich tätig sind, für solche Einrichtungen erübrigen können. Zwar ist durchaus das Interesse artikuliert, doch es begrenzt sich meistens auf finanzielle Aspekte, das heißt man spendet etliche Euros und gibt sich damit zufrieden. Das man dadurch auch solche Einrichtungen stützt und den betroffenen Kindern keinen Gefallen tut, ist nicht erwägenswert. Am deutlichsten wird dieses Phänomen bei Behinderteneinrichtungen. Man ist scheinbar davon überzeugt, dass diese Kinder auch an die Außenwelt müssen, aber scheinbar danach genauso froh, sie wieder dort zu haben, wo sie scheinbar hingehören: in die geschlossene Anstalt. Dieses Phänomen drückt nichts anderes aus wie die Ohnmacht der Erwachsenen (der Behörden), den korrekten Umgang mit Heimkindern oder behinderten Kindern zu finden; korrekt in dem Sinne zu verstehen, dass für diese Kinder dauerhafte Bezugspersonen zu finden sind, die den Kindern Liebe geben.
„Liebe ist das einzige, das wächst, wenn wir es verschenken!
Pflicht ohne Liebe macht verdrießlich.
Verantwortung ohne Liebe macht rücksichtslos.
Gerechtigkeit ohne Liebe macht hart.
Wahrheit ohne Liebe macht kritiksüchtig.
Erziehung ohne Liebe macht widerspruchsvoll.
Klugheit ohne Liebe macht gelassen.
Freundlichkeit ohne Liebe macht heuchlerisch.
Ordnung ohne Liebe macht kleinlich.
Sachkenntnis ohne Liebe macht rechthaberisch.
Macht ohne Liebe macht gewalttätig.
Ehre ohne Liebe macht hochmütig.
Besitz ohne Liebe macht geizig.
Glaube ohne Liebe macht fanatisch.
Wirklich:
Ohne Liebe ist alles in der Welt verkehrt.
Erst Liebe macht alles gut.“
(mittendrin 1991 Heft 2 S. 43).
2. Pflegeeltern: Moderne Sklavenhalter oder liebende Ersatzeltern?
Für Pflegeeltern besteht in der BRD eine rechtlich unzumutbare Situation: Sie müssen jederzeit damit rechnen, ihr zugeordnetes Kind wieder herauszugeben. Dies ist sicherlich dann besonders schmerzlich, wenn die Pflegeeltern zu diesem Kind auch eine gefühlsmäßige Bindung hergestellt haben, die beiderseits - also auch vom Kind - getragen ist. Nun kommen die leiblichen Eltern und beanspruchen ihr Kind, als wäre es ihr Eigentum. Hier müssten doch unsere Juristen aufhorchen, denn:
Kinder sind nicht das Eigentum ihrer Eltern!
Auch wenn man nach diesem Ausspruch in der Regel Zustimmung erfährt, ist die Realität auf den Kopf gestellt. Denn da haben scheinbar Vormundschaftsgerichte nichts schnelleres zu tun, als Kinder aus einer harmonischen Umgebung herauszureißen, nur unter dem Vorwand zu den leiblichen Eltern zu müssen, weil diese es inzwischen scheinbar fertigbringen, für geordnete Familienverhältnisse zu sorgen. Kindeswohl hat da keinen Platz. Nein, Kindeswohl ist scheinbar stets nur als Teilprodukt elterlichen Wohls zu sehen. Und Kinderrechte sind Fehlanzeige im Grundgesetz, denn nur das Elternrecht ist fixiert.
Vielleicht tue ich unserer Justiz nun etwas Unrecht, wenn ich feststelle, dass der Begriff Kindeswohl nur ein Fremdwort für Juristen ist. Sicherlich mag es etliche Juristen geben, die durchaus mit dem Begriff Kindeswohl etwas anzufangen wissen, doch letztlich scheitern sie an unserer Paragraphenwelt, denn geht doch das Elternrecht über alles?
Auch dies ist eine Frage, die schnell verneint wird, denn Elternrecht kann nicht in jedem Falle über allem stehen.
Welche Tatbestände könnte es geben, die ein Elternrecht verwirken? Und wenn, für wie lange?
Eltern, die ihre Kinder körperlich misshandeln, haben auf Dauer ihr Elternrecht verwirkt.
Eltern, die ihr Kind bei der Geburt aussetzen und es somit dem Zufall überlassen, ob es überlebt, haben auf Dauer ihr Elternrecht verwirkt.
Eltern, die durch Gerichtsbeschluss auf Dauer das Sorgerecht entzogen bekommen, haben ihr Elternrecht verwirkt. Offen ist hierbei, für wie lange? Denn auch Gerichte sind fehlbar. Die Verwirkung des Elternrechts kann jedoch nur wieder durch einen Gerichtsbeschluss rückgängig gemacht werden. Sofern dies von Fachleuten (Diplom-Psychologen) für unwahrscheinlich gehalten wird, haben Eltern ihr Elternrecht auf Dauer verwirkt. Wie ist mit den Kindern zu verfahren?
Sollte es unserer Justiz tatsächlich auf Kindeswohl ankommen, wären die Kinder durch Fachleute, insbesondere Diplom-Psychologen zu befragen. Am zweckmäßigsten von zwei Psychologen, die unabhängig voneinander zu ihrer Meinung gelangen müssten. Den Ausschlag sollte die Meinung des Kindes geben, das heißt will das Kind bei den Pflegeeltern bleiben, soll es dort bleiben. Die Pflegeeltern machen es sich dann zur Aufgabe, das Pflegekind über seine Herkunft aufzuklären und zwar dann, wenn das Kind danach fragt oder spätestens bei Vollendung des sechzehnten Lebensjahres. Warum dies so sein sollte, beschreibt die französische Autorin Martine Lane wie folgt (Damkowski 1991):
„Es ist absolut notwendig, daß jedes Individuum, ob es in seiner Ursprungsfamilie aufwächst oder nicht, um seine Wurzeln und Ursprünge weiß, … Seine Erzeuger müssen sich bekennen. Sie haben Spuren hinterlassen, mit denen sich das Kind auseinandersetzen muß. Nur wenn das Kind seine Ursprünge kennt, kann es sein weiteres Leben organisieren.“
Die Autorin vergleicht das Pflegekind bildhaft mit einem Baum, der an der Wurzel gefällt wurde. Der Stamm entfaltet sich scheinbar nicht.
Im Jahre 1991 entnahm ich der Tagespresse eine recht kuriose Fallkonstellation (Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ 13.07.1991): Bei der Geburt wurden zwei Kinder vertauscht. Als die Kinder bereits zur Schule gingen, wurde der Irrtum