Juergen Oberbaeumer
FUKUSHIMA - IM SCHATTEN
Katastrophe und Flucht
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Inhaltsverzeichnis
Widmung
Für Mariko
Vorwort, Mai 2012
Im Labyrinth der eigenen Gedanken gefangen schreibe ich ein Buch, froh, dass ich endlich die Kraft gefunden habe einen Ausbruchsversuch zu wagen. Ob er gelingen wird? Man kann sich nicht selbst entkommen, und so vermute ich auch, dass meine krausen Erinnerungen und Deutungen mir keinen Koenigsweg in die Freiheit werden zeigen koennen. Bestenfalls die Konturen meines Kaefigs besser sichtbar machen! Eines Kaefigs – dessen Waende doch aus den Knochen meines eigenen Dickschaedels bestehen.
Andererseits kam mir neulich die Erkenntnis: man muss sich schon an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen – andere hat man schliesslich nicht! Das Herz will immer das Gleiche… ob das heisst, es ist einverstanden mit den Irrungen und tastenden Wirrungen des Weges „aus Fukushima“? Auch auf die Gefahr hin letzten Endes zu bleiben? Und zufrieden zu sein? Kann man hier noch Zufriedenheit finden, Glueck waere ein zu grosses Wort fuer jemanden in meiner, in unserer Situation, obwohl Mariko sich inzwischen im Blumengarten wieder freut wie frueher im Gemuesebeet? Alles waechst so gut wie nie sagt sie und ihre Freundin erzaehlte sogar auf der Halbglatze ihres Mannes sproesse es wieder neu: ist das unsere schoene neue Welt? Strahlen aus der Asche?
Wer weiss was die Zukunft bringen wird? Niemand. Die Vergangenheit, die eigene Vergangenheit – nicht einmal die kennt man richtig. Man schafft sich aus Erinnerungen und Wuenschen etwas, baut sich etwas von dem man dann mit Ueberzeugung sagt: Ja, so war es!
Ich sitze jetzt also dabei die Geschehnisse ab dem elften Maerz 2011 zu verarbeiten: zu was? ist natuerlich die Frage. Dies gewaltige Aufbaeumen der Erde, des Meeres und der Technik hat viele, auch meine Frau und mich, aus der Bahn geworfen. Wir sind zurueck in unseren alten vier Waenden und versuchen wie vorher zu leben aber alles ist anders. In die Dankbarkeit verschont geblieben zu sein mischt sich bitter die Gewissheit betrogen zu sein. Die Natur ist nicht boese, sie nimmt grossartig wie sie gibt – nur die Geschaeftsleute mit ihren eleganten Aktentaschen sind schwer zu ertragen. Die Schreckmomente in denen man die Luft anhaelt weil irgendein Geraeusch ERDBEBEN! signalisiert: ein vorueberfahrender LKW, eine schwer zufallende Tuer, eine springende Katze, ein unerwarteter Windstoss oder was immer – sind dagegen gar nichts.
Wie kann ich also unser Leben, oder sage ich doch ruhig: mein Leben, jeder Mensch hat schliesslich nur seins, wieder auf ein Fundament stellen das uns, oder eben: mich tragen wird? Die Selbstverstaendlichkeit des Daseins ist verloren gegangen, der Boden unter den Fuessen schwankt immer noch, besonders wenn man so lebt wie ich: frei segelnd auf offenem Meer, nein eher halb verloren treibend als Schiffbruechiger. Jedenfalls weit weg von der eigenen Heimat! Seit allzu langer Zeit. „You can never go back“ sagte mir die Freundin Pearl schon vor ueber zwanzig Jahren, und etwas Aehnliches las ich auch neulich noch einmal bei Carl Zuckmayer: der mich mit seinen Erinnerungen aus dem Exil aufrichtet wenn ich mal wieder allzu sehr am Boden krauche.
Es geht nicht zurueck – also, avanti, gehen wir nach vorn. Adelante, go go go. Den eigenen Weg hinter mir dabei nicht abzureissen wie der alptraumhafte Schwellenreisser sondern neu aufzubauen – kann mir das gelingen, so verrueckt wie ich bin, mit den wenigen, so ganz unkonventionellen Mitteln die mir Heimatlosem zur Verfuegung stehen? Die Gemeinschaft traegt euch Zuhausegebliebenen – was traegt mich Fortgelaufenen ausser dem bisschen Glauben an das eigene Schicksal? Und was oder wer hilft mir mein Schicksal zu deuten ausser der Welt der Worte – die nun einmal meine Welt ist? Also schreibe ich so gut ich kann gegen das Vergehen an. Ich will unbedingt das am Leben erhalten, was wir an Starkem erfahren haben, gerade in der Krise. Ob das nicht ein verfolgenswertes Unternehmen ist? Auch wenn es eigentlich kaum „dramatisch“ ist, „Drama“ ist ja ein Konstrukt, eine Deutung von Erlebnissen die im Moment des Geschehens ganz anders empfunden werden: man laeuft entweder weg vor dem Tsunami oder wird von ihm ueberrollt; Angst ist vielleicht dabei – vielleicht auch nicht. Grosse Gefuehle sicher nicht.Der Mensch reagiert reflexhaft wenn’s erforderlich ist: erst wenn man Zeit zum Nachdenken hat, erst wenn die Gedanken kommen entsteht das Beduerfnis nach Verstaendnis, nach Deutung, nach Ordnung. Was so ploetzlich und so unbegreiflich wild geschah, muss irgendwie in das eigene Leben integriert werden, wenn man gesund bleiben will. Die Wildnis muss urbar gemacht werden, fruchtbar wenn moeglich. Das ist muehsame Arbeit und nur bedingt emotional.
Ob’s fuer die geneigte Leserin, den geneigten Leser profitabel ist ein paar Stunden Zeit des eigenen Lebens zu opfern um mir beim Ackern zuzuschauen?