Endlich sechzehn. Emilia Meyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Emilia Meyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738097122
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sollte, denn es gab eigentlich keine angemessene Entschuldigung für ihr Verhalten. Stattdessen schaute sie sich in der Küche um. Es sah furchtbar aus. Unzählige, leere Glasflaschen, verstreutes Knabberzeugs, verschütteter Alkohol. Gestern Nacht hatte es nicht ansatzweise so übel ausgesehen. Wie wenn man betrunken mit einer geschminkten Frau ins Bett geht und am nächsten Morgen neben der ungeschminkten Version wieder aufwacht. Ihr Vater sah sie erwartungsvoll an. Er könnte jeden Moment aufgehen wie eine Popcorntüte in der Mikrowelle.

      „Es… es tut mir leid. Wirklich. Ich bin einfach eingeschlafen. Ich wollte doch noch aufräumen. Ich hab das nicht extra gemacht.“

      Mia wollte noch hinzufügen, dass gar nicht so viele Leute dagewesen wären, allerdings war diese Lüge so absurd – sie hätte sie nicht ernst genug rüberbringen können.

      „Du hast das nicht extra gemacht?! Sag mal Mia, hackt’s eigentlich?! Ich kann mich nicht entsinnen, dass ich dir erlaubt habe, eine Hausparty zu schmeißen! Fremde Leute einfach in unser Haus lassen! Ich glaub’s wohl! Wie viele Leute waren hier?! Fünfzig? Hundert?“

      Er schlug mit geballter Faust gegen den Kühlschrank. Mias Mutter schluchzte noch lauter auf. Was war hier los? Warum war ihr Vater so aggressiv? Und ihre Mutter so heftig enttäuscht?

      „Ihr beiden Drecksschlampen. Ihr seid einfach zwei Drecksschlampen. Bei deiner Drecksschlampen-Mutter dürfte es mich eigentlich nicht wundern. Es reicht mir! Ich bin doch nicht euer Lakai!“

      Er strafte Mia und ihre Mutter mit dem verächtlichsten aller Blicke, stampfte aus dem Zimmer, zog Jacke und Schuhe und riss die Haustür auf.

      „Wo willst du hin?“, ächzte Mias Mutter.

      Da die vielen Tränen ihre Worte erstickten, konnte man sie kaum verstehen.

      „Wo gehst du hin? Wann kommst du wieder?“

      „Wenn ich zurückkomme, ist es hier blitzblank. Wenn nicht…“

      Der laute Knall der Haustür ließ Mia zusammenzucken. Mias Mutter stand schwankend auf. Sie wirkte ausgelaugt. Mia wollte ihr unter die Arme greifen, sie ins Bett legen und ihr über den Kopf streichen, stattdessen blieb sie wie angewurzelt stehen. Aus Scham oder aus Wut würdigte ihre Mutter sie keines Blickes. Sie wankte auf das Schlafzimmer zu, drückte mit zitternden Händen die Türklinke herunter und bevor sie für den Rest des Tages in dem dunklen Zimmer verschwand, murmelte sie kaum hörbar:

      „Es geht hier nicht um dich.“

      Mia wählte Vanjas Nummer. Sie hatte ihn noch nie angerufen. Immer nur What’s App. Sie war sich nicht sicher, ob man einen Typen heute überhaupt noch anrief. Das Tuten löste in Mia plötzlich den Wunsch aus, wieder aufzulegen, doch dann fiel ihr ein, dass ihre Nummer Vanja ja angezeigt werden würde. Tuuut. Mia lief zum Spiegel, um ihre Haare und ihr Gesicht zu überprüfen. Sie sah noch scheußlicher aus als vor wenigen Minuten. Niedergeschmettert. Tuuuut. Tuuuut. Vor kurzem hatte sie irgendwo gelesen, dass die Hingucker einer Frau Haare und Zähne seien. Mia fletschte die Zähne. Hätte sie die Spange mal bis zum bitteren Ende getragen, so wie ihre Mutter ihr es gepredigt hatte. Unzufrieden ließ sie ihre Lippen wieder fallen. Tuuuuut. Sie strich über die Knoten in ihrem Haar. Tuuuuut. Eigentlich war es ja egal, wie sie aussah. Vanja und sie machten ja kein FaceTime. Zum Glück. Tuuuuuut.

      „Hallo?“

      (…)

      „Hallo? Mia?“

      „Ehhh…ja. Tatsächlich. Ich bin’s. Hi.“

      „Was ist denn passiert? Wieso schreibst du nicht?“

      „Ach, eh… Keine Ahnung. Dachte es wäre mal cool, zu telefonieren.“

      „Okay.“

      Einvernehmliches Schweigen. Mia räusperte sich.

      „Und sonst so?“

      „Nix, eigentlich. Und bei dir?“

      „Auch nichts. Wie fandse die Party?“

      „War ganz gut.“

      „Ja, fand ich auch.“

      „Du Mia, ich treff‘ mich jetzt mit Patrick. McFit. Schreib mir doch einfach, wenn noch irgendwas ist, okay?“

      „Klar. Geht klar. Super. Viel Erfolg.“

      „Danke.“

      Tut. Tut. Tut. Tut. Tut. Tut. Sie hatte sich eigentlich bei ihm ausheulen wollen. Hätte gerne seine Meinung zu dem Streit mit ihren Eltern erfahren. Hatte vielleicht sogar ein wenig gehofft, dass er vorbeikommen würde, um sie in den Arm zu nehmen und ihr über den Kopf zu streicheln. Sie fühlte sich dumm. Was hatte sie sich dabei gedacht, ihn anzurufen? Man rief heute doch keinen Typen mehr an. Andererseits war er auch unnötig unfreundlich gewesen. Sie hatte gedacht, das mit gestern… Sie hatte damit gerechnet… Ja, wovon war sie eigentlich ausgegangen? Hatte sie ernsthaft geglaubt, Vanja und sie wären jetzt ein Paar? Wegen eines Kusses? Ja, sie musste sich eingestehen, irgendwie war sie schon davon ausgegangen. Vielleicht nicht direkt davon, dass sie jetzt eine offizielle Beziehung haben würden. Aber schon sowas ähnliches. Ihr war elend zumute. Scheiß auf die Kopfschmerzen. Mia drehte Rise Against auf – grölend fing sie an aufzuräumen.

      Mehrere Stunden später, Mia brachte gerade den letzten Müll vor die Tür, war ihr Vater immer noch nicht nachhause gekommen. Langsam wurde Mia unwohl zumute. Sie hatte eine unerklärlich große Angst davor, dass er sogar über Nacht weg bleiben würde. Ihr Mund war trocken. Sie wollte nicht mehr nachdenken. Die Wände kamen näher, früher oder später würden sie Mia erdrücken. Sie wollte nicht auf jemanden warten, der vielleicht gar nicht kommen würde. Die ganze Nacht wachliegen – horchend, hoffend. Sie sollte Pares schreiben.

      Hey, bock auf mcces? Warn schon lange nicht mehr 

      Weil Mias Mutter noch immer nicht aus ihrem Schlafzimmer hervorgekrochen war, rief sie ihre Freundin Ute an und bestellte sie zu ihr nachhause, denn Mia konnte sie in diesem Zustand unmöglich sich selbst überlassen. Stille machte Mia nervös. Eilig zog sie sich ihren Parka und Schnür-Boots an und flüchtete aus dem Haus.

      Jo geht klar bin in 20 min da

      Perfekt ich bin auch auf dem weg!

      Ihre Eltern hatten ihr nicht mal gratuliert, schoss es Mia durch den Kopf, als sie die Hauseinfahrt hinunter lief. Sie bereute den Gedanken sofort. Du hast ja auch keine Glückwünsche verdient. Geschweige denn Geschenke. Obwohl sie das Haus wieder in Ordnung gebracht hatte, wurde ihr schlechtes Gewissen von Minute zur Minute größer. Mit jeder Minute, die ihr Vater weiter fortblieb. Am liebsten würde sie sich wie ihre Mutter im Bett verkriechen. Die Decke über den Kopf ziehen. Darauf warten, dass der bittere Geschmack auf ihrer Zunge nachlässt und das lähmende Gefühl in ihren Gliedern zurückgeht. Auch wenn sie wusste, dass sich schon vorher etwas zwischen ihren Eltern zugetragen hatte – vermutlich auf ihrem Kurztrip nach Sylt – fühlte sich Mia schuldig für den Streit ihrer Eltern. Ihr respektloses Verhalten war nur das i-Tüpfelchen gewesen. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Diese Suppe war schon länger am Brodeln. Sie war ja nicht blind, oder besser gesagt taub. Doch sie hatte sich eingeredet, dass es nur eine schlechte Phase war. Jede Beziehung hatte doch sowohl gute als auch schlechte Phasen! So war es in jeder von Mias Lieblingsserien. (In denen die Eltern der Protagonisten in den meisten Fällen geschieden sind.) Indem Mia kräftig mit dem Kopf schüttelte, versuchte sie, sich der hässlichen Gedanken zu entledigen. Los, denk über etwas anderes nach. Mia bewunderte die Menschen, die die Fähigkeit besaßen, ihre Gedanken und Empfindungen steuern zu können.

      „Pares, wie ist das eigentlich? Wenn du ein Mädchen an ihrem Geburtstag um zwölf Uhr küssen würdest, wärst du dann mit ihr zusammen?“

      Mia tauchte drei Pommes bis zum Anschlag in die Mayonnaise. Wieso fühlte sie sich in dieser grellen, ungemütlichen McDonald’s-Filiale, die – abgesehen von Pares und ihr selbst natürlich – nur von zwielichtigen Gestalten und Wollny-Familien aufgesucht wurde, immer so unbeschreiblich wohl?

      „Kommt auf das Mädchen