Die Positiven. Gerhard Freitag. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Freitag
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847688846
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– Count Down beginnt“, ertönte in diesem Augenblick die COM-Stimme der Fähre. „Wenn sie Interesse haben, können sie über die Kabinenmonitore den Start mitverfolgen.“ Die meisten Passagiere verfolgten daraufhin gespannt die Handgriffe der Besatzung und lauschten den mit leiser Stimme gegebenen Anweisungen.

      Dann wirbelte ein Sturm in den Monitoren auf und wenn nicht dieser optische Eindruck und das Dröhnen der Triebwerke gewesen wären, hätten sie kein Gefühl für die entstehende Bewegung gehabt. Die Triebwerks- und Schweresynchronisation liefen perfekt und wenig später wich das gelbe Braun der Titanatmosphäre bereits dem Schwarz des Weltraums.

      Das Rendevouzmanöver verlief glatt und ereignislos. Die SATURN war aufgrund der eingeschalteten Selbstbeleuchtung ein strahlender Würfel vor dem Hintergrund der fernen Sterne.

      Jeder, der die SATURN zum ersten Mal sah hatte allerdings den gleichen Eindruck:

      Dieses Schiff war hässlich.

      Vermutlich lag diese Erstmeinung der Menschen an den Science-Fiction-Holos und den dort immer wieder gezeigten Raumschiffen diverser Aliens und auch der Menschheit. Schon im zwanzigsten Jahrhundert hatten stromlinienförmige und schnittige Wunderraumschiffe wie die Enterprise oder die Andromeda aus den gleichnamigen TV-Serien die Fantasie der Menschen inspiriert und die Vorstellung von etwas unglaublich Schönem und Schnellaussehendem bewirkt.

      Die SATURN war jedoch das genaue Gegenteil:

      Ein stahlblauer Würfel von 50 Meter Kantenlänge, um dessen Mitte sich ein ringförmiger Wulst zog, der nach oben und unten abgeschrägt in die Außenwand des Würfels integriert war.

      Bei näherer Betrachtung des Ungetüms war dann folgendes zu bemerken:

      Da niemals daran gedacht war, dass so ein Raumschiff jemals in die Atmosphäre eines Planeten einfliegen sollte, waren Fragen nach der Aerodynamik hinfällig, Aber kaum eine andere Form war so praktisch, als die reine Würfelform. Bei keiner anderen Form konnte man den Innenraum so perfekt nutzen. Der Ringwulst wiederum, konnte an jeder denkbaren Stelle mit Antrieben, Instrumenten, Antennen oder anderen gewünschten technischen Einrichtungen versehen werden. Gefahren, die im Ringwulst auftraten, wirkten sich nicht sofort auf den Innenraum des Raumschiffes aus. Die Antriebsdüsen waren ringförmig verteilt und gaben dem Schiff eine große Wendigkeit nach allen Seiten. Ein „Vorne“ oder „Hinten“, welches in der Schwerelosigkeit des Weltraumes ohnehin nur von sehr untergeordneter Bedeutung war, gab es nicht.

      Durch diese Bauweise erreichte man einen perfekt nutzbaren Stauraum von 125.000 Kubikmetern, wobei die im Wulst liegenden Maschinen- und Technikräume nicht mitgerechnet waren.

      Die SATURN war in 18 Ebenen eingeteilt. Die außen liegenden Einrichtungen und Kabinen verfügten über Fenster. Im Inneren waren die Versorgungsräume, Messen und Magazine untergebracht. Ähnlich wie in Ticity gab es Zentrallifte in der Mitte, so dass man sehr leicht die Ebenen wechseln konnte. Aus Redundanzgründen gab es zusätzliche Treppenhäuser rund um die Lifte. Aus den Ebenen 8 bis 10 konnte man durch Sicherheitsschleusen in den Ringwulst wechseln.

      Die Fähre glitt möglichst nahe an die SATURN heran.

      Sie verließen die Gemeinschaftskabine und machten sich gemeinsam mit den anderen Passagieren auf den Weg zur Schleuse. Rund um das Schleusentor war ein Nanoplastschlauch befestigt, der am anderen Ende mit der Schleuse des Shuttles verbunden war. An der Decke waren Haltegriffe befestigt, an denen man sich entlang hanteln konnte. Für atembare Luft war bestens gesorgt. Schwerkraft aber gab es zwischen den Schiffen genau Null.

      „Bitte nehmen sie sich eine Tüte für alle Fälle“, grinste ein Matrose im Bordanzug, der am Beginn des Schlauches stand und Notfalltüten in der Hand hatte.

      „So ähnlich stelle ich es mir vor, als es im zwanzigsten Jahrhundert die ersten Flugzeuge ohne Druckkabine gab“, sagte Eve zu Toku. „Im Holo habe ich einmal gesehen, dass sie da ebenfalls solche Tüten verteilt haben, weil den Menschen schlecht wurde.“

      „Ich nehme mir jedenfalls eine“, meinte Toku. Hilft´s nicht, so schadet´s nicht.“

      „Ich auch.“

      Beide ergriffen eine Tüte und betraten dann vorsichtig den Schlauch. Schon nach zwei Schritten fühlten sie, wie die Bordschwerkraft deutlich nachließ. Sie ergriffen die Deckenschlaufen und begannen sich vorwärts zu ziehen.

      Bis auf einen kleinen, etwas dicklichen Mann, der offensichtlich sehr untrainiert war, schafften es alle ganz leicht, die andere Seite des Schlauches zu erreichen. Auch hier wurden sie wiederum von einem Besatzungsmitglied empfangen, das den ungeschickten Mitreisenden schließlich mit kräftigen Handgriffen heranzog.

      „Bitte begeben sie sich gleich zu ihren Kabinen. Das Gepäck wird ihnen zugestellt“, sagte die COM-Stimme der SATURN und begann dann die Kabineneinteilung vorzulesen.

      Eve und Toku genossen den Flug. War es doch eine Gelegenheit, Dinge zu sehen, die andere Menschen nur aus dem Holo kannten. Aber nach drei Tagen Flug stellte sich dann Routine ein:

      „Allmählich wird der Blick aus dem Fenster langweilig“, meinte Eve zu Toku. „Schwarz, Sterne und eine immer heller werdende Sonne. Das ist eigentlich alles. Ich würde so gerne schon die Erde sehen.

      „Ich auch. Aber die Daten auf dem Monitor sagen, dass wir bereits seit drei Stunden wieder abbremsen. Wir werden also die Erde in einer Stunde eingeblendet bekommen und ab dann wird sie immer größer und sieht immer blauer aus. Heute Nacht steigen wir dann das letzte Mal um.“

      „Schon ein tolles Schiff“, meinte Toku anerkennend zu Eve. „Die Synchronisation der äußeren und inneren Schwerkraft ermöglicht es, dass auch Leute wie wir durch den Weltraum fliegen können, ohne die gewohnten Schwerkraftverhältnisse jemals vermissen zu müssen. Man verspürt gar nichts von den Beschleunigungen. Wer hätte das noch vor 50 Jahren gedacht?“

      „Naomi M´Butu ist eben eine tolle Frau. Sie erfindet Dinge mit praktischer Bedeutung“, antwortete Eve. „Nur für den kurzzeitigen Verlust der Schwerkraft beim Umstieg von einem Raumschiff zum anderen, oder zu einer Raumstation, haben sie bisher noch nichts gefunden.“ „Na ja, beim Flug zum Titan haben wir es ja auch überlebt“, meinte Toku. „Die paar Minuten waren zwar unangenehm. Doch es gibt Schlimmeres. Dafür aber wird dann der Abstieg in die Atmosphäre interessant. Diesen kennen wir bisher ja auch nur aus Holos und Erzählungen.“

      Wenige Stunden später erreichte die SATURN den Weltraumbahnhof SOLSIDE, welcher als zentraler Anlaufpunkt für Weltraumschiffe und Fähren konzipiert war. SOLSIDE gehörte NANO, EE und HONDA gemeinsam. Alle Schiffe hatten Anlaufgebühren zu bezahlen, so dass das Unternehmen irgendwann Ertrag abwerfen würde.

      Hier gab es ein vorletztes Mal den – allerdings sehr kurzen – Umstieg von der SATURN in die Raumstation.

      Die Reisenden wurden zu den außen liegenden Restaurants von SOLSIDE gebracht, wo sie Gelegenheit hatten, den Anblick der Erde in all ihrer blauweißen Pracht zu genießen.

      „Das ist ja herrlich“, rief Toku. „Unsere Heimatwelt mit all dem Wasser und den Wolken ist wirklich eine Wucht! Hier halten wir es leicht aus, die paar Stunden bis zum Abstieg.“

      „Wir bestellen uns ein paar Kleinigkeiten zu essen und trinken und genießen den Anblick“, bestätigte Eve mit einem verzückten Gesichtsausdruck. „Wie müssen sich wohl die ersten Menschen in ihren Kapseln gefühlt haben?“

      Einige Stunden später wurden sie von Net zum Umstieg auf die Erdfähre aufgerufen und über die nun schon bekannte Nanoplastschlauchverbindung betraten sie das Atmosphärenschiff.

      Ähnlich, wie beim Shuttle auf Titan gab es auch hier eine – allerdings wesentlich größere – Gemeinschaftskabine mit Konturliegen und Monitoren aller Art. Die Fähre war neueren Datums mit einer völlig neu entwickelten Antigraveinheit und einer stromlinienförmigen Keilform, die Menschen schon eher mit einem Raumschiff in Verbindung brachten.

      Der Antigrav verhinderte auch hier, dass Beschleunigungen oder atmosphärische Störungen spürbar wurden, und nach zwei immer tiefer