4. Miraldi stinksauer
Miraldi schäumte vor Wut. Er griff zum Hörer, wählte Lombards Nummer. Es läutete und läutete.
»Verdammt noch eins, jetzt geht das Weib noch nicht mal ans Telefon!« Wütend knallte er den Hörer auf die Gabel.
Er lief zum Fenster, riss es auf. Nichts, weit und breit nichts von Lombard und Maxwell zu sehen.
Mit einem Blick auf die Uhr, war er sicher, dass es nicht mehr lange dauern und die beiden in ihrem Büro auftauchen würden.
Um seine Finger zu beruhigen, hangelte er nach seinen Zigaretten. Er sah auf die noch geschlossene Schachtel. Eigentlich wollte er aufhören, aber... Ach, was soll´s, das hatte auch noch Zeit bis morgen. Im nächsten Moment steckte eine brennende Zigarette zwischen seinen Lippen. Gedankenverloren schielte er auf die Glut. Scheidung, Leichen, die verschwinden, wie soll man da aufhören können?, fragte er sich, als suchte er einen Entschuldigungsgrund vor sich selbst, vor seiner eigenen Schwäche. Doch war es überhaupt Schwäche? Konnte er in seinem Beruf tatsächlich von Schwäche reden? Nein, er war nicht schwach. Im Gegenteil, er war ein Mann, der mit beiden Beinen im Leben stand. Nur, das Leben meinte es zurzeit nicht allzu gut mit ihm. Miraldi verzog das Gesicht. »Pah, was macht´s, es kommen auch wieder bessere Tage.«
Sein Kopf fuhr hoch.
Da, jetzt kamen sie!
Er hörte Lombards rauchige Stimme, die sich immer anhörte, als hätte sie die Nacht durchgezecht, und dabei viel getrunken und geraucht.
Na, die konnten was erleben!
Mit schnellen Schritten war er bei der Tür, riss sie auf, gerade als die von Lombards Büro ins Schloss fiel. »Lombard, Maxwell, zu mir!«, brüllte er durch den Flur, während er den Knoten seiner Krawatte löste. Mit einer schnellen Handbewegung warf er sie auf seinen Schreibtisch. »Auch so eine Scheißerfindung. Schneidet dir den Hals zu...« Er hörte Maxwell. Hörte ihre Stimmen.
Hastig setzte er sich hinter seinen Schreibtisch. Mussten ja nicht sehen, wie sehr ihn das alles aufregte.
»Ach, Mist, die Kippe!« Sofort löschte er die Zigarette am Waschbecken unter laufendem Wasser; und sprühte mit Deo das Zimmer aus. Keinen Moment zu früh.
Lotte Lombard öffnete die Tür, streckte ihren Kopf herein. »Morgen, Chef. Sie haben nach uns gerufen.« Lotte setzte ein unschuldiges Lächeln auf, während sie, neben Pete, das Büro ihres Vorgesetzten betrat.
Sie schnüffelte. »Rauch?« Ihre Brauen zogen sich zusammen. »Wollten Sie nicht damit aufhören?«
Miraldi winkte zornig ab. »Versuchen Sie bloß nicht abzulenken.« Er schoss auf seinen Schreibtisch zu, krallte sich mit beiden Händen an ihm fest. Seine Kiefer mahlten. »Denken Sie erst gar nicht daran!«
»Aber, Chef, was hat Sie denn so aufgebracht..., am frühen Morgen?« Lotte hatte einen Verdacht, und der gefiel ihr gar nicht. Kein bisschen. Sie setzte sich auf einen der beiden Stühle vor Miraldis Schreibtisch.
Miraldi blies die Luft aus. »Lombard, stellen Sie sich nicht dümmer als die Polizei erlaubt!«
Seine Augen sahen zu Pete. »Und Sie, Maxwell, lassen das blöde Grinsen!« Er schlug mit der Hand auf den Tisch. Eine Akte rutschte vom Stapel, ging auf, und ein Großteil des Inhalts fiel neben seinem Schreibtisch auf den Boden. »Scheiße!« Das ist nicht mein Tag!, knurrte er in Gedanken. Er streifte die am Boden liegenden Aktenseiten mit einem zornigen Blick.
Lotte stand auf, sammelte die Blätter zusammen und legte sie in die Mappe zurück. Der Aktendeckel glitt langsam zu.
»Danke.« brummte Miraldi, während sich Lotte wieder setzte. Wütend sah er seine beiden Kriminalbeamten an. Schweigend. Er schwieg, sie schwiegen, irgendwo in einem der anderen Büros läutete ein Telefon, gleich darauf eine gedämpfte Stimme, die sich meldete.
Miraldis Finger tippelten auf dem Schreibtisch. Erneut schlug er mit der Faust auf den Tisch. »Habt ihr mir nichts zu sagen?«
»Wir, Chef?« Lotte sah ihren Vorgesetzten gespielt unschuldig an.
»Maxwell, raus mit der Sprache, was ist da heute Nacht passiert?«
»Passiert, Boss...«
»Ihr wollt mir doch nicht weismachen, dass ihr, so ganz zufällig, vergessen habt, heute Nacht eine Leiche verloren zu haben.«
Pete hustete.
»Ach, das meinen Sie, Chef...«
»Lombard!«
»Ja, Chef?«
»Übertreiben Sie´s nicht!« Miraldi kochte vor Wut. Jetzt stellte sich das Weib auch noch dumm. So sehr er Lombard und Maxwell auch mochte und schätzte, aber das schlug dem Fass nun doch den Boden aus. Eine Leiche zu verlieren, verdammte Scheiße, so etwas durfte einfach nicht passieren!
»Also, Boss, das war so...« begann Pete.
»Darf man fragen, woher Sie das überhaupt wissen, Chef?« Lotte setzte sich aufrecht hin, schlug die Beine übereinander und setzte erneut ein Lächeln auf, dieses Mal glich es dem verlegenen Lächeln eines ertappten Kindes.
»Woher ich das weiß?« Er ging zum Fenster, riss es wieder einmal auf, und zog noch eine Zigarette aus der Tasche. Scheiß drauf, was geht’s die beiden an, ob er rauchte oder nicht. Die sollten erst einmal zusehen, dass sie die Leiche wiederfanden! Er blies den Rauch aus. »Habt ihr noch nie etwas von Polizeikanal gehört?« Er schüttelte den Kopf, der Rauch zog zwischen seinen Zähnen hindurch. »Red hat doch jedem heute Nacht davon berichtet.«
»Über Funk?« Lotte blickte zu Pete. Das durfte doch nicht wahr sein. Konnte Roger tatsächlich so doof sein und dafür den Polizeikanal benutzt haben? Dann hätte er es gleich für die Morgenzeitung in Druck geben können. Verdammter Mist! Wenn ich den Kerl in die Finger kriege! Lotte schäumte innerlich.
»Ja, über Funk. Und keine Bange, auch der Präfekt hat davon erfahren! Und natürlich hatte er nichts Besseres zu tun, als mich sofort anzurufen. Und was mach ich?« Wieder blies er den Rauch aus. »Ich habe von alldem keine Ahnung, aber das nimmt mir der Alte nicht ab. Der hat durch den Hörer gebrüllt, dass ich dachte, mir platzt jeden Moment das Trommelfell.« Wütend drückte er die Zigarette aus. »Und jetzt wollt ihr hier die Unschuldigen spielen! Ich will jetzt auf der Stelle wissen, wie ihr eine Leiche habt verlieren können. Sofort! Jetzt gleich! Avanti!«
Pete knöpfte einen Knopf seines Hemdes auf, rutschte auf dem Stuhl hin und her. »Eigentlich...«
»Nichts Eigentlich! Wer von euch beiden?«, fauchte Mirldi.
»Eigentlich war´s Dump...« Pete fühlte sich nicht wohl, aber was hätte er anderes sagen sollen, wenn´s ohnehin, dank Red, über den Kanal gegangen war.
Miraldi riss die Augen weit auf. »Dump? Der Gerichtsmediziner!« Er griff zum Hörer, wählte eine Kurznummer. Nach dem Klingeln, brüllte er in die Muschel: »Dump, sofort in mein Büro!«, und knallte den Hörer wieder auf. Dann setzte er sich auf seinen Schreibtischstuhl und trommelte wieder mit den Fingern auf seinem Schreibtisch.
Lotte und Pete sahen sich an. Sie wussten, jetzt mussten sie warten, bis der Gerichtsmediziner da war, vorher brauchten sie gar nichts mehr zu sagen.
Miraldi sah zum Fenster hinaus, dann an Pete und Lotte vorbei. Er schüttelte den Kopf, doch er sagte nicht mehr, bis es an der Tür klopfte und Jesse Dump endlich das Büro betrat.
»Rein und Tür zu!«, brüllte Miraldi.
Die nächste Stunde brachten sie damit zu, dass Jesse wieder und wieder sich für sein Missgeschick entschuldigte. Versprach, dass es nicht mehr vorkäme. Während Lotte und Pete vergebens versuchten, aus dem Büro zu kommen, um erneut zum nächtlichen Tatort zurückzukehren, um nachzusehen, wie weit die Taucher unterdessen gekommen waren. Doch bis sie dazu kamen, mussten sie noch so einige Zornesergüsse seitens Miraldi über sich ergehen lassen.