Im neuen Jahr bekommen wir den Brief, den die Daheims noch am 28. Dezember 1966 geschrieben hatten. Darin lesen wir unter anderem:
„Am 14. November war der Probevortrag mit der Habilitation. 25 Minuten Vortrag und 25 Minuten Diskussion. Den Vortrag mußte ich ablesen, weil ich ihn falsch vorbereitet hatte (wie sich nachher zeigte) und ziemlich aufgeregt war. Das war, soweit ich weiß, der einzige Kritikpunkt der Fakultät.
Dann ging es gleich am nächsten Sonntag mit den Antrittsbesuchen los. Am ersten Sonntag war meine Frau noch mit. Wessels trafen wir unglücklicherweise an, so daß wir mit einem Gegenbesuch rechnen mußten (der dann doch ausblieb). Die weiteren Besuche habe ich dann in der Sprechstunde erledigt. Bis Mitte Dezember war ich damit fast jeden Tag beschäftigt. ...
Für den 15. 12. war die Einführungsvorlesung angesetzt. Die Vorbereitung kostete etwas Zeit, weil mir König sagte, daß ich da ‚rhetorisch etwas mehr zeigen müsse‘. Dazu kam die Jagd nach den erforderlichen Utensilien: Talar, Frackhemd usw. Die Vorlesung war dann ein Erfolg. Einziger Kritikpunkt: Frackschleife saß schief. Über Weihnachten habe ich die Vorlesung zu einem Aufsatz für die Zeitschrift umgeschrieben. (... )
In der neuesten Nummer der Kölner Zeitschrift steht u.a. ein Artikel von Prof. Unnithan über the teaching of sociology in India. Er rundet gewissermaßen das Bild ab, das Sie gaben. Sie kennen den Bericht sicher. Hier dürften sich die Verhältnisse an den Hochschulen weiter verschlechtern. Was z.B. aus der Hochschulplanung in Nordrhein–Westfalen wird, weiß keiner. Es wird sogar von einer Berufungssperre geredet.
Das wird Sie noch interessieren: Die Wähler der NPD setzen sich zu einem hohen Prozentsatz aus unzufriedenen Abiturienten und Hochschulabsolventen zusammen. 20 % dieser Leute wählen sie gegen nur 8 % im Bevölkerungsdurchschnitt. Scheuch spricht von Statusinkongruenz als Ursache dieser Unzufriedenheit: hohe Ausbildung bei relativ geringem Einkommen und umgekehrt. Relative Deprivation ist also nicht mehr typisch für die Selbständigen.
Wir melden uns wieder aus Berkeley, sobald wir dort das Hotel mit einer Wohnung vertauscht haben. Für das neue Jahr wünschen wir Ihnen vor allem Gesundheit und Erfolg bei der Arbeit.“
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Die beiden Forschungsanträge in Deutschland sind endgültig abgelehnt. Unnithan hat seine Gegenleistung verweigert. Wir müssen deshalb von den drei geplanten Untersuchungen die letzte, die über die Modernisierung, fallen lassen. Dieser Wegfall lenkt aber unseren Blick immer stärker weg von der Modernisierung und fixiert ihn hin zur Institution Universität. Wir wollen die Qualität der Universität durch ihre Produkte bestimmen. Wir befragen Studierende im letzten Halbjahr ihrer Ausbildung. Die Qualität der Ausbildung leiten wir aus ihren Äußerungen, Einstellungen und Lebenszielen ab. Die Annahme ist, daß die Aspirationen und Einstellungen maßgeblich durch die Universität geprägt worden sind. Natürlich werden sie auch durch die Familie und Gesellschaft beeinflußt. Diese zentrale Rolle der Universität schließt ein, solche Einflüsse, sollten sie der Gesamtgesellschaft entgegenwirken, durch die Ausbildung zu beseitigen oder zumindest auf ein Minimum zu reduzieren. Die Universität muß die Absolventen – fachlich wie mental – so ausstatten, daß sie die gesellschaftlichen Probleme der Gegenwart bewältigen, künftige Entwicklungen einleiten und gestalten. Anders ausgedrückt, die Universität muß in der Lage sein, die Absolventen mit jenem Wissen auszustatten, zu jenen Einstellungen bzw. Verhaltensdispositionen zu führen, daß diese Absolventen sich das notwendige Wissen dafür aneignen und die Fähigkeit und die Bereitschaft entwickeln, das angeeignete Wissen in die Praxis umzusetzen.
Wir konzentrieren uns im neuen Jahr also auf die Durchführung der Befragungen der Studierenden und der Hochschullehrer. Die Operationalsierung der einzelnen Variablen, die Voruntersuchungen und die logische– und psychologische Struktur der beiden Fragebögen sind fertig. Wir haben uns für die standardisierte schriftliche Befragung entscheiden müssen: die Studierenden im letzten Semester ihrer Ausbildung im Vorlesungssaal und die Lehrenden durch die Zustellung über das Departement. Dieser erzwungene Weg hat Vor– und Nachteile. Die Feldarbeit verursacht keine weiteren Sachkosten. Ein umständliches „Sampling“ entfällt. Die Gesamtheit wird befragt. Bei den Studierenden fallen jene aus, die zufällig am Tage der Befragung nicht anwesend sind. Der Zeitpunkt der Befragung der Studierenden soll nicht vorher angekündigt werden. So bliebe der Ausfall zufällig.
Das Fehlen von Doppelstunden an der Universität hat den Umfang des Instruments für die studentische Befragung begrenzt. Alle Fragen müßten im Durchschnitt in etwa 50 Minuten beantwortet werden könnten.
Die Lehrenden hätten die Möglichkeit, den gesamten Fragebogen durchzustudieren, auch mit Kollegen über die Fragen zu beraten und erst danach die Fragen zu beantworten. So könnten die Antworten unkontrollierbar beeinflußt werden. Dieser Beeinflussung wirken wir durch Hinweise und Appelle entgegen, wie sie im Interesse der Untersuchung mit dem Fragebogen umgehen sollten. Wir sehen keinen anderen Weg. Im Vorlesungssaal können wir den optimalen Umgang mündlich übermitteln und für die gesamte Dauer im Saal bleiben. Für die Gestaltung der logischen und psychologischen Struktur der Fragebögen sind all diese Umstände berücksichtigt. Wir sind auch mit dem Fragebogen für die Studierenden zufrieden, weil wir ansonsten von jedwedem Zwang frei gewesen sind. Keine Drittmittel (wer bezahlt bestimmt bekanntlich auch die Melodie), keine Rücksichten, keine Abwicklung von vorgefaßten Hypothesen, kein mitgebrachtes Erhebungsinstrument, keine Gefahr einer „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“.
Graphische Gestaltung und Druck sollen für positive Stimmung sorgen. Nach intensiver Suche finden wir eine kleine preiswerte Einmanndruckerei. Der Drucker kann nicht englisch lesen oder schreiben. Er druckt sonst nur Visitenkarten. Das Korrekturlesen ist arbeitsintensiv. Das Druckergebnis ist aber erstaunlich gut. Das Deckblatt gestalten wir ansprechend und informativ. Der kleinere Fragebogen ist als Faksimile am Ende dieses Abschnitts angehängt.
Wir haben zusammenhängende, unmißverständlich formulierte Fragen zu weitreichenden und umfassenden konkreten Bereichen gestellt, die die Bildung von Skalen, also Meßlatten, ermöglichen. Die einzelnen Konzepte der Modernisierung Indiens als der definierte Bedarf der indischen Gesellschaft sind in Fragen aufgelöst.
Wir haben die Fragen mit einer optimalen Bandbreite und ohne eine mittlere Klassifikation der Antwortmöglichkeiten geschlossen. Nicht einfach mit der Möglichkeit Ja, nein, weiß nicht, keine Angabe. Fragen, die neben den konkreten Informationen auch zur Konstruktion von Meßlatten herangezogen werden sollen, vor allem die projektiven Fragen sind so geladen, daß sich die Antworten nicht auf eine Antwortkategorie häufen, sondern sich auf die vorgegebenen Kategorien annähernd gleichmäßig verteilen. Dies ist die Voraussetzung für eine sinnvolle Skalierung.
Ein Beispiel verdeutlicht, was gemeint ist. In der ersten Voruntersuchung lautete Frage Nr. 45k „Eine in früherer Zeit als Patriot anerkannte Person sollte nicht wegen Korruption kritisiert werden.“ Dies ist eine der drei Fragen zur Feststellung der Affektivität in der Verhaltensdisposition1. Die vorgegebenen Antwortmöglichkeiten sind: starke Zustimmung, Zustimmung, Ablehnung, starke Ablehnung. Die Antworten häuften auf starke Ablehnung. Dann ist „Korruption“ relativiert worden durch das Quantifizieren „geringfügig“. Die Antworten häuften auf Ablehnung. Dann ist der Ort der Kritik durch die Zufügung „öffentlich“ differenziert worden. Die Antworten verteilten annähernd gleichmäßig. So ist die endgültige Formulierung dieser Frage: „Eine in früherer Zeit als Patriot anerkannte Person sollte nicht wegen geringfügiger Korruption öffentlich kritisiert werden.“
In den Voruntersuchungen ist auch überprüft worden, ob nicht die vorgegebenen Klassifikationen und Kategorien im Fragebogen die