Dalmacija Grill. Meri Blume. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Meri Blume
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741809477
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Und immer Trinkgeld ab zehn Mark aufwärts.

      „Guten Tag, junge Frau. Wie geht es Ihnen heute? Sie sehen fabelhaft aus. Eine schöne Brosche tragen Sie heute.“

      Immer reden, immer blubbern, immer unterhalten.

      „Aha. Tatsächlich! Wirklich wahr? Sehr interessant. Wie immer? Kommt sofort.“

      Tisch elf will zahlen, Guten Tag, Auf Wiedersehen, Dankeschön, zwei Schultheiss, ein Kadarka, ein Orangensaft, die Balkan-Platte wird kalt, zwei Tassen Kaffee, jawohl. Kassette umdrehen. Bier anschließen, zwei Slivowitz aufs Haus, extra Đuveđ-Reis, Dankesehr, Scharfe Zwiebeln, Krautsalat, Auf Wiedersehen.

      „Ane, räum die Tische ab.“

      Zwei Kruškovac. Das Geschäft läuft. Alle Tische voll. Neue Gäste sind gut. Jeder macht seine Arbeit. Die Küche ist schnell, Trinkgeld ist gut. Ein guter Sonntag. Wenn es heute abend auch so gut läuft, dann bin ich zufrieden. Dann war es ein guter Sonntag!

      „Frau, gib uns was zu essen! Denk nicht nur an die Gäste. Wir sind auch noch da!“

      „Sind etwa alle Gäste weg?“

      „Nein. Aber nur drei Tische. Und die haben schon gegessen. Lass uns auch essen, es ist schon drei.“

      Sobald ich mich hinsetze, kommen sicher die nächsten rein. Die Kinder haben Hunger. Das Personal muss zu Mittag essen. Nicht, dass es später heißt, der geizige Ive gebe ihnen kein Mittagessen.

      „Oh, was für eine Überraschung. Guten Tag, mein Freund. Welcher Wind bringt euch hierher? Wir wollten uns gerade hinsetzen und Pause machen. Setzt euch! Was darf ich euch bringen? Anka, Drago und Slava sind hier.“

      Das ist ein Leben! Sie arbeiten beide bei Siemens. Nur acht Stunden am Tag. Mit Mittagspause. Haben die Wochenden frei, bekommen Weihnachtsgeld und gehen zur Kur. Sonntags kommen sie gutgekleidet Freunde besuchen, trinken Kaffee, essen Palaćinke mit Vanilleeis. Wenn ich so eine Arbeit hätte, würde ich auch in Deutschland bleiben wollen. Eine ruhige Arbeit, festes Gehalt und am Ende des Tages musst du dir keine Gedanken machen, ob der Strom bezahlt wurde, ob du alle Waren verkaufen kannst, ob die Gäste wieder kommen, ob noch etwas für dich übrigbleibt, wenn alle Rechungen bezahlt sind. Aber wie sollte ich Bauernsohn zu Siemens oder Krone oder Telefunken gelangen? Wobei, auch dort gibt so einige unserer Bauernsöhne und Bauerntöchter!

      Drago kam als gebildeter Mann nach Deutschland. Abitur in Novi Sad, Studium in Belgrad. Wie weit war ich von einem Studium entfernt? Ein Studium? Was rede ich, Abitur war schon unerreichbar. Wer aus meiner Dorfgeneration hat überhaupt Abitur gemacht? Hätte ich meinem Vater gesagt, ich will Abitur machen, er hätte mir ohne zu zögern eine verpasst, noch einen Arschtritt hinterher und dazu noch gerufen: ´Da, jetzt hast du dein Abitur´.

      Doch. Petar, Paves Sohn, er war mein Jahrgang und hat Abitur gemacht. Er ist Ingenieur in Rijeka. Wie hätte ich mich mit Petar messen sollen? Pave war bei den Partisanen. Später ein echter Kommunist. Pave hatte alle Privilegien und war der mächtigste Mann im Dorf. Und wo war mein Vater? Mein Vater ist zu den Italienern rüber, weil sie Nudeln verteilt hatten. Diese ärmlichen, ausgehungerten Jugendlichen sind dorthin gelaufen, wo es was zu essen gab. Wäre er bloß zu den Partisanen gegangen, dann hätten wir alle es besser gehabt. Ich hasse Nudeln.

      „Forelle blau erzählte mir heute Morgen, dass sie die Brosche, die sie heute trug, von ihrem Mann zur Verlobung bekommen hat. Und zwar an dem Tag, als der Kaiser den Russen den Krieg erklärt hat! Ich hab natürlich so getan, als würde ich alles verstehen, aber ich hatte keine Ahnung, wovon sie sprach. Welcher Krieg? Welcher Kaiser? Hitler war doch kein Kaiser?“

      „Sie meint den Ersten Weltkrieg. 1914. Da hatte Deutschland noch einen Kaiser.“

      „Siehst du, Ane, was es heißt, wenn einer in der Schule aufpasst. Drago weiß so was.“

      „Ich wusste es auch.“

      „Mein schlaues Kind. Ich hab in der Schule nichts gelernt. Es war wichtiger, Schafe zu hüten. Wenn wir überhaupt Schafe hatten. Wer Schafe hatte, der galt ja schon als reich.“

      „Lass doch die Schafe in Ruhe. Iss, solange niemand kommt.“

      Essen auf die Schnelle. Ich habe mir das Kauen abgewöhnt. Ich schlucke nur noch. Ich sauge mein Essen ein, ich esse gegen die Uhr, gegen die Tür, die jeden Augenblick aufgehen kann. Dann springe ich wieder auf und rufe ´Guten Tag. Wie geht es Ihnen´? Ich lasse meinen Teller liegen, bringe den Gästen die Karte, sie bestellen die Getränke. Ich bringe ihnen die Getränke, sie bestellen die Speisen. In dieser Zeit ist mein Essen kalt geworden. Im Stehen nehme ich noch einige Bissen und schiebe den Teller durch die Schankluke in die Küche. Meinem Magen geht es nicht gut. Jeden Tag das gleiche. Seit wie vielen Jahren habe ich nicht mehr in Ruhe gegessen? Immer dieses Aufspringen. Jeder Gast ist wichtiger als ich. Wir springen alle auf. Anka, das Personal, nur die Kinder dürfen zu Ende essen.

      Mit Freunden in Ruhe essen, danach ein Gläschen trinken, einen Kaffee. Reden, Lachen, Spazierengehen. Balote spielen. Gott, was ist das für ein Leben? Seit Jahren war ich nicht mehr in der Rehberge balote spielen. Einen Sonntag so begehen, wie Gott sich das vorgestellt hat. In die Kirche gehen, ein gutes Mittagessen, danach eine Runde über die riva, Leute treffen, balote spielen. Wie lange noch? Wie weit ist das weg?

      „Ive, heute Abend feiert Der lustige Bosnier Geburtstag. Wir haben genug Bier, oder?“

      „Es wird genug sein, Frau. Mach dir keine Sorgen. Wie läuft es eigentlich in eurer Firma?“ „Wir sind zufrieden. Nächste Woche haben wir Urlaub und dann wollen wir nach unten fahren. Ein bisschen ans Meer.“

      „Schau, schau. Hattet ihr nicht kürzlich Urlaub?“

      „Nein, ich war auf Kur. Urlaub kommt jetzt.“

      Zum Teufel.

      „Ihr habt´s gut. Keine Frage. Frau, ich müsste auch mal zur Kur.“

      „Ich auch.“

      „Gut, zuerst du, dann ich. Vier Wochen lang mit diesen Faulpelzen aus den deutschen Firmen in Schwimmbädern plantschen und uns massieren lassen. Das wäre doch was, oder Frau?“ „Davon können wir nur träumen, Mann.“

      „Hört auf zu jammern. Euch geht´s doch fabelhaft. Ihr zwei versteht euch gut, der Laden läuft bestens, die Kinder sind wohlauf. Ihr seid gesund und die Villa in Split wächst und wächst. Nicht wahr?“

      „Ach, die Villa. Wann sind wir denn schon da? Manchmal frage ich mich, ob das alles einen Sinn macht?“

      „Natürlich! Ive, zieht das jetzt durch und geht so schnell wie möglich zurück. Martin aus Dobrovnik Grill bereitet sich aufs Gehen vor. Ich hab ihn gestern getroffen. Ihr gehört zu den Leuten, die nur hier sind, um Geld für unten zu verdienen. Ihr lebt ja nicht wirklich hier.“

      „Sondern? Wo leben wir?“

      „Ihr lebt unten. Alles, was ihr tut, tut ihr fürs Haus da unten, für die Familie unten. Ihr seid hier vorübergehend, euer Leben wollt ihr erst unten leben. Was macht ihr hier schon außer arbeiten? Wann wart ihr das letzte Mal tanzen? Wann warst du mit deinen Kindern im Zoo? Das Leben verfliegt, Ive. Ganz schnell. Schau uns an. Ich werde vierzig im August. Aber ich lebe mein Leben hier. Was soll ich in Novi Sad? Oder Belgrad? Vielleicht würde ich anders denken, wenn ich ein Haus am Meer hätte, wenn ich aus Dalmatien wäre. Da ist es schöner. Aber ich muss dir sagen, ich finde es hier auch gut.“

      Er findet es hier auch gut! Natürlich. Arbeitet acht Stunden am Tag, hat jedes Wochenende frei, fährt vier Mal im Jahr in den Urlaub. Zum Teufel, so würde ich es hier auch gut finden.

      „Was sagst du, Frau? Wollen wir bald zurück?“

      „Lass mich in Ruhe. Wir haben heute zwei Reservierungen. Insgesamt siebzehn Leute. Ich mache schon die Filets fertig. Stell Servietten auf den Tisch. Manche Kerzen sind abgebrannt. Mach deine Arbeit und lass das Fantasieren.“