"Und ich lebe noch!!°. Ines Vasku. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ines Vasku
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737572606
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ich denke, dass sie mit der Situation überfordert waren und es heute noch sind.

      Ich möchte hier auch nur meine subjektiven Empfindungen teilen und ganz sicher niemanden verletzen oder beleidigen.

      Das beste Ergebnis wäre natürlich, den einen oder anderen zum Nachdenken anzuregen, denn was ist schon normal? Was passt in eine perfekte Familie und was nicht?

      Wer bestimmt, was normal ist oder perfekt?

      Und wer setzt eigentlich und leider so oft fest, dass man Menschen mit Behinderung nicht in perfekte oder normale Familien integrieren kann?

      Sogar im Kindergarten hatten wir es geschafft, dass ich das erste Integrationskind mit Behinderung war und ich konnte weder gehen noch stehen.

      Obwohl ich nur sehr wenige Erinnerungen an die Kindergartenzeit habe und meine Schwägerin in Spe, Anke, Lebensgefährtin meines Bruders Stefan, mir auf die Sprünge helfen muss, kann ich mich an eine besondere Situation erinnern und sehe diese noch immer vor mir.

      Wir sollten alle bei einer bestimmten Stelle rutschen und die Tante meinte, ich soll das auch versuchen. Da hat sich mein Bruder aufgeplustert, die kleinen Ärmchen in die Hüfte gestemmt und zur Tante gesagt: "Die Ines kann das aber einfach nicht!"

      Wie man sieht kann sich auch ein kleiner Mensch für andere einsetzen - schade, dass dieser Wesenszug vielen erwachsenen Menschen verloren geht.

      Unfall

      Ich bin ein sehr ehrgeiziger Mensch, oder war es zumindest mal. Viele meiner Fähigkeiten, die ich nie hätte erlernen sollen, habe ich auch meinen Geschwistern zu verdanken.

      Ich wollte immer genauso sein wie sie und habe mich sehr bemüht, ihnen hinterher zukommen. Gegen alle ärztliche Prognosen lernte ich bis zu meinem vierten Lebensjahr zu sitzen und nach einer orthopädischen Operation auch laufen.

      Zwar konnte ich nie so gehen wie gesunde Menschen, aber ich konnte mich alleine und ohne Hilfe fortbewegen. Das war für alle ein kleines Wunder, vor allem für die, die es mir nicht zugetraut haben.

      Doch all diese Fortschritte wurden von einem schlimmen Unfall überschattet, welcher noch immer Spätfolgen nach sich zieht und ich bis heute nicht verstehen kann, warum das so ist.

      Meine Mutter macht sich, wie ich vermute, heute noch Vorwürfe für diesen Vorfall, der wie folgt passiert sein kann und von dem es zwei Versionen gibt.

      Meine, und die meiner Eltern.

      Sie war nur eine Minute bei meinen Geschwistern im Wohnzimmer und da passierte das Unglück.

      Die Version meiner Eltern besagt, dass ich versucht hätte, mich in der Badewanne hinzustellen. Da ich noch nicht richtig stehen konnte, bin ich dann angeblich umgefallen. Dabei sei ich mit der Hand an den Drehknopf für das heiße Wasser gekommen, woraufhin sich dieses über mich ergoss.

      In meiner Erinnerung hingegen spielte ich mit einem Waschlappen. Um diesen mit Wasser zu füllen, drehte ich den Hahn auf, doch leider erwischte ich statt dem kaltem das heiße Wasser. Ich dürfte das nicht sofort bemerkt haben, da sich zuerst der Waschlappen füllte und erst dann auslief.

      Als ich dann realisierte, dass ich gerade mit heißem Wasser hantierte, war es auch schon zu spät: Der Waschlappen wurde mir zu schwer und sein Inhalt landete auf meinen Beinen. Durch den Schmerz erschreckt, riss ich sie hoch und ebnete dem heißen Wasser so den Weg auf Bauch, Beine und Po.

      Egal welche Version nun stimmen mag, nachdem mich meine Mutter aus meiner misslichen Lage in der Badewanne befreit hatte, fuhren wir sofort zu unserem damaligen Hausarzt, der 2-3 große Brandblasen und Rötungen feststellte. Er verordnete mir ein Schmerzmittel und sagte, dass ich viel trinken und mich meine Eltern am nächsten Tag ins Krankenhaus fahren sollten.

      Leider wusste er nicht, wie gravierend die Verletzung wirklich war, denn bei „nur“ 60°C Wassertemperatur wäre ich normalerweise noch mit leichten Verbrennungen davongekommen, doch dem war nicht so.

      Unglücklicherweise habe ich eine starke Bindegewebsschwäche, was aber damals noch nicht bekannt war. Durch diesen Umstand war meine Haut um ein Vielfaches verletzbarer und so kam es, dass ich auf 25 Prozent der Hautoberfläche Verbrennungen dritten Grades hatte, denn als ich am nächsten Morgen erwachte, hing mir die Haut in Fetzen an den Beinen hinunter. Dort wo am Abend zuvor noch Brandblasen gewesen waren, klafften offene Wunden. Es bestand akute Lebensgefahr.

      Ich weiß nur noch von Erzählungen, dass meine Eltern die Rettung riefen. Einen Monat musste ich im Krankenhaus verbringen, doch ich erinnere mich kaum daran. Ich weiß nur noch, dass sich sehr viele Gesichter über mir befanden und ein Arzt meine Mutter ankeifte, warum sie nicht früher mit mir gekommen war. Auch das Luftbett in welchem ich liegen musste, um Druckstellen zu vermeiden, ist mir in unliebsamer Erinnerung geblieben. Das Geräusch, das es machte, ließ mich fast verrückt werden.

      Alles was danach kam, bis hin zu meinem siebten Lebensjahr, ist sehr verschwommen, besser gesagt kann ich mich an fast nichts erinnern und muss mich an Erzählungen festhalten. Dass ich den unmittelbaren Unfall und die Zeit danach im Krankenhaus verdrängt habe mag ja noch logisch sein, aber warum wurde durch den Unfall eine Erinnerungslücke ausgelöst, die auch lange nach dem Unfall jegliches Erlebte für mich verschlossen hält? Es scheint so, als hätte mein Hirn angefangen verschiedene Zeiträume auszublenden und das tut es heute noch....

      Natürlich ist es komisch, ganze Jahre seines eigenen Lebens nicht aus der eigenen Erinnerung zu kennen, doch Mama, ich möchte nicht, dass du dir Vorwürfe machst. Meine Geschwister brauchen dich genauso wie ich. Das war, ist und wird auch immer so bleiben. Selbst wenn du nur diese eine Minute nicht weggewesen wärst, hätte alles genauso passieren können. Bitte mach dir keine Vorwürfe Mama, du bist NICHT Schuld.

      Einschulung – Volkschule

      Eine besondere Erinnerung habe ich auch noch an meine Einschulung. Sie ist deswegen so besonders, weil Oma selbst bestickte Schultüten für uns gemacht hatte. Und die waren riesig! Einfach toll.

      Das ist wieder eine Art und Weise, wie meine Oma Zuneigung zeigen kann.

      Ach ja, da fällt mir wieder ein, was noch so besonders war. Gleichzeitig zur Einschulung konnte ich auch die ersten erfolgreichen Gehversuche verbuchen. Zwar konnte ich nicht so ins Klassenzimmer hüpfen wie andere Kinder, aber ich schaffte es zumindest hinein.

      Die Kinder waren in diesem Alter noch viel offener und ich fühlte mich nicht ausgegrenzt. Noch nicht. Sie stellten ganz einfach Fragen und es war für sie normal, dass ich ein bisschen anders war.

      Später ändert sich dieses „Normal“ in unseren Köpfen - tragisch, dass der Mensch sich so oft zurückentwickelt, es gibt nicht viele, die sich ihre Offenheit behalten. Je älter ich wurde, desto weniger fühlte ich mich zugehörig.

      So begann ich also in die Vorschule - nachdem es bereits eine lange Diskussion gab, ob ich die normale Schule oder die Sonderschule machen darf und kann.

      Meine Erinnerungen sind auch hier sehr schwach, aber ich weiß von einer Szene, die mir ganz stark im Gedächtnis geblieben ist. Ich hatte eine Kindergartenfreundin, die ebenfalls behindert war und gleichzeitig mit mir in die Schule kam. Ich sah sie im Klassenzimmer und hatte mich schon sehr darauf gefreut, mit ihr gemeinsam diesen großen, neuen Schritt zu tun. Leider stellte sich dann heraus, dass sie nur mit ihrem Bruder da war und selbst in die Sonderschule musste. Für mich war diese Entscheidung eine so herbe Enttäuschung und ein so einschneidendes Erlebnis, dass es mir bis heute in den Knochen sitzt.

      Die Volksschule war eine besondere Herausforderung, denn so sehr ich mich bemühte, waren meine Leistungen von Anfang an schwach. Die Lehrerinnen und Lehrer haben immer wieder gedrängt und verlangt, dass ich mehr lernen und üben muss, doch das war einfach nicht möglich. Einerseits, weil ich sehr oft krank war und andererseits, weil ich ja schon alles versuchte.

      Auch als meine Mutter den Lehrern schon sagte:

      "Wie soll sie denn noch mehr lernen, wenn der Tag