Tristan. Paul Sandmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Sandmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844243925
Скачать книгу
Marcus hob den Arm und versuchte Tristan und seine Begleiterin heranzuwinken.

      „Beachten Sie die beiden bitte gar nicht”, flüsterte Tristan, berührte Isabella wie aus Versehen am Rücken und blickte mit ihr gemeinsam auf die Stadt.

      „Was machen denn Ihre Freunde?“, fragte Isabella.

      Tristan nahm dem Ober, der erneut erschienen war, die beiden Gläser ab, steckte ihm etwas Geld zu und reichte Isabella ihr Glas.

      „Der eine ist Künstler”, antwortete er.

      „Künstler? Ich liebe die Kunst!“, rief sie.

      Er hob sein Glas und senkte seinen Blick tief in den ihren: „Dann auf die schönen Künste!“

      Sie wiederholte den Trinkspruch und war für einen Moment wie gefangen. Tristan nahm einen Schluck Champagner und befahl sich nicht zu husten. Er konnte nicht glauben, dass dieses Zeug aus Frankreich stammen sollte.

      „Sind Sie sicher, dass dies Champagner ist?“, fragte Isabella, die ihm keinesfalls hatte anmerken können, was er von dem Tropfen hielt, da er seine Züge vollkommen unter Kontrolle hatte. Dies war niemals Champagner, allenfalls italienischer Schaumwein.

      „Schmeckt wie Prosecco!“, fuhr sie sichtlich belustigt fort und kicherte leise.

      Auch Tristan fiel in ihr Lachen ein und sagte: „Da sehen Sie’s. Ich habe versucht, Sie zu beeindrucken und dabei gleichzeitig zu sparen. Den Ober kenne ich. Wenn ich Champagner bestelle, schenkt er mir immer nur Prosecco ein. Aber bisher hat mich noch niemand dabei ertappt. Dazu brauchte es schon eine wirkliche Italienerin!“

      Abrupt hörte sie zu lachen auf und kniff die Augen zusammen.

      Doch er schüttelte nur lachend den Kopf und trank den Rest seines Champagners. Er stellte dem indischen Ober das Glas wieder auf das Tablett und wies ihn an: „Gut, mein Freund, aber jetzt bring’ uns den richtigen!“

      Überrascht verharrte der junge Inder eine Sekunde, dann fuhr Tristan fort:

      „Bring uns einen Prosecco, mein Lieber.“

      Jetzt lachte auch Isabella lauthals, worauf sich einige der Gäste zu ihnen umblickten und die Mienen verzogen. Diesen bedeutete Tristan leise: „Probieren Sie auf keinen Fall den Champagner.“

      In diesem Augenblick öffneten sich die Reihen, und ein groß gewachsener Lateinamerikaner trat auf Isabella zu. Sie umarmte ihn, und er küsste sie vertraut auf die Wange. Dann wechselte er ein paar persönliche Worte mit Isabella. Den Arm um sie gelegt, wandte er sich schließlich Tristan zu und fragte: „Und Sie sind...?“

      „Das ist Tristan”, antwortete Isabella.

      „Erfreut!” Tristan reichte dem dunklen Hünen die Hand und fuhr fort: „Ich habe Isabella Gesellschaft geleistet, um eine solch reizende Dame nicht allein warten zu lassen.“

      Der Lateinamerikaner verzog die Augenbrauen, erwiderte aber nichts.

      „Na gut, meine Arbeit hier ist also verrichtet, ich lasse euch die beiden Proseccos dann bringen.” Mit diesen Worten ergriff Tristan die Hand Isabellas und zog sie sachte aber bestimmt an sich heran. Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und sagte: „Auf bald!“

      „Auf bald”, erwiderte sie lächelnd.

      Tristan nickte Isabellas Begleiter zu und ging zu seinen Freunden zurück. Auf dem Weg begegnete er dem Inder, dem er etwas Geld zusteckte und unter das eine Prosecco-Glas seine Visitenkarte legte. Dann wies er den Kellner an, die Getränke zu servieren und kehrte zu dem Tisch von Cirrus und Marcus zurück. Es überraschte ihn nicht, dass diese beiden neben den drei Flaschen Champagner nun auch in Gesellschaft dreier Modelle waren. Er begrüßte die Mädchen, von denen die erste Haare von einem so tiefen Rot hatte, dass er Cirrus fast für seine Wahl beneidete. Als Tristan hinzutrat, blickte Marcus aus einem angeregten Gespräch mit zwei Brünetten auf und rief: „Ah, wir hatten dich schon gesucht! Lern Michelle, Sam und Sasha kennen!“

      Tristan grüßte jede Einzelne von ihnen und fand sich kurz darauf in einer Unterhaltung mit Sasha wieder, einem zweiundzwanzigjährigen Fotomodell aus Jekatarinenburg. Während sie ihm aufgeregt und mit hölzernem Englisch von ihrem letzten Shooting in Paris berichtete, betrachtete er ihre Nase, die wirklich allzu entzückend war. Sie war voller Sommersprossen und kräuselte sich bei jedem Lachen in so unbeschreiblicher Weise, dass Tristan sie darauf aufmerksam machte.

      Sasha hatte bereits zwei Gläser zu sich genommen und vertrug offenbar nur wenig, so dass Tristan ohne zu zögern anfing, ihre Sommersprossen mit dem Finger zu zählen. Dabei hielt er mit der anderen Hand ihren Hals und geriet mit seinem Gesicht derart nahe an das ihrige heran, dass sie zuerst nervös kicherte. Als sie dann aber die neidischen Blicke ihrer beiden Freundinnen auffing, hörte sie damit auf und schürzte auf einladende Weise die Lippen.

      Tristan sah dies, fasste ihr Kinn und drehte sich zu den anderen beiden um.

      „Sie hat mehr Sommersprossen, als heute Abend Sterne am Himmel stehen, Marcus.“

      Darauf fing Cirrus laut zu lachen an, und Tristan bat ihn nachzuzählen.

      „Sieh selbst”, sagte er, griff nach Sashas Hand und gleichzeitig nach der der Rothaarigen und geleitete die eine zu Cirrus hinüber, während er die andere vorsichtig aus der Nähe seines Freundes entfernte. Die Rothaarige nahm neben ihm Platz.

      „Hallo Sam”, sagte Tristan und blickte auf die Mundwinkel seines Gegenübers, die sich vor Freude gehoben hatten. Ihre Zähne funkelten ihn an.

      „Du hast wunderschöne Boticcelli-Locken”, sagte er. Sie lachte, ohne es zu verstehen.

      „Darf ich dir noch etwas einschenken?“, fragte er und griff nach ihrem Glas, das fast leer war.

      In diesem Moment erschien Isabella hinter der Rothaarigen. Sie blieb stehen und blickte Tristan einen Moment lang fragend an. Ihre Begleitung, offensichtlich etwas erzürnt, raunte ihr ein Wort zu und ging bereits zur Garderobe vor, um ihren Mantel zu holen.

      Tristan stand auf und griff nach Isabellas Hand, doch diese berührte ihn nur für den Bruchteil einer Sekunde und hinterließ die Visitenkarte zwischen seinen Fingern. Schon war sie fort. Erstaunt betrachtete er seine Karte, während Zweifel in ihm aufkamen. Doch dann drehte er sie herum und sah, dass sie auf der Rückseite ihre Telefonnummer hinterlassen hatte, gleich unter seiner eigenen. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, als er die Karte in seine Innentasche steckte und sich wieder hinsetzte, um Sams Glas zu füllen.

      „Wer war das?“, fragte diese mit einem ebenso arglosen wie ahnungslosen Ausdruck.

      „Nur eine Freundin”, sagte er und küsste ihr die Hand.

      IV

      Am nächsten Morgen erwachte er mit einem schweren Kopf. Das Licht des anbrechenden Tages durchflutete bereits sein Schlafzimmer und warf Schatten auf die weißen Laken seines Bettes. Draußen vor dem Fenster erwachte London gerade zu einem frischen Samstagmorgen. Er sah kaum Wolken am Himmel stehen.

      Neben ihm zeichneten sich unter dem Weiß seines Plumeaus die Formen einer Frauengestalt ab. Ihre roten Haare lugten lockig unter der Decke hervor. Ebenso ein Arm, an dessen Ende sich eine Hand leise bewegte, förmlich im Erwachen begriffen. Der Duft, der aus den Laken emporstieg, war für Tristan Zeugnis einer von Champagner und Lust durchtränkten Nacht. Er wartete nicht, bis sie vollkommen aufgewacht war, sondern stand auf. Die Hand griff nach seinem Fußgelenk, doch er öffnete sie behutsam mit spitzen Fingern und stieg die Treppe seines Lofts herab. Dann nahm er sich ein frisches Handtuch aus dem Regal, hängte es neben die Duschtür und begann zu duschen. Unter dem Fenster seines Badezimmers floss die Themse dahin. Während er sich das Haar einseifte, betrachtete er die darauf fahrenden Schiffe und die Möwen, die ihnen folgten. Da öffnete sich die Schiebetür hinter ihm, und Sam trat herein. Sie strich sich eine ihrer schweren roten Locken aus dem Gesicht und blickte ihm neckisch ins Gesicht: „Nicht so voreilig, mein Lieber”, sagte sie und nahm seine Hand in die ihre. Dann gab sie ihm etwas von seiner Waschlotion und bedeutete ihm, sie zu waschen.