Der Diplomatenkoffer. Hans W. Schumacher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans W. Schumacher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847654988
Скачать книгу
des Sprösslings. Bernard ging das ständige Gerede über Kinderpflege und -erziehung auf die Nerven. Neben Caroline beteiligten sich noch eine Hausangestellte, die Köchin und die neue Angetraute seines Vaters an der unablässigen Diskussion über jegliche Gemüts- und Darmregung des Kindes. Hatte man auch um ihn soviel Wesens gemacht? Er konnte sich nicht daran erinnern. Väter, das hatte er kurz nach der Geburt Pauls gemerkt, waren wie die Drohnen im Bienenstock, nach der Zeugung wurden sie abgeschafft, sie waren überflüssig geworden.

      Ihm gegenüber saß Paul auf dem Kinderstühlchen. Er zappelte herum, warf sein Baguettestück auf den Boden und den Yogurthbecher hinterher, das trug ihm eine milde Rüge von Caroline ein, während ihn Bernard am liebsten übers Knie gelegt hätte.

      Er begnügte sich aber mit einem Lächeln und stillte ihre Neugier, um nicht wieder in ein ermüdendes Streitgespräch über die richtige Art und Weise, aus quakenden Kröten Menschen zu machen, hineingezogen zu werden.

      „Merkwürdige Geschichte“, sann sie und wischte mit einer Serviette Yogurthspuren von Mund, Nase, Kinn, Händen und Haaren ihres Abgotts.

      „Kann man wohl sagen“, bestätigte ihr Mann, „und das Schönste kommt noch. Das Ganze sieht nach einem Komplott gegen Barre aus. Henri und Alida haben vom oberen Stock des Hauses von Cellier das Gespräch der Kriminalbeamten belauscht: da war die Rede davon, sie hätten die Pistole gefunden, mit der der Lokalreporter umgebracht worden sei und rate mal, wessen Fingerabdrücke auf der Waffe sein sollen?“

      „Die von Barre etwa?“

      „Richtig“, sagte er, ohne ihre Ironie zu monieren, „aber sie haben noch eine Spur: Allergie.“

      „Allergie?“

      „Ja, da staunst du, was! Smarte Gesetzeshüter, Geistesgrößen, Kombinationsgenies! Barre hat zu Protokoll gegeben, dass er gestern früh die ganze Zeit im Redaktionsbüro war, außer während eines Kurzbesuchs auf der Toilette. ‚Kurzbesuch’ höhnten sie, Barres Dauersitzungen seien notorisch, zu viel Fleisch, zu wenig Ballaststoffe. Konstipation als Dauerleiden. Und um aus dem Klofenster aufs Dach zu schlüpfen, von da aus in den Dienstbotenaufgang, wo fast niemand vom Haus sich aufhält, von dort in den Archivtrakt, Cellier abmurksen, zurück zum Klo und dann hocherhobenen Hauptes wieder ins Büro schlendern, dafür brauche man, wenn es hoch kommt, sogar weniger als die üblichen zwanzig Minuten.“

      „Ja, ja“, Caroline hübsches Gesicht verzog sich irritiert, „aber was ist das mit der Allergie?“

      „Leopold! Sagt dir der Name etwas?“ Es machte ihm Spaß, sie auf die Folter zu spannen.

      „Leopold? Der Name ist mir neu.“

      „Es ist die Katze von Frau Makoulian, der Archivarin der Zeitung. Sie bringt sie jeden Morgen mit, damit sie zu Hause nicht wegen der Einsamkeit neurotisch wird und lässt sie im Archiv herumlaufen.“

      „Aha“, Carolines Züge hellten sich auf, „und Barre hatte eine Allergie und die Polizei behauptet, er habe sie sich bei seinem mörderischen Besuch im Archiv geholt.“

      „Sie schließen messerscharf, er habe eine Allergie auf Katzenhaare und das sei ein weiterer Beweis, dass er dort gewesen sei.“

      „Es juckte ihn an dem Morgen tatsächlich?“

      „Muss wohl so gewesen sein.“

      „Das braucht aber nicht unbedingt von Katzenhaaren zu kommen“, wandte sie ein, „es gibt bestimmt tausend andere Ursachen: Nebenwirkungen von Medikamenten, Krabben, Erdbeeren, wer weiß was alles. An seiner Stelle würde ich einfach unter gerichtlicher Aufsicht zu einem Hautarzt gehen und mich auf eine Katzenhaar-Allergie testen lassen. Wird sie nicht bestätigt, ist er sofort aus dem Schneider.“

      „Und wenn nicht?“

      „Einem guten Anwalt wird schon etwas einfallen. Eine Anklage auf Grund eines solchen Beweises ist dermaßen wackelig...“ Sie konnte das zu Recht sagen, denn bevor sie etwas überstürzt geheiratet hatte, wie sie später zugab, hatte sie eine Zeitlang Jura studiert.

      „Es kommt aber noch besser“, fuhr ihr Gatte fort, „angeblich haben sie bei der Durchsuchung der Räume Celliers ein Dossier gefunden, das dieser angelegt hat. Darin soll Cellier geheime Unterlagen gesammelt haben, die Barres Beteiligung an verschiedenen halb- bzw. ganzkriminellen Aktionen bewiesen. Die Bullen vermuten, dass Barre von Celliers Treiben Wind bekommen und ihn deshalb ermordet habe.“

      „Ich mag Barre zwar nicht besonders“, gestand die Kindsmutter, „aber das traue ich ihm nicht zu.“

      Paulchen schlug mit dem Löffel auf seinen Teller und schrie: „Mami, du auch.“ Sie gehorchte und als auch Papi mittrommeln musste, sagte eine Männerstimme hinter ihnen: „Was für ein Heidenlärm, damit könnt ihr ja Tote aufwecken.“

      „Opa“, rief Paulchen, „Opa, mach mit!“

      Alain Grandville ließ sich in einen freien Sessel fallen, hielt sich die Ohren zu, nachdem er einen Brief auf den Tisch gelegt hatte, und klagte: „Kinder, wollt ihr mir das bisschen Gehör rauben, das ich noch habe?“

      „Schluss jetzt!“ meinte Bernard, legte sein Lärminstrument beiseite und nahm Paul den Löffel aus der Hand. Sohnemann brüllte wie am Spieß. Caroline verstand eine Geste ihres Gemahls, hob den strampelnden Abgott aus seinem Stühlchen und verschwand mit ihm im Inneren des Hauses. Türen klappten, und das Geschrei war weg.

      „Guten Morgen, mein Alter“, sagte Bernard, beugte sich hinüber und küsste seinen Vater auf die noch unrasierte Wange, „was führt dich zu einer solch unchristlichen Zeit schon zu uns.“

      Alain Grandville nahm den Brief, der noch unadressiert war, und klopfte mit einer Ecke des Umschlags auf den Frühstückstisch, „Caroline hat mir gestern Abend erzählt, dass du heute früh nach Paris fliegst.“

      „Stimmt, zu einem Vortrag an der Université catholique.“

      „Und, worum geht’s?“

      „Um einen italienischen Aufklärer, Algarotti, der Name wird dir nichts sagen.“

      „Aber ja doch, ein Freund von Voltaire und der Madame du Deffand.“

      „Nein, nicht du Deffand, Emilie de Châtelet.“

      „Soso!“ meinte Opa zerstreut: „Na ja, all diese Dämchen. Also à propos: Kannst du diesen Brief mitnehmen und einer Frau bringen? Aber bitte persönlich abgeben!“

      „Natürlich, ich könnte das allerdings erst morgen machen, ich bin heute den ganzen Tag besetzt. Warum gibst du ihn nicht zur Post?“

      „Das ist ja gerade der Haken“, der große Politiker und Wirtschaftsfachmann, der gerade erst mit viel Aufwand und großer Anteilnahme der Öffentlichkeit seinen achtzigsten Geburtstag gefeiert hatte, wand sich sichtlich, „frag nicht lange, es gibt da bestimmte Hindernisse, sonst würde ich dich nicht bitten. Und die Sache ist wichtig.“

      „Also gut, meinetwegen, das bedeutet natürlich, dass ich noch einen Tag dranhängen muss, sonst hätte ich den Nachtflug zurück genommen.“

      „Ich übernehme selbstverständlich die Hotelkosten“, versicherte sein Vater.

      Bernard war empört: „Aber hör mal, Papa, rede keinen Unsinn. Ich mach das doch gern für dich. Wie heißt denn diese Frau und wo wohnt sie?“

      „Mme. Louise Granier, 33, Rue Dalayrac.“

      „Kannst du die Adresse nicht auf den Briefumschlag schreiben? Ich kann mir im Augenblick nichts merken, ich habe den Kopf so voll.“

      Sein Vater vergrub eine Hand in der linken Innentasche seines Jacketts, zog einen Schreibblock, in dessen Rücken ein kleiner Stift steckte, heraus und notierte die Adresse auf einer herausgerissenen Seite.

      Bernard, der seit einiger Zeit in der Detektei Dupont, einer Schule des Misstrauens, arbeitete, runzelte die Stirn: „Warum schreibst du die Adresse nicht auf den Brief, mon vieux?“

      „Oh je, du fragst so viel. Ich