Bodos zornige Seele. Kurt Pachl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kurt Pachl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742749475
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hier ist Terror«, schrie er.

      »Doch dieser Terror ist so riesengroß, so unbeschreiblich, so unfassbar, dass es den allermeisten Menschen schwerfällt, dies annähernd zu begreifen. Dieser Schaden wird keine lumpigen Millionen Dollar betragen. Allein im Golf von Mexiko wird auf Dauer gesehen ein finanzieller Schaden von fünfzig oder mehr Milliarden entstehen. Allein im Bereich der Fischerei und des Tourismus rechnen die Fachleute mit dem Verlust von mindestens 100 000 Arbeitsplätzen hier in dieser Region. Von einem unsäglichen menschlichen Leid ganz zu schweigen.«

      Er machte wieder eine kurze Pause.

      »Und das wird nicht das letzte Desaster in dieser Region sein. Da unten liegt viel zu viel von diesem teuren Saft. Sie werden immer tiefer bohren. Es wird immer gefährlicher für die Umwelt werden. Diese Konzerne, Politiker und dieser ganze Sumpf … das sind die wahren Terroristen … das sind Kriminelle und Verbrecher.«

      Er lachte bitter.

      „He Bodo. In ein paar Tagen treffen über hundert Menschen hier ein. Sie kommen nur, weil du sie darum gebeten hast. Sie wollen zu dir aufschauen. Sie wollen von dir wissen, was sie tun sollen. Du darfst sie nicht enttäuschen.

      »Ich gehe jede Wette ein, dass der Vorstandsvorsitzende von diesem Konzern zur Verantwortung gezogen wird und zurücktreten muss«, murmelte Bodo. »Allerdings wissen wir beide, dass dieses Schwein nicht in den Knast kommt. Man wird ihn mit Sicherheit auch nicht nach Little Guantanamo bringen. Mein lieber Craig: Das ist ein ideeller Schaden für unsere Gesellschaft! Das ist eine moralische und ethische Sauerei! Die haben doch keine Moral und keine Werte, keine Ethik und keine Rücksicht auf die Schöpfung.«

      Bodo wurde plötzlich still. Er blickte zum Fenster hinaus.

      Nach einer Weile sah Marco, dass dicke Tränen über Bodos Wangen rannen. Er war wie erstarrt. Noch nie hatte er Bodo so gesehen. Selbst in Little Guantanamo war er wie ein Fels in der Brandung; ein Fels, an den sich viele geklammert hatten. Und Jahre zuvor waren sie gemeinsam im Öl, im Dreck, im Schlamm, im Wind und in der Kälte gestanden. Auch dort war er der Fels gewesen. Viele Aktivisten suchten seine Nähe, um ein Wort des Trostes zu hören. Nur, um kurz seinen starken Arm auf ihren Schultern zu spüren, von ihm kurz gestreichelt zu werden. Nie hätte es sich Marco vorstellen können, dass dieser Hüne von Mann, sein Bodo, das Idol, das Ideal von hunderten Aktivisten - hätte weinen, große und dicke Tränen weinen können. Dieser Mann war sein Freund. Nein, er war mittlerweile mehr für ihn; viel mehr. Das traf auch auf Ole und viele andere Aktivisten zu. Für Ole war dieser Mann sogar sein Gott. Oh Gott, wenn Ole dies jetzt sehen würde …

      Marco saß wie angewurzelt. Er hatte das Gefühl, dass seine Beine und Arme plötzlich tonnenschwer wurden. Doch in diesen Minuten konnte und durfte er seinen Freund nicht allein lassen. Er raffte sich auf und ging zu ihm. Er nahm Bodos Arm, legte ihn über seine Schulter, und lehnte sich an dessen Brust.

      So standen sie viele Minuten.

      »Bevor wir aufgeben, nehmen wir so viele mit, wie es nur geht. Das sind wir uns und der Schöpfung schuldig«, sagte schließlich Marco. Er war selbst von seinen Worten und vor allem über die Art, wie er sie sagte, erschrocken.

      Der letzte Satz war für Bodo entscheidend gewesen. Langsam und gedankenverloren strich er nun über Marcos Haar.

      »Aber es sind so viele. Und es werden immer mehr, mein Freund. So viele Kugeln gibt es gar nicht, die wir bräuchten, um diese herrliche Schöpfung zu retten.«

      Marco begann Bodo hart zu schütteln.

      »He Bodo. In ein paar Tagen treffen über hundert Menschen hier ein. Sie kommen nur, weil du sie darum gebeten hast. Sie wollen zu dir aufschauen. Sie wollen von dir wissen, was sie tun sollen. Du darfst sie nicht enttäuschen. Zuhause können wir ja dann beraten, wie es künftig weitergehen soll.«

      Bodos Körper straffte sich urplötzlich. In seine wasserblauen Augen kehrten wieder Kraft und Glanz zurück. Mit seinen kräftigen Händen griff er nach Marcos Schultern.

      »Danke. Es tut gut, einen Freund wie dich zu haben.«

      Kapitel 12

      Der Kampf sollte bereits am darauffolgenden Tag in die nächste Runde gehen.

      Marco war ein wenig darüber verärgert, dass Bodo ihn bat, hier in den beiden Hotels die Stellung zu halten, wie er es nannte.

      Doch wenn der IT-Spezialist gewusst hätte, wie der Ausflug dieser Crew verlaufen würde, wäre er Gott dankbar dafür gewesen, sich hier in den Hotels zu langweilen.

      Unmittelbar nach dem Frühstück brach eine streitbare Crew mit Bradlys Yacht auf: Bradly, Bodo, Ole, Nuncio, Umberto, Paco, Tajo und Julio.

      Ihr Ziel war die kleine Stadt Venice im Mississippi-Delta. Sie wollten erkunden, wo im Delta sie am Sonntag oder spätestens am Montag Hilfe leisten konnten. Allen Berichten zur Folge würde dann die braune Brühe in das Delta vorgedrungen sein.

      Der Sturm sollte so stark werden, dass alle ausgebrachten Barrieren wie Spielzeuge weggeschleudert würden. Am Dienstag sollte es allerdings wieder windstiller werden.

      Als Marco sah, was Bradly und Ole in die Yacht schleppten, war er beruhigt und beunruhigt zugleich. Er kannte die Futterale von der Aktion in Labrador. Dieses Mal waren sie allerdings in Tarnfarben gehalten. Für ihn gab es keinen Zweifel: In einem dieser Futterale befand sich wieder eine todbringende M82.

      Bradly hatte, wie nicht anders zu erwarten war, von der Fahrt abgeraten.

      »In Venice wird die Hölle los sein«, hatte er gewarnt.

      Während der Fahrt waren die Männer schweigsam. Ole brauchte die drei Maschinenpistolen nicht erklären. Einen Schalldämpfer für die M82 konnte Bradly in der Kürze der Zeit nicht organisieren.

      An die restlichen Männer wurde je eine Pistole verteilt; Kaliber 22 lang, 15 Schuss im Magazin; leider auch ohne Schalldämpfer.

      Bradly hatte nicht übertrieben. Das sonst so verschlafene Städtchen Venice, verkehrstechnisch am äußersten Zipfel des Mississippi-Deltas gelegen, kochte und war in heller Aufruhr.

      Überall standen schimpfende Fischer und weinende Frauen. Zum Wochenende sollte für Louisiana der Notstand ausgerufen wer­den. Das schloss ein Fischereiverbot mit ein. Der US Fish- und Wildlife Service hatte mitgeteilt, dass 20 Naturschutzgebiete bedroht seien. Am Wochenende müsse man mit dem Schlimmsten rechnen.

      Der Mineralöl-Konzern hatte große Hinweisschilder mit der Aufschrift »Informations-Zentrum« aushängen lassen.

      Sie suchten händeringend nach Fischern mit Booten. Diese sollten dabei helfen, Ölbarrieren auszubringen. Dafür zahlte der Konzern bis zu 1 200 Dollar pro Tag. Gleichzeitig konnte man Ansprüche wegen Umsatzausfall geltend machen. Viele liefen mit einem Scheck aus diesen Büros. Das Wort »Teilvergleich« auf diesen Schecks las oder ver­stand niemand. Mittlerweile waren einige Fischer von weit draußen zurückge­kommen und in Krankenhäuser eingeliefert worden. Sie waren mit der Ölbrühe, vielleicht versetzt mit Corexit oder den Rückständen der Abfackel-Aktionen, in Berührung gekommen. Wer wusste das schon so genau?

      Viele Ein­wohner von Venice liefen nun mit großen Schildern durch die Straßen. »Sie töten unsere Zukunft«, war zu lesen.

      Bradly stapfte voraus und zwängte sich durch die wütende Menge. Bodo und die anderen Männer versuchten, den Anschluss zu halten.

      »Dort«, sagte der Mann aus Biloxi, und zeigte auf ein Haus, welches eher einer Baracke ähnelte.

      Über dem Eingang war ein Schild mit der Aufschrift Coast Guard angebracht; eine Außenstelle von Grand Isle, hatte Bradly zuvor berichtet. Ole wies mit fast nicht zu erkennenden Handbewegungen Julio und Tajo an, sich vor dem Eingang zu postieren. Sie wollten für einige Minuten nicht gestört werden.

      In der Baracke standen zwei Schreibtische. Hinter beiden Tischen saßen uni­formierte Beamte.

      »Hallo Henry«, begrüßte Bradly