Das Doppelkonzert. Arnulf Meyer-Piening. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Arnulf Meyer-Piening
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738010473
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Prinzip richtig sein, aber jetzt lässt du ihn keine Fehler machen. Das ist nicht gut für ihn.

      - Du weißt auch nicht, was du willst. Erst sagst du, ich sei zu weich und dann sagst du, ich würde ihn zu sehr gängeln. Also, was willst du nun eigentlich?

      - Ich will, dass du das Richtige tust: Ernenne deinen Sohn zu deinem Nachfolger und schenke ihm Vertrauen. Du kannst die Firma nicht länger allein führen. Das sollte dir langsam klar werden.

      - Mit leichtem Zittern erhob er sich und suchte Halt an der Lehne des Stuhls: Die Zeiten sind schlechter geworden, betonte er. Jetzt können wir uns keine Fehler mehr leisten. Wenn wir jetzt noch eine Reklamation bekommen, dann ist es aus, dann kann ich die Firma schließen. Wir haben keine Rücklagen mehr.

      - Sie war bleich geworden: Steht es wirklich so schlecht um die Firma? Nach außen macht doch alles einen sehr guten Eindruck. Das repräsentative Verwaltungsgebäude wurde erst vor ein paar Jahren mit viel Pomp und öffentlichen Reden renoviert. Du wirst dich noch an die vielen Gratulanten erinnern. Sie beglückwünschten dich zu deinem eindrucksvollen Erfolg und zu deiner unablässigen Tatkraft. Unser Bürgermeister betonte die große Bedeutung des Gebäudes und der Firma für das historische Stadtzentrum. Es sei das sichtbare Zeichen für ein gut geführtes Familienunternehmen.

      - Seine Hand umkrampfte die Lehne. Er zitterte am ganzen Leib. Die Erinnerung schien ihn zu überwältigen. Er suchte Halt: Das ist schon fast eine Ewigkeit her. Schwierige Zeiten liegen hinter uns. Jetzt steht es nicht gut um die Firma. Ich selbst weiß kaum noch Rat.

      - Fürsorglich führte sie ihn wieder zu seinem Sessel zurück: Vielleicht solltest du dir einen professionellen Berater suchen. Es gibt viele große Beratungsfirmen mit internationaler Erfahrung. Die kennen sich aus mit strategischer Reorganisation und Rationalisierung. Viele große Firmen nutzen ihr Know-how. Wir haben kürzlich beim Graf den Berater Konselmann kennengelernt. Er hat dir doch gefallen, wenn ich mich recht erinnere?

      - Er leerte seine Tasse Tee, die inzwischen kalt geworden war: Das stimmt schon, der Berater machte einen guten Eindruck auf mich, aber ich möchte jetzt nicht auf externe Berater zurückgreifen. Es wäre ein Eingeständnis meiner Schwäche. Ich war immer stark, brauchte keinen Rat von anderen. Ich wusste immer, was ich tun musste. Vater hat mir mit jungen Jahren die Firma anvertraut. Aus der kleinen chemisch-pharmazeutischen Firma habe ich eine Firma mit Weltgeltung gemacht. Ich war immer auf mich allein gestellt und habe mich auf mein Urteil verlassen. Ich brauchte keinen Rat von irgendjemandem. Damit bin ich gut gefahren.

      - Sie erhob sich: Möchtest du noch einen Tee?

      - Nein danke. Ich trinke lieber ein Glas Wein. Das erfrischt meinen Geist und beruhigt meine Nerven. Er ging zum Glasschrank, in dem er richtig temperiert seinen bevorzugten Wein aufzubewahren pflegte.

      - Sie schenkte sich den Tee aus der Meißener Porzellankanne ein: Du musst selber wissen, was für dich gut ist. Vergiss nicht, du bist nicht mehr der Jüngste. Der Wein ist nicht gut für deinen hohen Blutdruck. Auch schädigt er Niere und Leber. Du solltest vernünftig sein.

      - Unbeirrt nahm er einen Schluck von dem feurigen Wein, indem er das Glas mit beiden Händen hielt, damit er von dem köstlichen Rebensaft nichts verschüttete und ließ seine Gedanken zurückschweifen: Es waren damals andere Zeiten. Vater war ein genialer Forscher, besaß einige Patente, die ihm viel Geld einbrachten, die aber später ausliefen. Er setzte weiterhin auf Forschung und auf die Entwicklung neuer Medikamente. Aber das kostete viel Geld. Im Laufe der Jahre geriet die Firma in finanzielle Schwierigkeiten.

      - Ich erinnere mich noch lebhaft an die Zeit: Vater war verzweifelt. Er konnte kaum noch schlafen, dachte ständig über Auswege aus der schwierigen Situation nach. Er wollte den Niedergang seiner Firma nicht wahrhaben. Vor allem wollte er niemanden entlassen. Er betrachtete seine Mitarbeiter als Teil einer großen Familie.

      - Ich habe mich damals nach längerem internem Kampf gegen ihn durchgesetzt. Ich schlug ihm vor, auf der grünen Wiese eine Tochtergesellschaft mit neuen Produktionsanlagen zu gründen, die Generika produzierte. Das war unsere Rettung, denn mit dieser Firma verdienten wir wieder Geld. Wir mussten zwar die Verkaufspreise reduzieren, aber wir sparten die enormen Entwicklungskosten. Wir mussten nur die besten Produktionsanlagen haben. Die lieferte uns die Firma Pauli. Unsere Medikamente waren am Markt sehr erfolgreich, sie entsprachen den strengsten Vorschriften. Unsere Werbekampagne war ausgezeichnet. Wir trafen genau ins Schwarze, genau auf den Punkt. Die Kunden rissen sich förmlich um unsere Medikamente: Jeder fand bei uns das passende Mittel entweder gegen Kopfschmerzen, gegen Erkältung, gegen Muskelschmerzen oder was sonst noch so an allgegenwärtigen Wehwehchen zu bekämpfen war.

      - Das war eine ausgezeichnete Idee von dir. Voller Bewunderung nickte sie ihm zu als wenn sie sagen wollte: Macht’s noch einmal.

      - Ein leichtes Lächeln glitt über sein Gesicht, als er sich an die alten Zeiten erinnerte: Dann begann erneut der Aufstieg. Wir sahen unseren Vater wieder scherzen und lachen. Er kannte viele schnurrige Geschichten, die er aus seinem unerschöpflichen Vorrat von Anekdoten hervorholte. Das waren gute Zeiten. Es lief alles vor dem Wind. Wir stiegen zu den ersten Familien in unserem Lande auf, waren in der Stadt und im ganzen Land sehr angesehen.

      - Er richtete sich auf, als wolle er eine Rede halten: Kannst du dich noch an den Tag erinnern, als mich Vater zum Geschäftsführer dieser Gesellschaft ernannt hat?

      - Sie strahlte: Ja, ich erinnere mich genau an den Tag: Es war an Vaters 50en Geburtstag: Er hatte viele Freunde zu einer großen Feier in dieses Haus eingeladen. Alles was Rang und Namen hatte, war anwesend. In der Eingangshalle war eine große Tafel gedeckt. Onkel Otto saß neben dir und stupste dich gleich nach der Vorspeise an und flüsterte dir zu: Wolfgang, steh auf und halte eine Rede auf deinen Vater.

      - Er zog die Augenbrauen hoch als müsse er sich konzentrieren: Ich erinnere mich genau: Ich war irritiert und auf eine Rede nicht vorbereitet, aber ich erhob mich, knöpfte mein Jackett zu und klopfte an mein Glas. Mir zitterten die Hände, weil ich so aufgeregt war. Es war fast so wie jetzt. Und dann kam mir die rettende Idee: Ich streifte kurz die Firmengeschichte, die Vater kurz zuvor aufgeschrieben hatte. Ich hatte sie im Kopf. Du weißt, ich konnte damals gut auswendig lernen, zum Beispiel Gedichte, die wir zu Weihnachten unter dem Tannenbaum aufsagen mussten. Das trainierte das Gedächtnis. Diese Fähigkeit hat mich damals gerettet.

      - Aufmerksam blickte sie ihren Bruder an: Ich sehe dich noch vor mir stehen, als du mit deiner Rede begannst: Du warst ziemlich bleich, und ich hatte Angst, dass du den Faden verlieren würdest, aber du kamst gut durch, und zum Schluss brachtest du einen Toast auf unseren Vater aus: „Unser Vater lebe hoch, hoch, hoch, er lebe hoch!“ Alle Gäste fielen ein und sangen mehr schlecht als recht, aber voller Inbrunst. Es folgte ein begeisterter Applaus. Du warst der Star der Gesellschaft. Und alle Anwesenden fragten dich, wann du in die Firmenleitung eintreten würdest. Und du hast geantwortet: Sobald Vater das will. Ich bin bereit, das schwere Erbe zu übernehmen. Ich will versuchen, mich als sein würdiger Nachfolger zu erweisen.

      - Wolfgang hatte seiner Schwester aufmerksam zugehört als müsse er die Erinnerung von weither holen. Er blickte nachdenklich und traumverloren auf das Bild einer Produktionsfirma mit einigen rauchenden Schornsteinen, das neben dem Kamin hing. Er kämpfte gegen seine eigene Rührung: Tatsächlich fragte mich Vater ein paar Monate später, ob ich sein Teilhaber werden wollte, erinnerte er sich. Ich habe ja gesagt. Es war genau das, was ich wollte. Ich wollte das Erbe meiner Vorfahren antreten und das Werk erfolgreich weiter entwickeln. Ich wollte die Firma größer und weltweit bedeutend machen. Ich wollte Produkte auf den Markt bringen, die internationale Anerkennung brachten, die den Menschen bei ihrer Krankheit helfen könnten und die auch für die Menschen der Dritten Welt erschwinglich sein sollten.

      - Sie fügte hinzu: Du hast es geschafft, hast die Firma jahrelang erfolgreich geführt. Und das wirst du auch noch weitere Jahre tun müssen, wenn du dir nicht rechtzeitig einen Nachfolger aufbaust. Das wird nach den derzeitigen Umständen ziemlich bald geschehen müssen. Du weißt, genau daran scheitern viele Familienunternehmen.

      - Wolfgang erhob sich und blickte auf die Uhr: Ich werde das entscheiden, wenn es so weit ist, sagte er. Es war zehn nach zehn Uhr, die Zeit zu Bett zu gehen. Diese Form der Regelmäßigkeit war ihm zur