„Hallo Mama, ich melde mich noch mal.“
„Ist etwas passiert?“, klingt sie besorgt. „Fährst Du nicht längst durch die Luft?“
„Nein, es ist nichts passiert“, beruhigt er sie mit gesalbter Stimme. „Bloß eine Zwischenlandung in Frankfurt.“
Nach einem Klicken fragt sie: „Ich höre Dich nicht. Bist Du noch unter uns?“
Er bejaht es, ergänzt mit einer Spur Heiterkeit: „Passiert ist allerdings etwas auf dem Weg zum Flughafen. Ein Rabe vollführte auf der Frontscheibe des Taxis eine Bruchlandung.“
„Was ist mit Frau Raabe?“ platzt sie mit dumpfem Groll hervor. „Ist sie etwa Deine Reisebegleiterin? Hast du mich angeschwindelt?“
„Nein“, reagiert er gelassen. „Ich reise allein. Wie immer.“
„Nichts gegen diese Frau Raabe. Sie mag eine adrette Person sein“, wendet sie in hoher Tonlage ein. „Aber geschäftlich und privat verlangen eine strikte Trennung.“
„Natürlich Mama.“
„Deine Eltern vermitteln Dir eine Lehre.“
„Ja, Mama“, bekundet er trocken.
„Bestimmt krönt der Erfolg dieses Mal deine Glückssuche“, überkommt es sie fast überschwänglich.
„Mama“, beschwichtigt er. „Wie immer stille ich mein Fernweh. Nur diese Leidenschaft! Die im Übrigen Du mir einpflanzt. In meinen Kindertagen. Mit diesen wunderbaren Bildbänden.“
„Das mag richtig und klug sein“, setzt sie plötzlich zu einer Strafpredigt an. „Und jetzt sage ich es mit aller gebotener Klarheit. Nimm endlich deine Verantwortung wahr. In unser Haus gehört eine junge Frau. Vor meinem Ableben, damit Seelenruhe mich bettet.“
„Mama, bitte …“
„Martin von Klopp“, unterbricht sie ihn forsch, „mich drängt heiliger Ernst. Ich flechte in mein Testament eine Klausel ein. Glaub mir, Du trittst das Erbe nur an, wenn am Tage meines Todes eine junge Frau von Klopp unser Haus bereichert. Ansonsten erbst Du nur Deinen Pflichtteil. Der andere Brocken geht an meine Stiftung zur Ächtung von Tierversuchen.“
„Mama“, übt er sich in Geduld, „ich bin ein Beamter im hohen Besoldungsbereich. Du kannst mich enterben, aber nicht in die Fänge der Armut treiben.“
„Sei nicht so widerspenstig“, entrüstet sie sich mild.
„Ach Mama“, lenkt er ein, „ich habe doch Dich.“
„Sei nicht kindisch!“
Von Klopp spürt ein warmes Gefühl aufsteigen, lebt es aus, sagt mit Herzklopfen: „Behalte ich dieses Ansinnen im Blick, dann einzig aus dem Grund, dass damit der innige Wunsch meiner Mama in Erfüllung geht. Insofern gilt das Versprechen, ich besorge Dir eine Frau. Zumindest mühe ich mich redlich.“
„Kindskopf du“, kehrt sie ihre versöhnliche Seite hervor, ermahnt ihn im Handumdrehen vorwurfsgeladen: „Denk auch bitte daran, alles verläuft längst in bester Ordnung, wenn …“
In von Klopp brechen Widerspruch und Argwohn aus: „Du bist ungerecht. Du kennst die Gründe. Zumindest den Hauptgrund.“
„Überdies nahm mir die Trennung meine Enkeltochter.“
„Am besten, ich mache Frau Raabe Avancen“, steigert er seine Angriffslust. „Sie ist Siebenunddreißig. Zum Kinderkriegen kein schlechtes Alter.“
„Gebäre sie ein Rudel Kinder, aber nicht von Dir“, übertrifft sie seine Schlagfertigkeit um Längen.
„Ich…“
„Du weißt, auch eine Schwarze erhält meinen Segen“, unterbreitet sie geschwind ein neuerliches Friedensangebot. „Dein Urgroßvater…“
„Ich fliege nicht nach Afrika, sondern nach Asien“, fällt er ihr ins Wort. „In Kambodscha schimmern die Menschen höchstens leicht angebräunt. Wie nach einem Besuch aus dem Sonnenstudio.“
„Beweise Deinen Realitätssinn“, ermahnt sie ihn fürsorglich. „Den Zenit Deines Lebens, Du hast ihn überschritten. Alles Wählerische kennt mittlerweile Grenzen. Ich hoffe, mein Liebling, Du bist nicht begriffsstutzig. Ich jedenfalls glaube fest daran, dass diese Reise Dein Leben grundlegend ändert.“
„Ja, Mama“, sagt er gereizt. „Jetzt sage ich Lebewohl.“
„Mein lieber Junge, gestatte mir schlussendlich noch ein Kompliment. Mit dem Halstuch und diesem khakifarbenen Aufzug siehst Du echt fesch aus. Zum Anbeißen. Wie ein reicher Farmer in den Kolonien, der auf Brautschau geht. Allein Pfeife und Hut fehlen.“
„Ich lege jetzt auf, Mama, der Flieger ist zum Einsteigen bereit“, flunkert er mit rosigen Wangen, legt auf.
Der Zwischenaufenthalt auf dem Flughafen Frankfurt/Main weitet sich zur Hängepartie. Wachsendem Unmut entflieht er durch Menschenbeobachtungen. Er nimmt seinen Spähposten stehend ein, mustert eine alleinreisende Frau, leugnet seinen Gefühlsschub.
Während des Fluges flimmern auf seinem persönlichen Monitor unentwegt die aktuellen Flugdaten, zuweilen überschreitet das Flugzeug die Grenze von eintausend Stundenkilometern, mit dem Aufsetzen schmilzt die einstündige Verspätung im Abflug auf eine Viertelstunde in der Ankunft. Eine Abfolge langer Gänge über mehrere Etagen mündet in einen riesigen Raum, Neuankömmlingen bürdet er die Eigenart des Unübersichtlichen auf. Ein unauffälliges Schild Transferservice weist auf die Angebote eines halben Dutzends uniformierter Angestellter hin, vor den Schaltern krümmen Absperrbänder im Zickzack eine Menschenschlange.
Bis zu von Klopps Direktkontakt mit einer Frau hinter Glas verstreicht eine geschlagene Viertelstunde, er erhält keine Bordkarte und keine Auskünfte für den Weiterflug. In einem schmalen Gang erahnt er den Weg zum richtigen Gate, ein Mann in Uniform stellt sich quer, von Klopp orientiert sich zur Raummitte. Hundert Meter weiter blockiert der Einreiseschalter die Suche. Eine Frau vor ihm füllt ein Formular aus, er erkennt in ihr seine Frankfurter Beobachtung, stellt sich zu ihr.
„Wir müssen den Transitbereich verlassen und uns ganz normal einchecken“, sagt sie zu ihm.
Sie schiebt ihm ihren Montblant zu, akribisch füllt er sein Formular aus. Die Situation überfordert sie, ihr Lächeln deutet es an. Der Passuniformierte nahe dem Pensionsalter lichtet ihr Dokument ab, prüft misstrauisch die Übereinstimmung des Fotos mit der Person vor ihm, blättert seelenruhig nach der letzten freien Seite für den Einreisestempel. Auch die eigene Abfertigung empfindet von Klopp als halbe Ewigkeit.
„Kommen Sie“, ruft er plötzlich ruhelos, greift den Arm seiner Reisebekanntschaft. „Wir schaffen es.“
Nach einer Rundumdrehung hetzen sie die Rolltreppe hinab ins Erdgeschoss, es mangelt eklatant an sichtbaren Informationen, Fluggästen und Bediensteten.
„Der Flughafen von Schanghai ist ein Geisterhaus“, fasst er seine Eindrücke zusammen.
„Ich nerve mal“, sagt sie, läuft einem jungen Mann entgegen.
An der Brusttasche seines weißen Hemdes zwickt ein Namensschild, seine Arme wirken überlang. Von Klopp stellt sich hinzu, das Nuschelenglisch des Mannes versteht er nur ansatzweise.
„Was hat er gesagt?“
„Closed“, sagt sie achselzuckend. „Good bye Bangkok. Wenigstens kriegen wir Tickets für die Mittagsmaschine.“
„Was ist mit unserem Gepäck?“
„Darum kümmert sich der Boy.“
Ihr Kopf nickt in die Richtung des Angestellten, wenige Schritte entfernt drückt er auf seinem Smartphone eine Nummer nach der anderen.
„Sehen wir die Angelegenheit positiv“, erfasst Heiterkeit sein