»Warum bist du nicht in der Firma?«, fragte Pauly. »Die werden dich rauswerfen, wenn du – «
»Ach was«, unterbrach sie ihn. »Ich weiß schon, was ich tue.« Sie nahm nochmals einen Anlauf und sagte: »Rozeck hat einen Verlag gefunden, der das Manuskript veröffentlichen will.«
»Tatsächlich?« Pauly zeigte keine Spur von Begeisterung. »Seit wann weißt du das?«, fragte er sachlich.
»Rozeck hat mich vorhin angerufen«, erklärte Kim. »Da musste ich einfach herkommen. Keine Minute habe ich es in der Firma mehr ausgehalten.« Und laut sagte sie nochmals: »Es hat wirklich funktioniert, Nino!«
»Nimm dich bitte zusammen!«, bat Pauly, dem es nicht passte, dass Frau Kuval möglicherweise zuhören könnte. »Du musst das nicht so laut herumerzählen.«
»Warum nicht?«, ereiferte sich Kim. »Sie sollen hier nur wissen, dass demnächst ein Buch von dir erscheinen wird.«
Pauly war es peinlich. Er drehte den Kopf, weil von unten jemand die Treppe hochkam. »Du, es kommt jemand«, sagte er. »Ich muss sowieso weitermachen. Aber wenn du willst, kannst du im Café auf der anderen Straßenseite auf mich warten.
Ein breitschultriger Mann in einem grauen Trainingsanzug kam die Treppe hoch. Pauly wartete, bis er draußen war, und sagte dann leise: »Wir können das alles später besprechen, ganz in Ruhe.«
»Nino!« Kim schaute ihn an. »Freust du dich denn tatsächlich nicht?«
»Was soll der Spaß denn bringen?«, wollte er wissen.
»Rozeck hat etwas von einem Vorschuss erwähnt«, antwortete Kim, obwohl sie das auch nicht genau verstanden hatte.
»Wie viel?«
»Zehntausend«, sagte sie einfach mal,
Ein Grinsen breitete sich in Paulys Gesicht aus. »Zehntausend!«, wiederholte er fast andächtig. »Du bist ja nicht nur ein kluges Mädchen – sondern sogar mein kleines Genie!
Kapitel 6 (Das Buch)
Zwei Jahre später erschien das Buch. Der Verlag hatte bei Vertragsabschluss zweitausend Euro Vorschuss gezahlt. Weiter besagte die Vereinbarung, dass der Autor für jedes verkaufte Exemplar zehn Prozent vom Ladenpreis erhalten werde, außerdem einen höheren Anteil an nebenrechtlichen Auswertungen, zum Beispiel bei einer Verfilmung. Zwischen Rozeck und Pauly existierte ein zusätzlicher Vertrag, ohne dass der Agent den Autor persönlich kennen gelernt hatte. Kim hatte das geschickt vermittelt. Diese Vereinbarung lief fünf Jahre und bestimmte, dass alles, was Pauly in dieser Zeit schreiben werde, über die Agentur Rozeck an Verlage verkauft werden musste. Die Agentur erhielt dafür zwanzig Prozent von den Einnahmen des Autors.
Es war eine lange Wartezeit gewesen. Vor allem Kim hatte es kaum abwarten können, das gedruckte Buch in den Händen zu halten. Pauly arbeitete noch immer im Fitness-Center bei Leo, und Kim hatte ihre Stelle ebenfalls beibehalten.
Kim und Pauly hatten sich vorgenommen, im Bekanntenkreis bis zum Tag der Veröffentlichung über das Buch zu schweigen. Besonders Kim war das schwergefallen, denn wenn manchmal gewisse Leute abschätzig über Pauly sprachen, hätte sie es ihnen am liebsten direkt ins Gesicht gesagt. Bei Pauly verhielt sich das anders: Er schwieg sich schon deshalb darüber aus, weil er davon überzeugt war, dass ihm sowieso niemand glauben würde.
Der Verlag hatte nochmals eine Änderung des Titels gewünscht. Das Buch hieß nun DER V-MANN.
Pauly hatte den angeblich vom ihm verfassten Thriller noch immer nicht gelesen. »Wozu auch?«, meinte er dazu. »Mein Name steht doch auf dem Umschlag.«
»Nino!« Kim schaute in der Küche nach, vernahm dann das soeben einsetzende Geräusch der Dusche aus dem Bad. Eilig ging sie hin, schob die Tür auf. »Nino, schau mal her!«, sagte sie.
Er schien sie nicht zu hören. Der Plastikvorhang vor der Dusche war zugezogen. Sie konnte nur den Schatten von Paulys nacktem Körper erkennen.
»Nino!« Kim zog der Vorhang zur Seite.
Pauly seifte sich gerade ein.
»Was ist los?«, fragte er.
»Das musst du sehen«, sagte Kim.
Pauly spülte sich den Schaum herunter und drehte die Dusche ab. Dann schnippte er mit den Fingern, was bedeutete, dass Kim ihm das Handtuch reichen sollte.
»Hier, zwei Zeitungsausschnitte«, sagte seine Freundin und hielt sie Pauly hin. »Die haben über das Buch geschrieben.«
Pauly griff mit seinen nassen Fingern nach den Ausschnitten und fing zu lesen an. »Tatsächlich«, sagte er erstaunt. »Die schreiben über das Buch.«
»Warum nicht?« Kim warf ihm einen kritischen Blick zu. »Und zudem ist das dein Buch – du bist der Autor. Vergiss das also bitte nicht!« Sie nahm ihm die Ausschnitte wieder aus der Hand. »Ganz nass hast du sie gemacht«, bemerkte sie, las ihm dann aber stolz vor: »Dieser Thriller knistert vor Spannung und ist ein ausgereiftes Werk aus raffinierter Action, die ihre Brisanz aus einem sicher nicht unrealen Hintergrund schöpft. Nino de Pauly ist ein Autor, der mit viel Sachkenntnis über Dinge schreibt, die sonst nur im Dunkeln anzutreffen sind.«
Pauly hörte aufmerksam zu.
»Oder hier«, fuhr Kim weiter. »Der V-Mann ist ein Thriller, der pausenlos seine fieberhafte Spannung durchhält. Das Buch hat in diesem Genre internationales Format. Nino de Pauly, diesen Namen wird man sich merken müssen.«
Pauly grinste. »Ganz schöne Lobreden, was?«, sagte er. »Warum haben wir eigentlich noch kein Buch erhalten?«, fragte er dann.
»Rozeck hat es mir für diese Tage versprochen«, antwortete Kim. »Ich kann mich aber auch direkt an den Verlag wenden.«
»Ob man das Buch schon im Laden kaufen kann?« Pauly trocknete sich ab.
»Wir werden ihnen zeigen, wer wir sind!«, garantierte Kim.
»Nur schade, dass kein Foto von mir auf dem Buchumschlag abgebildet ist«, sagte Pauly.
»Du weißt ja, wie du dich zu benehmen hast.« Kims Stimme klang nun sehr ernst. »Wir haben das gut durchgesprochen, Nino. Ist das klar?«
»Das überlasse ich sowieso alles dir, mein kleines Genie. Wenn man ein so kluges Mädchen wie dich hat, braucht man das nicht selber zu tun.«
»Ja, es ist gut, wenn du dich zurückhältst.« Sie nickte zufrieden.
»Stell dir vor, dieses Buch – «
»Dein Buch«, fiel ihm Kim ins Wort. »Es handelt sich dabei um dein Buch, das du geschrieben hast.«
»Ja, mein Buch«, betonte Pauly. »Also, stell dir vor, mein Buch wird ein Erfolg!«
»Rozeck meint, dass das durchaus möglich sein könnte.«
»Warum willst du eigentlich nicht, dass er mich kennenlernt?«, fragte Pauly.
»Warten wir erst mal ab, wie es mit dem Buch läuft«, sagte Kim ausweichend. »Wir sollten uns jetzt besser Gedanken darüber machen, wie unsere Party ablaufen soll.«
»Was für eine Party?«
»Eine Party zur Veröffentlichung deines Buches«, verkündete Kim. »Eingeladen sind alle unsere Freunde – und natürlich auch einige Feinde.«
Pauly lachte übers ganze Gesicht, so sehr freute ihn dieser Vorschlag.
Die Party fand am darauf folgenden Samstagabend statt. Kim hatte einige Exemplare des Buches DER V-MANN durch Rozeck erhalten. Von den Gästen kannte bisher niemand den Grund der Einladung.
Laute Musik lief, einige Leute tanzten in der Mitte des Wohnzimmers, es gab Snacks und eine große Auswahl