Kristallblut. Patricia Strunk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Patricia Strunk
Издательство: Bookwire
Серия: Inagi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738047608
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tat ein Übriges, ihn zu besänftigen. Anders als Mebilor schien er sich an der mangelnden Abwechslung im Speiseplan nicht zu stören.

      Während des Schlagabtausches zwischen Mebilor und dem Bashohon hatte Ishira Kenjin entdeckt. Er saß nicht weit entfernt auf dem nackten Boden, die gefesselten Hände auf die Knie gelegt. Neben ihm stand ein Kiresh Wache. Sie zögerte einen Moment, bevor sie sich ein Herz fasste. „Darf ich meinem Bruder etwas zu essen bringen, Deiro?“ bat sie den Shohon mit einer demütigen Verbeugung.

      Beruk wollte erneut etwas einwenden, doch ein Blick Helons ließ ihn schweigen. „Du hast meine Erlaubnis.“

      „Ich danke Euch.“ Ishira stand auf und trug die Schale, die Mebilor ihr reichte, zu Kenjin hinüber.

      Ihr Bruder blickte erst auf, als sie vor ihm in die Hocke ging. „Nira!“

      Sie strich ihm über die Wange. „Wie geht’s dir, Ken?“ Es war das erste Mal, dass sie mit ihm sprechen konnte.

      „Gut. Gut“, wiederholte er, als müsste er sich selbst davon überzeugen.

      „Hast du Hunger? Ich habe dir Eintopf gebracht.“

      Kenjins Augen leuchteten auf. „Ich hab‘ Hunger wie ein Erubuko.“

      „Der würde am liebsten dich fressen“, murmelte Ishira, während sie ihm den Löffel reichte.

      Ihr Bruder sah sie verständnislos an. „Was?“

      Sie nickte in Richtung des Feuers. „Den Bashohon, Beruk, nennen sie ‚Erubuko‘. Entweder wegen seiner Statur oder weil er genauso leicht reizbar ist wie sein Namensvetter. Seinetwegen hockst du hier. Der Shohon wäre vielleicht geneigt, dir ein wenig mehr Freiheit zu gewähren, aber offenbar hört er in dieser Sache auf seinen Stellvertreter.“

      „Verstehe.“ Kenjin linste zu den Befehlshabern hinüber, während er mit seinen zusammengebundenen Händen ungeschickt etwas Eintopf aus der Schale löffelte, die Ishira ihm hinhielt. „Was ich nicht verstehe ist, was du für die Gohari tun sollst, Nira“, sagte er mit vollem Mund. „Was hat dieser Mann im Zeltlager damit gemeint, dass du die Gohari vor den Amanori warnen sollst?“

      Ishira seufzte. „Genau das, was er gesagt hat. Ich kann die Gegenwart der Echsen spüren. Sie besitzen eine Art Aura aus Energie. So ähnlich wie die Kristalladern.“ Kenjins Mund klappte auf, aber kein Ton verließ seine Lippen. „Mebilor – der ältere Heiler dort drüben, der keinen kahlrasierten Schädel hat; ich hab‘ dir und Hiro von ihm erzählt, erinnerst du dich? – glaubt, das käme daher, weil die Amanori die Energie irgendwie in sich aufnehmen. Aus ihr beziehen sie wahrscheinlich ihre Fähigkeit, Blitze zu produzieren.“

      Kenjin sah sie an, als hätte sie in einer fremden Sprache geredet. „Aha“, war alles, was er herausbrachte. Still löffelte er seine Suppe. Auf einmal ließ er den Löffel sinken. Der Blick seiner schwarzen Augen wurde eindringlich. „Du darfst ihnen nicht helfen, Nira. Es ist mir egal, was sie mit mir machen, aber hilf den Gohari nicht dabei, auch noch den Rest unserer Heimat zu erobern. Ich will nicht, dass du meinetwegen unser Volk verrätst.“

      Ishira lächelte traurig. „Ich könnte niemals etwas tun, das dich in Gefahr bringt, das weißt du doch. Aber wahrscheinlich wird mein Zutun sowieso nicht viel ändern.“ Sich das einzureden, war am einfachsten und würde es hoffentlich auch für Kenjin leichter machen.

      „Bei den Feuern Kaddors, gebt Euch einen Ruck, Shohon, und lasst dem Jungen wenigstens zum Essen die Fesseln abnehmen!“ drang in diesem Moment Mebilors Stimme zu ihnen und hinderte Kenjin daran, etwas zu erwidern. „Die beiden werden kaum Hand in Hand aus dem Lager laufen, während ihnen die gesamte Armee dabei zusieht.“

      „Seid Ihr wirklich so naiv, Mebilor?“ schnarrte Beruk an Stelle des Shohon. „Erst nehmen wir dem Jungen die Fesseln ab, dann lassen wir ihn frei im Lager herumlaufen und bei der nächstbesten Gelegenheit macht sich seine Schwester mit ihm auf und davon. Ich sage, wir können gar nicht vorsichtig genug sein. Wir wären dumm, unseren einzigen Trumpf zu verspielen – falls diese Sklavin wirklich zu dem in der Lage ist, weshalb wir sie mitgenommen haben. Bewiesen hat sie es bisher nicht.“

      „Ihr solltet dankbar sein, dass sich die Drachen noch nicht gezeigt haben“, meldete sich eine leicht rauchige Stimme zu Wort.

      Ishira wandte sich um. Kiresh Yaren war zurückgekehrt.

      „Wie weit sind die Raikari gekommen?“ erkundigte sich Helon.

      „Sie haben auf dieser Seite des Flusses ein halbes Dutzend Bäume gefällt und angefangen, sie zu entasten. Den Rest erledigen wir morgen bei Anbruch des Tages.“

      „Sehr gut“, sagte der Shohon zufrieden. Er machte eine einladende Geste. „Setzt Euch zu uns. Eure Schutzbefohlene wird später für uns musizieren.“

      Kiresh Yaren schoss Mebilor einen undefinierbaren Blick zu. Der Heiler hob zur Antwort nur vielsagend die Brauen. Mit ergeben wirkender Miene nahm der Kiresh neben ihm Platz. „Übrigens teile ich Telan Mebilors Ansicht, dass es keinen Schaden anrichtet, dem Bruder meiner Schutzbefohlenen für eine Weile die Fesseln abzunehmen“, sagte er beiläufig, während er eine Schale mit Eintopf entgegennahm. „Das würde ihr Spiel sicherlich beflügeln.“

      Also hatte Mebilor es nicht nur so dahingesagt, dass auch ihr Begleiter versuchte, Kenjin zu helfen. In seinem Fall fand Ishira es umso erstaunlicher. Immerhin war er dafür verantwortlich, dass sie und ihr Bruder überhaupt hier waren. Hätte er den Marenash nicht von ihrer Fähigkeit und ihren Visionen unterrichtet, wäre dieser niemals auf die Idee gekommen, sie auf diesen Feldzug mitzuschicken. Plagte den Kiresh deswegen etwa das schlechte Gewissen?

      Ishira fiel es schwer, ihren Begleiter einzuschätzen. Hin und wieder ließ er sich ihr gegenüber zu einer freundlichen Geste hinreißen, nur war sie sich nie schlüssig, was ihn dazu antrieb. Er war jemand, der für das einstand, woran er glaubte. Davon abgesehen war er alles andere als ein einfacher Charakter. Ihn als in sich gekehrt zu beschreiben, wäre geschmeichelt gewesen. Er war ungesellig bis an die Grenze zur Unhöflichkeit und ihr gegenüber die meiste Zeit so kurzangebunden, wie man es von einem Angehörigen des herrschenden Volkes erwarten konnte. Doch ein Gutteil seiner Distanziertheit war auf den tragischen Vorfall in Hakkon zurückzuführen, bei dem Rondars Kinder den Tod gefunden hatten, und an dem er sich selbst die Schuld gab. Wenn er seinen Schutzschild ausnahmsweise sinken ließ, konnte er unerwartet weich sein. Ishira ertappte sich dabei, dass sie gern glauben wollte, dass er Kenjin aus Anteilnahme half und nicht aus Berechnung.

      Der Shohon lachte. „Ich bewundere Eure Hartnäckigkeit. Also gut, soll der Junge ohne Fesseln essen.“

      Auf einen Wink trat Kenjins Bewacher einen Schritt näher, beugte sich herab und band die Fesseln los. Ishira wagte ihr Glück kaum zu fassen. Doch das Lächeln, das sich auf ihrem Gesicht auszubreiten begann, als die Lederstreifen zu Boden fielen, erstarb umgehend, als sie die roten Striemen sah, die die Fesseln hinterlassen hatten. Abwesend rieb ihr Bruder seine Handgelenke. „Warum setzt dein Kettenhund sich für uns ein?“ fragte er misstrauisch.

      Sie zuckte mit den Schultern. Instinktiv wusste sie, dass es Kenjin nicht gefallen würde, wenn sie ihrem Begleiter gute Absichten unterstellte. „Das weiß ich nicht, aber ich bin froh, dass wir mit ihm und Telan Mebilor überhaupt Fürsprecher haben.“

      Still aßen sie ihren Eintopf, dessen Geschmack diesmal durch die Zugabe frischer Wildkräuter, die die Köche unterwegs gefunden haben mussten, abgewandelt wurde.

      „He, Mädchen!“ rief der Bashohon zu ihnen herüber. „Komm wieder her und unterhalte uns!“

      Ishiras Mund verzog sich bitter. Als ob er ihre Musik hören wollte! Er versuchte doch lediglich, jede weitere Unterhaltung zwischen ihr und Kenjin zu unterbinden. Widerstrebend richtete sie sich auf – und plötzlich wusste sie, was sie tun konnte. Sie umschloss die Hände ihres Bruders mit ihren. „Ich werde mich ein wenig dankbar erweisen.“

      Kenjins Gesicht ließ deutlich seinen Widerwillen erkennen, dass seine Schwester sich ihm zuliebe bei den Gohari anbiederte, aber bei ihrem Tonfall horchte er auf. „Was hast du vor?“