Religion in den Zeiten des Krieges
Die konkrete Gestalt der Religionen steht in einem Wechselverhältnis zu den gesellschaftlichen Verhältnissen. Das Volk sucht nach einem solchen Opium und diese Kompensation von Leid oder Unterdrückung ist sicherlich ein Teil von Religion. Es lässt sich jedoch auch anders fragen. Wenn Religion nicht als etwas Statisches betrachtet wird, sondern als etwas, was sich durch geschichtliche oder gesellschaftliche Verhältnisse verändert und dies nicht nur in seinen Erscheinungsformen, sondern auch in seinem Wesen, dann dürften die Erfahrungen eines Vernichtungskrieges und des Holocausts im Menschen etwas auslösen, was nicht mehr mit der Theodizeefrage zu diskutieren ist. Die Frage nach Gott, der so etwas zulässt, ist nicht mehr die Frage im 21. Jahrhundert. Der Mensch hat die Maschinerie in Gang gesetzt und die Frage ist nun nach dem Menschen, der zu solchen bewusst kalkulierten Massenvernichtungen in der Lage ist.
Die Leere
Insbesondere Schriftsteller und Künstler haben eingefangen, was diese Veränderungen des Krieges im Menschen bewirkt haben. Es wurden keine Schlachten mehr gemalt, die wie ein Ritterspiel aussehen mögen. Einzelne Menschen werden mit leeren Gesichtern dargestellt und darin spiegelt sich die Unfähigkeit, noch Fragen zu stellen. Schriftsteller halten verkrampft die Illusion aufrecht, dass es ja doch nicht so ist, wie sie es tatsächlich mitbekommen. Und auch ein Mann wie Sigmund Freud schaut der Wahrheit nicht ins Gesicht und verlässt erst 1938 Wien, um sich dann in London niederzulassen. Die Realität ist unerträglich geworden, was Heinrich Mann folgendermaßen formuliert: „Ich glaube nicht, dass der Sieg irgendeiner Sache noch der Rede wert ist, wo wir Menschen untergehen.“ Kriegspsychiater bekämpfen die Realität, sie diagnostizieren bei den traumatisierten Soldaten Simulation und Willensschwäche. Nach dem Krieg kommt es zu einer Dekonstruktion des Menschen, Michel Foucault erklärt den Mensch als beendet. Das Konkrete ist eine Erscheinung von Entwicklungen und Deutungen, doch die Erfahrungen in den Kriegen machen das Konkrete zu einer absurden Leere. Die Realität ist nicht erstrebenswert, da sie den Menschen gegen sich selbst kehrt und damit Ort der Nichtbestimmung des Menschen wird.
Illusion als Ermöglichung
Die Realität kann nicht mehr der Möglichkeitsrahmen von gewollter Erfahrung sein und auch Religion verliert den Glauben an die Realität. Gotteserfahrung kann nicht mehr in dieser Realität gemacht werden, denn es wäre eine contradictio in adiecto, ein Widerspruch, der schon da ist und verhindert, dass es zu einer Lösung kommen kann. Jean Baudrillard dagegen behauptete noch: „Der Glaube an die Realität gehört zu den elementaren Formen des religiösen Lebens.“ Diese Form der Religiosität ist mit Auschwitz beendet. Wer jetzt noch an die Realität glaubt, kann nur als ein zynischer Misanthrop gelten. Die Wirklichkeit ist jenseits dessen, was wir sehen und erleben können, im Krieg wurden nicht nur Städte vollständig zerstört, sondern auch die Bilder, die sich Menschen von der Welt und den Menschen gemacht hatten. Die wiederaufgebauten Städte sind nicht die Städte, die sie einst waren und die Erklärungen zu Auschwitz und den anderen Gräueln sind nicht mehr das Bild von sich streitenden Mächten. Selbst mit Gott und Teufel lässt sich die Wirklichkeit nicht erklären. Deutungen treffen ins Leere und es stellt sich die Frage, ob J. B. Metz mit seiner Erwiderung auf Th. W. Adorno das Ausmaß richtig erfasst hat. „Beten trotz Auschwitz“ und die Forderung einer anderen Theologie nach Auschwitz verbleiben noch im Glauben an eine Realität, die durch eine „gnadenlos“ gestellte und verschärfte Theodizeefrage korrigiert werden soll. Die Antwort auf die Provokation Freuds von der Religion als Illusion steht vor der Theodizeefrage, also vor der Frage: Wie kann man Gott angesichts des Leids noch rechtfertigen? Theologie kann sich nach Auschwitz nicht mehr auf die Realität beziehen, sie muss die Illusion in den Fokus stellen und verstehen, dass der Glaube an die Realität gewissermaßen als Religion von den Naturwissenschaften und der Ökonomie übernommen wurde. Die Illusion kann von der Realität nicht eingeholt werden, sie ist kein Gegenmodell zur Realität, sondern eine mit Sinn gefühlte Sehnsucht, die völlig realitätsfern ist. Und Religion ist das Wissen darum, dass es eine Illusion ist. Hier gibt es keine Theodizeefrage, denn die stellt sich nur dort, wo eine Realität angenommen wird.
Die Spur des Schönen
Ist etwas schön, weil jemand entzückt ist? Gibt es nachvollziehbare Kriterien für das Schöne? Warum sind sich bei manchen Kunstwerken Menschen über verschiedene Zeitepochen und Kulturen hinweg einig in ihrem Urteil über ihre Schönheit? Die Sache mit dem Schönen oder der Schönheit ist nicht ganz so einfach. Dem Problem einer Bestimmung zu entgehen, indem es als Geschmackssache definiert wird, wäre jedoch allzu einfach.
Der Blick auf die Kunst, die im religiösen Raum geschaffen wurde, könnte ein Hinweis darauf sein, was als schön gelten, bzw. wie man Schönheit verstehen kann. Sakralkunst, die Darstellung religiöser Themen und Inhalte weist zunächst einmal darauf hin, dass sehr viel Zeit und Geld investiert wurde für einen Zweck, der keine offensichtliche Rendite bringt. Hierin scheint ein gewisser Sinn zu liegen, dass man für etwas investiert, was als solches nicht von Nutzen ist. Die horrenden Preise, die manche Kunstwerke erzielen, sind auch wohl dadurch zu erklären, dass es keinen Bezug zu einem Zweck gibt. Kunst ist natürlich auch eine Handelsware und Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis.
Dass Kunst teuer sein kann, ist noch kein Kriterium für das Schöne. Doch auf der anderen Seite scheinen Menschen bereit zu sein, für etwas sehr viel Geld auszugeben, weil sie es für schön halten. Es scheint demnach ein wesentliches Kriterium des Schönen zu sein, dass sich in ihm etwas zeigt, was sich der Sprache entzieht, es lässt sich lediglich in Annäherungen beschreiben, intuitiv jedoch besteht eine Gewissheit für das Schöne. Es entzieht sich einer normalen Realität, es Transzendenz zu nennen, wäre jedoch auch nicht ganz richtig, denn ein Kunstwerk ist ja real. Das Schöne ist dabei meist etwas von Menschen Geschaffenes. Zwar kann eine Landschaft schön sein, doch löst eine solche Naturschönheit andere Assoziationen aus. Bei einem Kunstwerk denkt man mit, dass ein Mensch dieses Werk geschaffen hat und fragt sich, wie dieser Mensch das schaffen konnte.
Ein Künstler beherrscht zunächst einmal sein Handwerk, er ist besser als andere, die es amateurhaft versuchen. Auf der einen Seite ist es Erfahrung und Kunstfertigkeit, auf der anderen Seite gehen wir von einer besonderen Begabung des Künstlers aus. Doch Begabung und Kunstfertigkeit reichen noch nicht aus, um Schönheit denken zu können. Es kommt etwas Drittes hinzu und das ist unberechenbar. Es entzieht sich der genaueren Definition und Begrifflichkeit. Dennoch sind wir davon überzeugt, dass es ein weiteres Element gibt. Eingebung nennen manche dieses Dritte. Doch was ist eine Eingebung? Woher kommt eine solche Eingebung?
Nun kann man sich fragen, ob gesellschaftliche Verhältnisse einen Einfluss auf die Empfindung für das Schöne haben. Gab es vielleicht Epochen in der Kulturgeschichte, die das Schöne in besonderer Weise verehrten und entstehen ließen? Und hat die Entwicklung der Technik einen Einfluss auf die Herstellung des Schönen. Andy Warhol steht vielleicht für die massenhafte Produktion des Schönen und möglicherweise ist er gleichzeitig der Protagonist für den Untergang des Schönen. Denn irgendwie ist etwas Schönes immer auch singulär, es hebt sich heraus.
Kapitalismus als entwurzelte Religion
Banken,