Taschengeld. Frank Habbe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Frank Habbe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847608882
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dem Koffer gegolten, der noch immer sicher neben ihm gelegen hatte. Dann hatte er auf seinem Handy die eingegangenen Nachrichten gecheckt. Fünf Anrufe - allesamt von Andy. Als er allerdings zurückrief, war die Leitung tot gewesen. Bestimmt schlief er noch.

      Nachdem er aufgestanden war, hatte Malik eilig geduscht, die Kleidung vom Vortag angezogen und die Wohnung verlassen. Er war in ein kleines, schräg gegenüber liegendes Café gegangen, hatte doppelten Espresso und einen Bagel bestellt. Mit beidem hatte er sich an einen der hinteren Tische gesetzt. Von hier aus hatte er Eingang und Straße im Blick, ohne dabei selbst von draußen gesehen zu werden. Es grenzte an Paranoia, aber er blieb lieber vorsichtig. Den Koffer hatte er zwischen seinen Beinen auf den Boden gestellt. Während er einen Schluck des heißen Kaffees nahm, hatte er nachgedacht. An die dreihunderttausend Euro, handlich verpackt - direkt vor ihm. Und welche Konsequenzen hatte er zu befürchten? Sicher, aus Berlin würde er verschwinden müssen War das ein Problem? Malik war nicht viel eingefallen, was dagegen sprach.

      Seine Eltern? Sie berührten ihn nicht weiter. Als Produkt einer verkorksten Beziehung war sein Stand in der Familie von Anfang an nicht der Beste gewesen. Ein Wunschkind? Nein, das nun wirklich nicht. Seine Mutter, damals gerade achtzehn, hatte seinen Vater Jonathan, einen zehn Jahre älteren Studenten aus Mosambik an der Berliner Universität kennengelernt, wo sie in der Wohnheim-Verwaltung gearbeitet hatte. Gerade erst der häuslichen Enge ihres Elternhauses in Spreewald entflohen, hatte der für sie so exotische Mann eine bisher nicht gekannte Leidenschaft in ihr entfacht, die auf direktem Wege zu ihrer Schwangerschaft mit Malik geführt hatte. Nach Maliks Geburt waren sie in eine kleine Wohnung in Uni-Nähe gezogen. Die ungewohnte Verbindung von Elternschaft, beengten Wohnverhältnissen und geballten Vorurteilen ihrer Umgebung wurde jedoch schon nach kurzer Zeitz zu einem schwer zu ertragenden Ballast. Endlose Streitereien zwischen den beiden folgten. Dazu kam für alle unerwartet eine zweite Schwangerschaft, die schließlich für das Scheitern ihrer kurzen Ehe sorgte. Ganze drei Monate nach Janas Geburt war Jonathan zurück nach Mosambik gegangen und überließ es der Mutter, für den Unterhalt der Kleinfamilie zu sorgen. Seine einzigen Zuwenden bestanden aus Postkarten, die er Malik zu den Geburtstagen schickte. Nachdem sie allerdings zweimal umgezogen waren, erreichten ihn auch diese nicht mehr. Ausgesprochen traurig war er nicht darüber gewesen. Was hatte er außer dem leicht dunklen Teint und der großen, schlaksigen Figur schon von ihm?

      Die markanten Gesichtszüge leider nicht. Stattdessen hatten die Kinder den zarten Ausdruck von ihrer Mutter geerbt. In Kombination mit den langen Haaren, die Malik als kleiner Junge tragen musste, hatte ihn das zum bevorzugten Gespött seiner Mitschüler gemacht. Mädchen hatte dabei noch zu den nettesten Schimpfworten gehört. Da von seiner Mutter keine Hilfe zu erwarten gewesen war, hatte er mit zehn begonnen, in einem Verein Kickboxen zu lernen. Die Hänseleien hörten kurz danach auf, dafür aber trafen vermehrt Beschwerden die Blessuren seiner Mitschüler ein. Die Reaktion seiner Mutter? Keine, an die er sich später erinnerte. Nach Jonathans Abgang zerschliss sie sich im Spagat zwischen Aushilfsjobs und der Erziehung zweier Kinder. Was an Liebe und Zuneigung übrig blieb, wurde ungleich verteilt. Malik blieb dabei nur die Rolle des ungewollten Erstgebornen. Er wollte seine Mutter nicht allein dafür verantwortlich machen, dass er später seinen eigenen Weg gewählt, von diversen Schulen geflogen und mit kleineren Gaunereien begonnen hatte. Aber einen Teil der Schuld schob er nur zu gern auf sie.

      Vor anderthalb Jahre war sie mit Jana aus Berlin fortgezogen. Sie hatte in einer Bar irgendeinen erfolgreichen Handelsvertreter kennengelernt, der nach viel hin und her für sie tatsächlich seine Ehefrau verlassen hatte. Nun wohnten sie in seinem kleinen Idyll, irgendwo auf Sylt. Seitdem hatten sie vielleicht zehn Mal miteinander telefoniert.

      Es war seine Schwester, um die sich Malik in dem Café Gedanken machte. Jana war vier Jahre jünger als er, vor einigen Monaten siebzehn geworden und hatte den Umzug von Berlin in die norddeutsche Provinz nur unter energischstem Protest mitgemacht. Dickköpfig wie sie war, hatte dies zu einem wochenlangem Kriegszustand zwischen Jana und ihrer Mutter geführt. Auch Malik war es schwer gefallen, sie nach Nordwesten ziehen zu sehen. Nun, wo sie bald volljährig war, würde sie dem ländlichen Alptraum so schnell wie möglich wieder entkommen wollen. Und da kam der zwischen seinen Beinen verstaute Koffer ins Spiel.

      Was hielt ihn sonst in der Stadt? Seine Freunde? Perspektivlose Typen wie er, die sich in einer ähnlichen Situation sofort aus dem Staub machen würden. Blieb nur noch Rania, seine kleine Sonne. Okay, sie war nicht die große Liebe, aber es lief gut zwischen ihnen. Jedenfalls besser als in vielen vorangegangenen Beziehungen. Und wie würde es erst laufen, wenn sie das Geld hätten?

      Je mehr er sich dem plötzlichen Reichtum anfreundete, desto drängender erhob sich die Frage, wie er den Diebstahl unbeschadet überstehen konnte. Schlosser war für ihn schwer einzuschätzen, er kannte ihn kaum. Seine zupackende, direkte Art hatte Malik bei ihren wenigen Treffen immer als angenehm empfunden. Durch Andy war ihm allerdings auch zu Ohren gekommen, dass er seine Interessen rücksichtslos durchsetzte. Nähme er das Geld, so würde er sehr weit rennen müssen. Mit dieser Konsequenz im Hinterkopf war Malik aufgestanden, hatte den Koffer genommen, gezahlt und war hinaus zu seinem Wagen gegangen.

      Ziellos war er durch die Stadt gefahren, bis ihm klar geworden war: Er brauchte Rat. Andy brauchte er in dieser Hinsicht nicht zu fragen. Dessen Antwort war klar. Blieb nur Rania. Und mit der musste er sowieso reden.

      So kam es, dass er eine Viertelstunde später die Stufen zu ihrer Wohnung hinauf gelaufen war. Kurz entschlossen hatte er zwei Geldbündel eingepackt und den Koffer unter der Abdeckung im Kofferraum verstaut. Sie würde Augen machen! Er war aufgeregt und mit jeder erklommenen Stufe wuchs seine Zuversicht. Sie mussten nur zugreifen.

      Ihre Reaktion entsprach dann jedoch so ziemlich dem genauen Gegenteil seiner Erwartungen. Nachdem er sie überschwänglich in der Tür umarmt hatte, hatte sie ihn von sich geschoben und eindringlich betrachtet.

      „Warst du letzte Nacht hier?“ Verdutzt hatte er seine Hände sinken lassen, ein „ging nicht anders. Hatte damit was zu tun“, gestammelt und dabei das Geld aus der Tasche gezogen. Mit ausdrucksloser Miene und verschränkten Armen hatte Rania ihn betrachtet.

      „Woher hast du das, Malik?“ Er hatte fassungslos innegehalten.

      „Ich meine, das ist doch nicht deins, oder? Und warum schläfst du bei mir, ohne mich zu fragen? Deswegen?“

      Er hatte sich räuspern müssen. Ihre Reaktion passte rein gar nicht zum Plan. „Ich wollte in Ruhe nachdenken. Gestern ist was schief gelaufen und ich saß plötzlich mit dem ganzen Zeug da. Fast dreihunderttausend Euro. Ich habe sie extra gezählt. Rania, das ist die Gelegenheit. So viel Geld! Wir könnten…“

      Sie unterbrach ihn abrupt. „ Hast du das Geld gestohlen?“

      „Nicht gestohlen. Ich habe es nur nicht weitergeben können.“

      Ranias Geduld schien sich dem Ende zu nähern. Die Hände auf die Hüften gestemmt hatte sie den Kopf geschüttelt. Den Mund dabei zu einem bitteren Grinsen verzogen. „Malik, was denkst du dir dabei? Soll ich jetzt froh sein, dass du einen riesen Batzen Kohle stiehlst?“

      „Sonst haben dir die Sachen, die ich dir mitgebracht habe doch auch gefallen“, entgegnete er defensiv.

      „Denkst du das ist mir wichtig? Denkst du, dass du mir Schmuck schenken musst, damit ich dich liebe? Ich mag dich wirklich, aber kaufen lasse ich mich nicht!“

      Malik war zum heulen zumute. War er der einzige, der hier eine Chance für sie sah? Niedergeschlagen hatte er die Bündel auf der Kommode abgelegt.

      „Denkst du das wirklich? Ich meine, das kann doch nicht wahr sein!“ Wie um ihre Wut zu untermauern hatte sie ihn an den Oberarmen gepackt und heftig geschüttelt. „Dann behandelst du mich, als wäre ich deine Nutte!“

      Da hatte er ihre Hände beiseite geschoben und ihr eine gescheuert.

      04:04:15

      Resigniert schüttelte Krauser den Kopf und blickte zum Kollegen Laarsen hinüber. Der, gerade dabei, den Kopfhörer abzusetzen, schaute mit zusammengepressten