„Also, das geht jetzt gar nicht. Berufliches und Privates mischen in meinem Job, das gibt immer nur Ärger.“
„O. k., nachvollziehbar. Dann gibt’s aber doch jede Menge Internetportale.“
„Das ist ja fast so wie ‘ne Frau aus dem Versandhauskatalog.“
„Mann, bist du anspruchsvoll. Dann geht noch Kontaktanzeige. Selber eine schreiben oder auf eine antworten.“
Der Vater schwieg nachdenklich. Er merkte, dass er eigentlich gar nicht wusste, was er wirklich wollte.
„Dann kommt mir plötzlich noch ‘ne Idee. Ist vielleicht die beste von allen. Komisch, dass ich noch nicht früher darauf gekommen bin.“
Der Alte hatte das sichere Gefühl, dass diese Idee so spontan nicht war.
„Jetzt bin ich aber gespannt.“
„Du kennst doch den Spruch, wenn ich nicht irre, von Goethe: ‚Warum in die Ferne schweifen, sieh, das Gute liegt so nah.‘ Denk mal nach.“
„Wer soll das denn jetzt sein?“
„Hab ich mir fast gedacht, dass du auf die Idee gar nicht selber kommst. Was hältst du von Martina?“
Jetzt erschrak der Vater ehrlich.
„Wie bitte? Du willst mich mit meiner Kollegin verkuppeln?“
„Was heißt ‚verkuppeln‘? Ich hab dich gefragt, was du von ihr hältst.“
Nach einer kleinen Pause antwortete der Alte: „Also, als Kollegin schätze ich sie sehr. Sie ist hundertprozentig zuverlässig, arbeitet absolut sachbezogen und hat vor allem auch die Fähigkeit, in brenzligen Situationen intuitiv eine Lösung zu finden. Auf diese Weise hat sie in zwei der schwierigsten Fälle, die wir hier hatten, verhindert, dass sie in der Katastrophe endeten1. Und, wie du weißt, …“ seine Stimme wurde jetzt ganz leise „… hat sie mir auch einmal das Leben gerettet.“
„Das ist ja alles ganz schön und gut. Aber eigentlich interessiert mich was Anderes. Und das weißt du auch. Du bist doch schließlich auch ein Mann und ich kann mir nicht vorstellen, dass dir entgangen ist, wie attraktiv sie ist. Also, wenn ich zehn Jahre älter wär …“
„… würdest du sie mir nicht anbieten!“
„Red keinen Quatsch und weich nicht schon wieder aus! Ich will wissen, wie du als Mann auf sie reagierst. Also, stell dir einfach mal vor, mit ihr zu schlafen, mit ihr zusammenzuleben mit allem, was dazugehört. … Wie fühlt sich das an?“
Der Alte war verblüfft. So hätte er sich nie getraut, mit seinem Vater zu reden. Er wusste nicht recht, wie er antworten sollte. Bernhard ließ ihn schmoren und sagte jetzt auch nichts mehr. Es dauerte ein paar Minuten, ehe der Vater sagte: „Ich glaube, du würdest tatsächlich einen guten Kriminalisten abgeben, auch wenn dein erster Versuch in dieser Richtung so kläglich misslungen ist.“2
„Jetzt weichst du schon wieder aus.“
„Nein, nein, ich meine nur, dass du mich sehr geschickt an den Punkt geführt hast, wo ich ein Geständnis ablegen muss. Das ist die Hohe Schule der Verhörtechnik.“
Bernhard lachte.
„Dann gesteh!“
„Ich habe mir diese Fragen so noch nie gestellt, obwohl ich zugeben muss, dass sie tatsächlich naheliegen. Aber … ich habe da doch sicher gar keine Chance.“
Bernhard lachte.
„Warum hast du so wenig männliches Selbstbewusstsein? Wie ich das sehe, irrst du dich da.“
Der Alte stutzte.
„Du scheinst über Informationsquellen zu verfügen, die mir nicht zugänglich sind.“
„Na ja, du weißt, ich kenne Janine jetzt schon recht gut, und die hat ein sehr vertrauensvolles Verhältnis zu ihrer Mutter.“
„Aha, ich verstehe. – Aber ich brauche jetzt, ehrlich gesagt, eine Denkpause. Außerdem geht es auf Mitternacht zu.“
Der Alte wandte sich von Bernhard ab und sah auf die Stadt hinunter. Seine Gefühle fuhren Achterbahn. Verlor er gerade die Entscheidungshoheit über sein Leben? Wollten Bernhard und Janine seine Zukunft bestimmen? Hatten sie Martina gar schon überzeugt? Konnte er überhaupt noch nein sagen? Und vor allem: Wollte er das? Er fand keine Worte für die Gefühle, die ihn überschwemmten.
Immer häufiger stiegen jetzt Raketen in die Luft oder krachten schwere Böller, obwohl es noch mehr als zehn Minuten bis Mitternacht war. Travniczek war froh, dadurch seinen Gefühlswirrwarr etwas beiseiteschieben zu können.
Da stand ganz unversehens ein großer Mann mit langen ungepflegten Haaren und einem wirren Bart neben Travniczek, schwenkte in der Rechten eine große Flasche Rotwein und schlug ihm mit der Linken ohne Vorwarnung heftig auf den Rücken.
„Ich bin der Manfred. Und wer bist du?“, rief er laut, schon etwas lallend.
Travniczek war peinlich berührt. An sich war ihm so eine Annäherung äußerst zuwider. Er wollte aber in der aufgekratzten Stimmung nicht grob und abwehrend reagieren.
„Wir müssen Bruderschaft trinken“, redete der Mann weiter, ohne eine Antwort abzuwarten. Er setzte die Flasche an, nahm einen großen Schluck, rülpste laut und gab die Flasche an Travniczek weiter.
„Jetzt bist du dran.“
Der hielt die Flasche ganz nahe an seinen Mund und tat so, als würde er trinken.
„Danke.“ Und er gab ihm die Flasche schnell zurück. Da umarmte ihn der Mann, der immerhin einen guten Kopf größer war als er, und gab ihm einen feuchten Schmatzer auf die Wange.
„Also dann, Prost Neujahr! … Äh, jetzt hab ich vergessen, wie du heißt, … is auch egal …“
Er wandte sich ab und wankte weiter durch die Menge auf der Suche nach neuen Opfern.
Travniczek sah etwas verschämt zu seinem Sohn hin. Der grinste über beide Ohren. „Wird Zeit, dass wir dir ‘ne Frau suchen. Du fängst ja schon an, mit den Pennern zu schmusen.“
„Werd nicht frech“, flachste der Alte zurück, „sonst setzt’s ein paar hinter die Ohren.“
„Schlagen ist in der Erziehung verboten. Das musst du doch am besten wissen.“
Über der Stadt stiegen jetzt immer mehr bunte Feuerwerksraketen auf, begleitet von ohrenbetäubenden Böllerschlägen. Es schien heller zu werden, da der glitzernde Schnee jedes neue Licht vielfach reflektierte.
Da zog Bernhard eine Sektflasche aus der Manteltasche und machte sich am Korken zu schaffen.
„Gläser hab ich keine mitgenommen. Das muss dann eben so gehen.“
Der Korken knallte. Da begann die Menge mit dem Countdown für das Neue Jahr: „Zehn – neun – acht – …“ Mit jeder Zahl wurde es lauter. Das „Prost Neujahr“ klang dann schon fast wie eine Explosion. Vater und Sohn Travniczek umarmten sich und tranken ihren Sekt.
Von fast allen Punkten der Stadt wurden jetzt im Dauerfeuer Raketen gezündet, besonders viele von der Alten Brücke, den beiden Neckarufern und dem Schloss, auch vom Königstuhl* und der Molkenkur* und natürlich auch von hier oben am Philosophenweg. Gleich neben ihnen jagte einer eine Batterie nach der anderen in die Luft. Über die Stadt bis hinaus in die Rheinebene legte sich ein wogendes Meer aus buntem Licht. Raketen starteten mit kaum sichtbarer Leuchtspur oder mit sich drehendem Kometenschweif, bevor sie explodierten. Es entstanden vielfarbige Sterne, von denen einige sehr schnell zerplatzten, andere sich Zeit ließen und ihre Strahlen in Goldregen verwandelten. Dazwischen schossen grellbunte Leuchtkugeln in den Himmel,