Break free - Break down. Kelly Skinner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kelly Skinner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742738776
Скачать книгу

      Diese Worte klingen nach wie vor in mir und rufen stets nur pures Unverständnis hervor. Ich sollte mich für eine biologisch völlig natürliche Reaktion meines Körpers medikamentös sowie psychotherapeutisch behandeln lassen? Ich nehme an, er wollte mit einer solchen Aussage nur die Verantwortung auf mich abwälzen, sodass er an sich nichts zu ändern brauchte. Eine sehr billige Methode, die jedoch nicht akzeptabel ist; zumindest nicht für mich.

      Als ich morgens aus dem Haus gehe, ahne ich nicht, dass es der Tag der Entscheidung sein würde. Ich erledige meine Arbeiten routinemäßig, komme routinemäßig nach Hause und setze mich vor den Fernseher. Routinemäßig mit einer Ladung an Süßigkeiten, wie nur der Nikolaus in seinem Sack hat. Der Film läuft, ich registriere nicht, was ich wahllos in mich hineinstopfe und lenke mich so von meinem Leben ab.

      Harold hat sein gekühltes Bier neben sich stehen, die Beine auf dem zerschlissenen Hocker. Genüsslich rülpst er nach einem Schluck Bier und öffnet seine Hose, die ihm mittlerweile auch schon wieder zu eng geworden ist. Keine Bewegung, kalorienreiches Essen, Bier. Irgendwann zeigt sich diese Dreierkombination auf dem Bauch und rund um die Hüften. Ich kann ein Lied davon singen, auch wenn ich kein Bier trinke.

      Verstohlen sehe ich ihn von der Seite an. Mit krummem Rücken und eingezogenem Nacken starrt er in den Fernseher. Als ob sich dort unser Leben abspielen würde. Früher hätte er sich ohne Vorwarnung vor mich hingekniet, meine Schenkel gespreizt und seinen Kopf unter meinem Rock verschwinden lassen. Heute denkt er nicht im Traum daran, so etwas zu machen.

      Ein erneuter Rülpser, leise zwar, aber doch einer, lenkt meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Noch immer in den Fernseher starrend packt er mit Daumen und Zeigefinger ein Nasenhaar und reißt es mit viel Kraft aus. Dann beäugt er es und wirft es auf den Boden.

      Ich komme nicht einmal dazu, mein Gesicht so richtig zu verziehen, da hat er auch schon das nächste Nasenhaar gepackt und zerrt daran. Es wird ebenso genau begutachtet, ehe es fallengelassen wird.

      „Muss das wirklich sein?“, frage ich angeekelt und wende mich demonstrativ ab.

      „Soll ich mir die Büscheln aus der Nase wachsen lassen?“, fragt er ungeniert und fingert an den Augenbrauen herum. Ich sehe nur, dass er seinen Daumen und seinen Zeigefinger aufeinander gelegt hat und sie rund einen Zentimeter von seiner Stirn weg hält. „Da schau her, wie lang die schon sind! Bald kann ich Breschnew Konkurrenz machen. Und die Nasenhaare werden ebenso lang.“

      Wenn er noch länger von diesem Thema spricht, wird mir mit Garantie übel und ich vertiefe mich in den Film, obwohl ich die Handlung nicht mitverfolgt habe. Ich war irgendwo in irgendwelchen Träumen verfangen gewesen. Ach ja, ich dachte an die sexuellen Überraschungen, die er mir vor langer Zeit geboten hatte und jetzt nicht mehr bietet.

      Stattdessen sehe ich ihm zu, wie er sich einzelne Nasenhaare und die Augenbrauen ausreißt. In diesem Moment fällt eine dicke, graue Wolke auf mich, dringt in mich ein und erfüllt mich mit Hass, Wut und Zorn.

      Ich möchte ihn anschreien, ihm die Bierflasche in den Hals rammen, ihm damit den Schädel einschlagen, ihm damit die Halsschlagadern aufschlitzen, ihn mit meinem fetten Arsch ersticken.

      In mir bricht ein Vulkan aus, der in meinem Bauch brodelt und heiße Fontänen ausspeit. Ich schäume vor Wut und muss mich sehr beherrschen, meine Vorstellungen nicht in die Tat umzusetzen.

      Immer schneller wandern unzählige, völlig wertlose Kalorien durch meinen Mund in den Magen. Sie versuchen, den Vulkan zum Erlöschen zu bringen, doch dieses Mal sind auch sie gegen den pulsierenden Lavastrom absolut machtlos.

      „Wenn du nur einmal so viel Interesse für Sex und unsere Ehe aufbringen würdest wie für die blöden Filme, wäre ich weit weniger frustriert. Aber für dich zählen ja nur die blöden Filme und dein Bier. Wie ein echter Prolet!“

      Und während ich vom Sofa aufspringe und wutschnaubend aus dem Wohnzimmer stapfe, brülle ich noch ein „Du bist schon längst tot und hältst mich in einem Sarg gefangen!“ über die Schulter. Dann knallt eine Tür, die Schlafzimmertür.

      Ich habe das Gefühl, als würde ich explodieren oder ersticken und keine Chance haben, diesen Zustand jemals wieder beheben zu können. Lauthals fluche ich in den leeren Raum, gebe wüste Schimpfworte von mir und schleudere kurzerhand alles, das ich erwische, an die Wand.

      Doch meine Wut will nicht sterben. Immer wieder bäumt sie sich auf, lässt ihre Flammen listig auflodern und kocht so lange in mir, bis schäumende Aggression aus mir bricht.

      Ich stoße einige Schreie aus, die einem verwundeten Raubtier ähneln; mit Menschlichem haben sie nichts mehr zu tun.

      Und ich bin auch verletzt, zutiefst verletzt. Dieser Mann dort draußen hat mir nämlich meine Seele zerfetzt. Er hat mir mein Leben gestohlen und mich lebendig begraben. Ich habe ein Recht darauf, meinen Schmerz aus mir heraus zu brüllen.

      Schnaubend wie ein altes Rennpferd in der Zielgerade stapfe ich in die Küche, werfe wahllos Knabbergebäck, Kuchen, Kekse, eine Flasche Limonade und noch einiges an Süßkram in meinen biederen Einkaufskorb, rufe Harold noch ein sehr hässliches „Leck’ mich doch!“ ins Wohnzimmer zu und lasse die Haustüre hinter mir so laut zuknallen, dass die Fenster zittern und klirren. Vermutlich auch noch jene der umliegenden Nachbarschaft.

      Der Einkaufskorb landet schwungvoll auf dem Beifahrersitz und ich hinter dem Lenkrad. Der Wagen ächzt, als ich mich mit voller Wucht in ihn fallen lasse. Dann röhrt der Motor auf, als wäre er ein Formel 1 Bolide – und trotzdem bleibt er ein kleiner Mittelklassewagen.

      Unser Schrebergarten liegt nur eine halbe Stunde Fahrzeit von unserem Haus entfernt. An diesem Abend schaffe ich die Strecke allerdings in knapp zwanzig Minuten. Mich interessieren keine Stopptafeln und keine Geschwindigkeitsbegrenzungen; ich will einfach nur in kürzester Zeit eine gewisse Distanz zwischen mich und dem Sarg, in dem Harold hockt und sich die Nasenhaare ausreißt, bringen. Sogar den Schnellimbiss mit den riesigen Langos, die man selbst mit Knoblauchöl bestreichen kann, lasse ich an mit vorbeiziehen. Die drei Minuten, die der Verkäufer braucht, um eines der herrlich fettigen Teigräder zu backen, könnte ich nicht an einem Platz verharren. Eine enorme Kraft treibt mich vorwärts, weg von meinem alten Leben, von meiner Starre, meiner Leblosigkeit, von meiner Sexlosigkeit, von meiner Routine.

      Der Schrebergarten liegt im Dunklen, aber das Mondlicht reicht aus damit ich mit dem Schlüssel ins Schloss und den Weg zur Hütte finde. Ganz wohl fühle ich mich allein in der Finsternis nicht und ich drehe rasch die Außenbeleuchtung auf. Der kleine Garten wird kugelförmig in sanftes Licht getaucht. Rasch untersuche ich die Umgebung auf Räuber, Diebe und Mörder. Erleichtert stelle ich fest, dass ich alleine bin. Die Dunkelheit treibt stets ihre illustren Spielchen mit uns.

      Bedächtig sehe ich mich in dem leicht muffigen, kleinen Häuschen um. Es ist alles vorhanden, was ich für diese eine Nacht brauche. Eine ausziehbare Couch, ein Fernseher, ein Badezimmer mit Dusche ohne Wanne und ein Kühlschrank. Mit einem Lächeln stelle ich den Einkaufskorb gleich neben der Couch ab und ziehe sie aus. Selbst ein Polster und eine Decke befinden sich in der Lade; sehr gut!

      Ich schließe die Jalousien, lasse das Licht vor dem Häuschen brennen und ziehe mich aus. Völlig nackt lege ich mich vor den Fernseher, greife mir die Packung mit den Kuchenstücken und zappe mich durch die Programme. Ein herrliches Gefühl, nur für mich sein zu können! Und nackt vor dem Fernseher liegen zu können. Daheim wäre mir das nicht in den Sinn gekommen. Das wäre mit den Kindern nicht möglich gewesen und auch vor Harold wollte ich mich in letzter Zeit nicht mehr so ungeniert zeigen. Immerhin habe ich ordentlich an Gewicht zugelegt, seitdem ich mit ihm liiert bin. Und da wir seit längerem schon keinen Sex mehr miteinander hatten, schäme ich mich doch ein wenig vor ihm. Er hat mich lange nicht nackt gesehen und würde sich vermutlich nicht gerade von mir angezogen fühlen. Dass Scham innerhalb einer Familie vorkommt, hätte ich nicht gedacht.

      Ich sehe meinen Körper an und werde in der gleichen Sekunde wütend. Er ist absolut hässlich und ich sollte mich nicht wundern, dass Harold die Lust auf Sex mit mir vollends vergangen ist.

      Schuld daran, dass ich so fett geworden bin, ist er und nur er! Denn er war es,