Wolke 8 ... oder Plädoyer für die Liebe. Monika Kunze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Monika Kunze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847672616
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Milchshakes, die zu der Zeit in der DDR gerade in Mode gekommen waren.

      Gegenüber stand ein Hotel namens „Glück auf“. Beide hatten wohl zunächst den selben Gedanken, verwarfen ihn aber gleich wieder.

      Sie fühlten sich in Annes kleiner Mansardenwohnung wohler. Dort lagen sie meistens auf dem Teppich, redeten und tranken Wein.

      Dass sie bald auch miteinander schliefen, hatte sich ganz selbstverständlich ergeben. Es war, als seien sie eigens dazu geboren worden, um sich zu suchen und zu finden und schließlich ineinander aufzugehen. So ähnlich jedenfalls hatte es Jean ihr ins Ohr geflüstert.

      „Ann!“

      Ihr Name klang seltsam ohne das e am Ende. Und seine Stimme flüsterte zärtlich und leidenschaftlich zugleich. Und dann war da noch etwas: Angst, dass sie einander verlieren könnten?

      „Oui, mon amour, Jean?"

      In seinen Armen fühlte sie sich unglaublich gut. In seinen Augen konnte sie sehen, dass er genauso empfand wie sie.

      Stunden später sagte er, dass jener Tag ein ganz besonderer sei.

      „Ja, ich weiß, der 14. Juli, der französische Nationalfeiertag“, entgegnete sie mit Schalk in den Augen.

      Er aber blieb ganz ernst.

      „Ann, bitte, willst du misch eiraten?“

      Das klang lustig. Aber warum musste sie dann plötzlich weinen?

      Wie stellte er sich das vor? Wie sollte sie ihm denn erklären, dass das nicht ging? Sie versuchte es mit ein paar einfachen Fragen.

      „Wo sollen wir leben?“

      „In Frangraisch!“

      „Aber das geht nicht, ich kann hier nicht weg!“

      „Warum nischt?“

      „Du lebst in einem Land, das ich nicht einmal besuchen darf, geschweige denn dorthin auswandern …“ Ob er ihren Kummer je verstehen würde?

      Mit einem Mal war der Rausch verflogen, der Teppich auf dem sie lagen, kam ihr rau und kratzig vor.

      Jean erklärte ihr stockend, dass auch er seine Heimat nicht verlassen könne.

      Wenn er wollte, dann könnte er schon, dachte sie bitter.

      „Ma famille, mes amis …“ stammelte er, als habe er ihre Gedanken lesen können. Einerseits verstand sie ihn, kannte sie doch seine Familie und seine Freunde gewissermaßen auch schon ein wenig. Aus seinen Briefen. Andererseits wollte sie auf gar keinen Fall auf ihn verzichten.

      Würde es also für sie beide niemals einen Ausweg geben?

      Die letzten Tage wurden immer mehr von diesem Gedanken überschattet.

      „Steig ein, ich bringe dich zum Bahnhof“, sagte sie am letzten Tag kühler als beabsichtigt.

      „Dans le petit … in dieses kleine Pappschachtel?“

      Sein Lächeln misslang.

      Er hatte wohl schon vergessen, dass er bei allen ihren Rundreisen genau in „dieses kleine Pappschachtel“ gesessen hatte? Als sie seinem traurigen Blick begegnete, wollte ihr vor Kummer das Herz zerspringen. Von nun an schwiegen sie.

      „Fahren wir noch einmal zum Mond?“ fragte er.

      Nanu? Ausgerechnet zum Tagebau wollte er noch einmal?

      Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass sie noch Zeit hatten.

      Eng umschlungen standen sie am Rand des Tagebaus und schauten auf die riesige Wunde in der Erde. Jean sah traurig und auch ein bisschen wütend aus.

      „Wann kommst du wieder?“ fragte sie leise. Sie hatte das Gefühl, gleich in Ohnmacht zu fallen. Ihre Knie zitterten, ihr Herz raste.

      „Wenn aus dieser Mondlandschaft ein Meer geworden ist …“ antwortete er mit einer weit ausholenden Armbewegung. Er versuchte zu lächeln, aber es sah nicht echt aus.

      Machte er sich über sie lustig? Ein Lied fiel ihr ein – und sie sang es leise vor sich hin „Wenn´s schneiet rote Rosen und regnet kühlen Wein …“

      Sie konnte nicht verhindern, dass ihr die Tränen beim Singen übers Gesicht liefen.

      *

      Nach seiner Abreise wartete sie auf Post. Vergeblich. Der Briefträger wusste schon bald nicht mehr, wie er sie trösten sollte. Kein Lebenszeichen von Jean? Nein.

      Irgendwann hörte sie auf, zu grübeln, wo ihre Briefe geblieben sein könnten.

      Ein Jahr nach ihrem ersten Besuch am Senftenberger See, bei dem sie alle Hoffnung auf ein Wiedersehen mit Jean verloren hatte, gab sie dem Werben eines anderen Mannes nach. Er wohnte in der Nachbarschaft und hatte schon mit 25 Jahren seine Frau an den Krebs verloren. Er hieß Hartmut. Sie heirateten und führten eine ruhige Ehe, in der keiner von beiden Wert auf große Leidenschaft legte.

      Vor zwei Jahren war Hartmut gestorben.

      Auch das Land existierte nicht mehr, das Land, das es ihr nicht erlaubt hätte, nach Frankreich auszureisen.

      Ihre Arbeit als Freie Fotografin ließ ihr kaum Zeit, sich nach einem neuen Partner umzuschauen.

      Immer, wenn sie in Senftenberg zu tun hatte, musste sie an Jean denken. Nun gab es schon so lange ein „Meer“ hier, aber er war nicht gekommen.

      Was erwartete sie denn auch? Nach so vielen Jahren! Männer vergessen mit der Zeit, was ihnen einstmals angeblich so wichtig gewesen war. Nur Männer?

      Annes neuer Freund hieß Hans, so nannte sie jedenfalls ihren Computer. Mit ihm sandte sie ihre Fotos an die jeweiligen Redaktionen. Ihr neuer Gefährte machte es auch möglich, abends mit wildfremden Menschen in einem Chat zu plaudern, ohne eifersüchtig zu werden.

      Nein, Anne fühlte sich keineswegs einsam. Eines Tages hatte sie im Chat auch einen gewissen „Papillon“ kennengelernt. Sie verstanden einander auf Anhieb, konnten über alles sprechen (beziehungsweise schreiben), hatten die gleichen Interessen, konnten über die dieselben Witze lachen. Nur, wie der oder die andere aussah oder wo sie wohnten, das wussten sie nicht.

      Er wartete jeden Abend auf sie. Ein Schmetterling, der es leid war, von Blume zu Blume zu fliegen? Sie fragte ihn.

      „Ich habe meine Lieblingsblume bereits gefunden“, tippte er in die Tasten.

      Ihr Nickname war „Fleur“. Es war wirklich Sympathie auf den ersten Klick.

      Hätte ihr noch vor nicht allzu langer Zeit jemand erzählt, dass er sich in einen völlig unbekannten Menschen in einem Chat verliebt habe, dann hätte ihr Zeigefinger wohl bezeichnend den Weg zur Stirn gefunden.

      Aber mit diesem Papillon war alles anders, obwohl keiner von beiden das Wort Liebe jemals erwähnt hat.

      Doch eines Tages schrieb er etwas Seltsames.

      „Ich glaube, ich wurde nur geboren, um dich zu suchen – und nun habe ich dich endlich gefunden.“

      Hatte sie diesen Satz nicht schon einmal irgendwo gelesen? Oder gehört? Vor Jahrzehnten? Sollte dieser „Papillon“ etwa …?

      Immerhin, sein Nickname ist französisch … In ihrem Kopf begann es zu rauschen … ihr Herz begann zu rasen.

      Nach einer schlaflosen Nacht hielt sie es nicht mehr aus. Sie musste ihn unbedingt fragen, am Abend, im Chat.

      Doch dazu sollte es nicht mehr kommen.

      Irgendetwas hinderte sie daran, sich am Abend überhaupt im Chat einzufinden.

      Mit dem Lesen wollte es auch nicht klappen, also ließ sie heißes Wasser in die Badewanne einlaufen und versuchte ihre Gedanken abzuschalten. Aber weder ihr Lieblingsbadezusatz mit Lavendel noch die leise Musik waren diesmal dazu angetan. Statt die wohlige Wärme, den Duft und die Musik zu genießen, grübelte sie.

      Sie ließ