Der dritte Versuch Elfen und Menschen. Norbert Wibben. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Norbert Wibben
Издательство: Bookwire
Серия: Der dritte Versuch
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742707314
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Der Magier konzentriert sich wieder auf den Drachen. Er probiert, ob der Feueratem wie gewünscht funktioniert. Die gewaltige Feuerwalze schickt er hoch in den Himmel und dann in Richtung eines naheliegenden Gebüsches, das sofort zu Asche verbrennt. Feine Flöckchen werden aufgewirbelt und fallen wie Schnee zu ihm herab. »Inhibeo« lässt den Drachen verschwinden.

      Der Ring funktioniert in gewohnter Weise, stellt der Zauberer erleichtert fest. Jetzt sollen alle Feinde dessen Macht zu spüren bekommen! Er denkt wieder an den alten Elfen. Soll er seine Rache dafür an ihm stillen, dass der den Ring so lange vor ihm verborgen hielt? Und dann sind da noch die Elfe und die anderen Reiter, die in die Geschehnisse eingegriffen haben. Sind sie es wert, dass er seine kostbare Zeit für einen kleinen Moment der Befriedigung opfert? Nein! Das sind sie nicht! Was sind sie schon im Vergleich zu ihm? Wenn er es will, ist er der von allen gefürchtete Herrscher in seiner Heimat. Das ist es, was wirklich wichtig ist. Dean hat sich entschieden. Der Zweck, hierherzukommen war schließlich, den Ring zurückzubekommen. Jetzt muss er sich auf die nächsten Ziele konzentrieren! Er tritt zu seinem Pferd. Dann flirrt die Luft und sie stehen im Innenhof von Munegard.

      Der dunkle Magier lässt auf der Insel der Elfen ein stark dezimiertes Rudel Wölfe zurück. Obwohl er sie bereits vergessen hat und nicht mehr kontrollieren wird, wirkt der hypnotische Zauberspruch nach. Sie erfüllen ihren Auftrag. Sie belauern die Reiter und folgen ihnen, bis diese endlich gestellt oder sie getötet werden.

      In Munegard herrscht noch tiefste Nacht, doch Fackeln und Laternen erleuchten den Innenhof, wo Dean mit seinem Pferd angekommen ist. Er verschwendet keinen seiner Gedanken an den zurückgebliebenen alten Elfen oder die Reiter, die die Wölfe attackierten. Er hat sein vor kurzem heftiges Streben nach Rache völlig verdrängt. Doch die junge Elfe taucht immer wieder vor seinem geistigen Auge auf. Was er bisher nicht für möglich gehalten hat, ist offenbar geschehen. Doch es sind nicht die Schnelligkeit ihrer Bewegungen oder der Eindruck ihrer schlanken Gestalt, die verantwortlich für die Unruhe in seinem Kopf sind. Er hat sich keineswegs in sie verliebt! So etwas geschieht ihm nicht, schon gar nicht in eine Elfe! Nein, ihn treibt die Sorge, ob sie es geschafft hat, den Drachen zu überwinden! Woher ist sie so unerwartet dem Alten zur Hilfe geeilt? Wenn sie zusammengehören, wie es ihm scheint, dann wird sie auch aus dem Gebiet des steinernen Meeres gekommen sein. Hat sie also den Lindwurm zerstört, zumindest kurzzeitig überwunden? Soweit er sich erinnern kann, ist das keinem noch so berühmten Zauberer vor ihr gelungen! In Gesprächen seines Vaters und Großvaters wurde Derartiges nicht berichtet. Jeder Gegner ist in dem alles vernichtenden Feueratem des Lindwurms gestorben. Keine komplizierte und ausgeklügelte Schutzglocke konnte ihm je widerstehen. Was hat die Elfe also gemacht? Obwohl er vor seiner Rückkehr Draco bereits wieder herbeigerufen hat, versucht er das erneut. Er muss sich einfach vergewissern, dass diese Elfe keinen bleibenden Schaden angerichtet hat. Seine rechte Hand berührt den Ring an der linken. Dean zögert nicht einen Moment und fordert mit lauter und fester Stimme:

      »Draco!« Im nächsten Moment bildet sich im Innenhof von Munegard vor dem dunklen Nachthimmel ein irisierendes Licht, das sich zu einem strahlenden Weiß ändert. Daraus entsteht sofort die bekannte Gestalt des Ungeheuers. Schreckensrufe schallen von allen Seiten, als der in der Luft stehende Drache gesehen wird. Dadurch bemerkt Dean, dass er hier nicht allein ist. Eimer fallen polternd zu Boden und ebenso die Waffen einiger Soldaten. Diese flüchten wie die Bediensteten, die schon vor der Morgendämmerung Aufgaben zu erledigen haben. Das Geschrei will nicht enden, während sie zu den verschiedenen Gebäuden von Schmiede, Pferdestall und Backstube rennen. Die Krieger scheuen sich nicht, die anderen an die Seite zu drängen, damit sie sich als erste retten können. Dean grinst hämisch. Obwohl es ihn in den Fingern juckt, den Drachen seinen Feueratem spucken zu lassen, bremst er sich. Wenn er der Oberste der Zauberer des Mondes ist, was hoffentlich bald der Fall sein wird, ist er der Besitzer der Festungsanlage. Da wäre es widersinnig, den Drachen zum Test wüten zu lassen, und hinterher die Schäden beseitigen zu müssen. Der Ring funktioniert tatsächlich in gewohnter Weise. Der dunkle Magier ist erleichtert. Mit »Inhibeo« lässt er den Lindwurm verschwinden und führt sein Pferd zum Stall. Dort muss er mehrmals nach einem Pferdeknecht rufen, bevor ein verängstigter Mann zitternd aus dem hinteren Bereich nach vorne kommt. Die Laterne in der Hand schwankt hin und her. Ihm übergibt Dean sein Tier, dann beginnt er mit der Suche nach Connor. Auch wenn er sich nicht sicher ist, wie er seinem Cousin entgegentreten soll, eilt er im Schein einer Lichtkugel durch die verwinkelten Gänge und öffnet alle Türen auf dem Weg zu Connors Arbeitszimmer. In dem Flur zu diesem Raum ruft Dean sogar mehrfach nach ihm. Der verursachte Lärm ruft den alten Diener herbei, der ihn darüber informiert, dass der »Hochwohlgeborene und Oberste aller Zauberer des Mondes« nicht daheim weile.

      »Mein Herr ist vor kurzem zusammen mit Soldaten und anderen Magiern in den Kampf gezogen. Wohin kann ich nicht sagen.« Obwohl der Mann heftig protestiert, verschafft sich Dean Zugang in das geheiligte Arbeitszimmer und trägt dem Bediensteten auf, ihm etwas zu Essen zu bringen. Dieser schüttelt empört über die Dreistigkeit den Kopf, bewegt lautlos seine Lippen, wagt es aber doch nicht, den Auftrag zu überhören. In wenigen Minuten kommt er schwerbeladen mit einem Tablett zurück, auf dem ein Krug mit Wein und einer mit Wasser stehen. Kaltes Fleisch, frisches, duftendes Brot und etwas Obst liegen darauf. Er breitet ein Tuch auf dem Tisch aus und stellt das Brett mit den Speisen ab. Schnell holt er noch einen Becher und gießt etwas von dem Wein ein.

      Mit gesenktem Kopf und den Worten: »Wohl bekomm’s!«, bewegt er sich rückwärts zur Tür und verlässt den Raum.

      Davon bekommt Dean wenig mit, da er überlegt, was er als Nächstes machen soll. Einerseits brennt es ihm auf den Nägeln, dem Cousin zu zeigen, dass der Ring wieder in seinem Besitz ist. Aber wäre das klug? Soll Connor sich doch um die Niederwerfung der Elfen und gegnerischen Zauberer kümmern. Falls dieser dabei zu Schaden kommt, muss er nicht gegen einen Verwandten vorgehen.

      Es ist natürlich nicht so, dass er wegen der Familienbande davor zurückschrecken würde. Der Magier ist, wie jedes andere Mitglied dieser Zaubererdynastie, sich selbst der Nächste und die Erfüllung seiner Wünsche ist das oberste Ziel. Der Grund ist viel mehr der, dass er weiß, sein Cousin ist ein ernstzunehmender Gegner. Wenn dieser durch einen anderen Zauberer ausgeschaltet werden würde, wäre er nach außen hin zu Tode betrübt, aber innerlich erleichtert. Doch einfach hier zu sitzen, widerstrebt ihm auch. Was kann er also machen? In Gedanken versunken schneidet er dicke Scheiben vom Fleisch und nimmt gierig Bissen für Bissen zu sich. Beim Essen fällt ihm auf, wie hungrig er eigentlich ist. Fleisch und Brot spült er mit großen Schlucken des ausgezeichneten Rotweins hinunter. Der Diener hat das Begehren des Verwandten seines Herrn zwar missbilligt, ihm aber trotzdem derart viel an Speisen gebracht, dass Dean nicht alles aufbekommt. Zufrieden lehnt er sich in dem Arbeitsstuhl zurück, während seine Augen über die Papiere auf dem Schreibtisch huschen. Was mag Connor hier wohl ausgebrütet haben? Er nimmt sie in die Hand und wirft forschende Blicke darauf, doch er wird nicht schlau aus den oft nur bruchstückhaften Notizen. Teilweise wurden nicht einmal Worte genutzt, manchmal hat er Symbole oder seltsame Zeichen darauf gemalt, die fast wie sinnloses Gekritzel wirken. Dass sie das sicher nicht sind, weiß Dean, doch ihre Bedeutung vermag offenbar nur Connor zu erfassen.

      Der Magier schreckt auf. Er ist tatsächlich eingenickt. Sein Cousin versucht in diesem Moment, ihn zu kontaktieren, was ihn geweckt hat, doch Dean lässt keine Verbindung zu. Er will sich erst darüber klar werden, wie sein Verhältnis zu ihm sein soll. Wenn Connor, anstatt eines Kontaktversuches jetzt zurückgekommen wäre, hätte er sich sofort entscheiden müssen! – Aber was sollte der ihm schon antun?

      »Er könnte mir den Ring nehmen!«, schießt es Dean durch den Kopf. Er weiß zwar nicht, ob und wie weit sein Cousin in dessen Geheimnis eingeweiht ist, aber riskieren will er lieber nichts. Wenn er schon schläft, dann an einem Ort, wo er nicht zu einer leichten Beute eines möglichen Gegners werden kann. Er erinnert sich an die letzte Unterhaltung mit Connor, die genau hier stattgefunden hat. Damals hatte er von Glen und dessen erfolgreichem Feldzug im Süden gehört. Eine Idee formt sich in seinem Kopf. Ob es sinnvoll ist, sich zuerst in dieser Region einen eigenen Machtbereich zu schaffen? Möglicherweise kann er den Führer des